Weil zwei Bäume den freien Blick auf eine Leuchtreklame am Österreichischen Platz behindern, will die Stadt sie fällen lassen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Dass sein Vorschlag getadelt werden würde, hatte David Huber gewiss geahnt. Der Planer aus dem Tiefbauamt war in den Bezirksbeirat gekommen, um sich das Fällen zweier Bäume befürworten zu lassen. Im feinstaubvergifteten Stadtzentrum müssen für eine solche Zustimmung schon mehrere gute Argumente zusammenkommen. In der Mitte Stuttgarts erfüllt nicht einmal die Stadt selbst für ihre Bauprojekte die eigene Vorgabe, dass für jeden gefällten Baum mindestens ein neuer gepflanzt werden muss – sehr zum Unmut der Lokalpolitiker.

 

Im aktuellen Fall wertete die Mehrheit der Beiräte Hubers Argument als eines der denkbar schlechtesten: Am Österreichischen Platz steht eine im Werber-Bombastsprech „Mega-Light“ genannte Reklametafel. Eine Art beleuchteter Großbildschirm, mit dessen Hilfe Werbebotschaften in Autofahrers Hirn eingebrannt werden sollen. Die eine Seite der Tafel ist frei einsehbar und strahlt ihre Slogans wunschgemäß in die Umwelt. Die andere gilt als untauglich, weil jene Bäume den freien Blick auf die Reklamesprüche verstellen, sogenannte Flugbäume, wilde Arten, die sich ohne menschliches Zutun ihre Erde zum Wurzeln gesucht haben. Sie sollen fallen.

Der Stadt geht es nicht um die Botschaft, sondern um Geld

Tatsächlich geht es der Stadt nicht um die Werbebotschaft, sondern ums Geld. Sie hat mit dem Aufsteller der Leuchtreklame einen Vertrag über etliche Standorte geschlossen. 70 000 Euro fließen für die Werbung am Österreichischen Platz in die Stadtkasse. Allerdings verweigert die Firma die Hälfte der Zahlung, weil der freie Blick nicht gewährleistet ist.

„Wir fällen Bäume für Baustellen, für Baustelleneinrichtungen, für Klohäuschen und jetzt noch für Werbeanlagen“, sagte die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle, „das ist eine Grundsatzfrage“. Womit die Meinung der Mehrheit im Beirat bereits zusammengefasst war. Zumal „wir noch keine Ersatzstandorte für das Stadtmuseum oder das Katharinenhospital haben“, wie Rita Krattenmacher für die Gemeinschaft SÖS Linke plus sagte. Nicht nur für diese Baustellen werden Bäume gefällt, ohne dass ein Platz für Nachpflanzungen gefunden ist.

Bei der Suche verhindern regelmäßig Leitungen im Untergrund, Kanäle oder Tiefgaragendecken den Erfolg. Rund 25 neue Bäume können nach Schätzungen aus dem Rathaus überhaupt noch im Bezirk Mitte gepflanzt werden.

Der Bezirksbeirat will pflanzen, aber nicht fällen

Die Ersatzstandorte hatte Huber allerdings im Angebot, sogar in unmittelbarer Nähe. In den schmalen Beeten entlang der Hauptstätter Straße könnten zwei zusätzliche Bäume wurzeln. Dafür gibt es keinen Hinderungsgrund. Weswegen der SPD-Beirat Matthias Vincon David Huber „die goldene Ehrennadel für das Finden von Baumstandorten“ verlieh, und die Grüne Renée Maike Pfuderer beantragte, jene beiden neuen Bäume umgehend zu pflanzen – allerdings, ohne die alten vor der Werbetafel zu fällen. Denn „das sehe ich nicht ein“, sagte Pfuderer, „der Aufsteller wusste schließlich, wo er hingeht“.

Pfuderers Antrag stimmte eine Zweidrittelmehrheit des Bezirksbeirats zu. Drei Nein-Stimmen stammten von den Christdemokraten, eine Enthaltung von der FDP. Der Gemeinderat wird diesen Beschluss voraussichtlich überstimmen. Allerdings wird der dann künftige Zustand nicht von Dauer sein. Gemäß langfristiger Pläne soll die Hauptstätter Straße umgebaut werden. Dann fallen sämtliche Bäume an ihren Rändern und werden gegen Neupflanzungen ersetzt. Bis dahin, sagte Vincon, „frage ich mich, welchen Sachzwängen wir unterliegen, Bäume zu fällen, statt eine Werbeanlage zu versetzen“.