Wer den Neckar unmittelbar erleben will, sollte sich als Ruderer versuchen - denn auf einem Ruderboot erlebt man alle Aspekte des Flusses auf direkte und ungeschönte Weise. Stuttgarter Ruder-Vereine zeigen, wie man das am besten macht.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Der Neckar ist eine eiskalte Angelegenheit. Zumindest, wenn man seine Hand Ende April ins Wasser taucht in einem Stuttgarter Frühling, der sich als Herbst verkleidet hat. Christian Szonn und Nicolas Vasseur lässt das Wetter kalt. Sie sind Vertreter der Kategorie „es gibt kein schlechtes Wetter, höchstens schlechte Kleidung“. Gleichmäßig wie ein von einem unsichtbaren Dirigenten geleitet lassen die Ruderer ihre Riemen ins Wasser eintauchen. Die Perspektive ist beeindruckend: Statt von weitem den Neckar nur zu erahnen, fährt man knapp an einem Kohlekahn vorbei, der gerade am Kraftwerk in Münster von einem Kran entladen wird. Danach lässt man sich von einem Hund am Ufer ankläffen, der dem Ruderboot einige Meter folgt. Anschließend grüßt man vom Zentrum des Flusses recht huldvoll drei Entlein, die erschrocken aus der Bahn schwimmen.

 

Auf einem Boot des Stuttgart-Cannstatter Ruderclubs erlebt man alle Aspekte des Neckars zwischen Bad Cannstatt und Hofen auf direkte und ungeschönte Weise. Jede eigene ungeschickte Bewegung wirkt sich fatal auf das Gleichgewicht des Bootes aus. Christian Szonn und Nicolas Vasseur haben für das fehlende Körpergefühl des schreibenden Schmalspursteuermanns nur ein müdes Lächeln übrig. Die Ruderfahrt vom Bootshaus des Vereins bis nach Cannstatt in Spuckweite des Theaterschiffs auf der einen und der Schleuse Hofen auf der anderen Seite dauert eineinhalb Stunden. „Normalerweise brauchen wir eine Stunde für die zehn Kilometer“, erklärt Christian Szonn. Normalerweise muss man beim Rudern aber auch nicht so viele unqualifizierte Fragen beantworten.

Ein leeres Fläschchen Jägermeister

Szonn kam über die Rudergruppe seines Arbeitgebers Bosch auf den Neckar. Seit drei Jahren ist der 33-Jährige bei den Cannstattern aktiv. „Früher hatte ich überhaupt keinen Bezug zum Neckar. Ich wohne in Feuerbach, da kriegt man logischerweise eher weniger vom Fluss mit.“ Am Boot schwimmt eine grüne Flasche vorbei – leider keine Flaschenpost, sondern nur ein leeres Fläschchen Jägermeister. „Das ist schade“, fährt Szonn fort. „Ich habe in Köln studiert, da ist der Rhein ganz anders präsent.“

Natürlich seien Neckar und Rhein nicht miteinander zu vergleichen. Das Rudern bei Stuttgart sei aber ein unvergleichliches Erlebnis, bei dem man ein tolles Gefühl für Veränderung bekomme – nicht nur aus jahreszeitlicher Sicht. „Die Graffiti unter den Brücken wechseln jede Woche.“

Besonders schön ist der Neckarabschnitt kurz vor Hofen. Während sich der Beobachter über Susi, Christine II und Rhapsodie freut, possierliche kleine Boote, die neben dem Clubschiff der Wassersportgemeinschaft Stuttgart ankern, sind die beiden Ruderer damit beschäftigt, zu wenden. Der Ruderer ist eben eine faszinierende Figur: Er denkt in Schleusen statt in Kreuzungen und Ampeln, Stau kennt er nicht und Yoga zur Entschleunigung braucht er auch nicht: Der Bewegungsablauf beim Rudern verlangt zwar einiges ab. Hat man die Abläufe aber mal raus, hat der Ruder-Rhythmus laut Christian Szonn etwas Meditatives.

Toller Blick auf den Neckar

Zurück im Bootshaus des 1910 gegründeten Ruderclubs bittet Vorstand Peter Wolfering zum Gespräch. Vom Restaurant über dem Vereinsheim aus hat man einen tollen Blick auf den Neckar. Während Wolfering, von den Vereinsmitgliedern Pewo genannt, den Ruderer als Fluss-Fanatiker beschreibt, der einen ganz anderen Draht zum Gewässer hat als die klassische schwäbische Landratte, fahren die riesigen Lastkähne Othene und Berjan vorbei. „Ich bin 1988 aus Düsseldorf hierher gezogen und bin früher schon gerudert.“ Wie zuvor Christian Szonn singt nun auch Wolfering ein Hohelied auf den Rhein. „Der Rhein ist eine Autobahn, der Neckar eine Landstraße“, sagt der Vorsitzende.

Dennoch könne man auch in Stuttgart mehr aus dem Fluss machen. „Düsseldorf hat viel Geld in die Hand genommen, um die vierspurige Straße, die den Rhein von der Altstadt getrennt hat, zu überbauen. Wenn man den Neckar näher an die Stadt rücken will, muss die Schneise B 10 genauso weg“, fordert Wolfering. Denn bisher liege ja eigentlich nur Bad Cannstatt so richtig am Fluss, alle anderen Stadtteile seien durch die Bundesstraße vom Gewässer abgetrennt. Auf seinen künftigen Nachbarn, die umstrittene Golfübungsanlage am Hofener Neckarufer, freut sich Wolfering. „So wird das bisherige Gammelland am Fluss wieder sinnvoll genutzt“, sagt der 58-Jährige.

Ob man beim Golfen künftig viel vom Neckar mitbekommen wird, sei dahingestellt. Wer den Fluss unmittelbar erleben will, sollte sich als Ruderer versuchen, entweder beim Stuttgart-Cannstatter Ruderclub oder bei der Stuttgarter Rudergesellschaft, deren Revier sich zwischen den Schleusen Untertürkheim und Bad Cannstatt befindet. Wem das Rudern zu anstrengend ist, kann sich am 20. und 21. Juli am historischen Cannstatter Fischerstechen samt Drachenbootrennen erfreuen. Noch so ein Beispiel, bei dem ein Verein zeigt, wie man den Neckar erlebbar macht.

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