Er hat einige Tage gezögert – nun ­äußert sich Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) zur repräsentativen Umfrage zum Thema Wohnen in Stuttgart. Der OB spricht sich für Alternativen zum Auto und gegen einen Internetpranger beim Thema Leerstand aus.

Stuttgart - Er hat einige Tage gezögert – nun äußert sich Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) zu einer repräsentativen Umfrage, deren Ergebnisse die StZ exklusiv veröffentlicht hatte. Der OB spricht sich für Alternativen zum Auto und gegen einen Internetpranger beim Thema Leerstand aus. Zudem wolle die Verwaltung prüfen, ob sich der Wohnungsmangel offiziell nachweisen lasse. Kuhn sagt . . .

 

. . . zum Thema Mobilität

Die Umfrage hat ergeben, dass, speziell in den Innenstadtbezirken, ein großer Teil der Bürger bereit ist, für das Wohnen in Stuttgart auf ein eigenes Auto zu verzichten. Dabei stellt sich die Frage: beruht dieser Trend auf der problematischen Park- und Verkehrssituation oder auf der Verfügbarkeit alternativer Verkehrsmittel?

„Wir wissen, dass es vielen in der jüngeren Generation um Mobilität geht, nicht um Autobesitz“, sagt Kuhn. Trotzdem wolle er nicht das Auto an sich verteufeln. „Daher ist es mein Anliegen, aus der autogerechten Stadt eine mobilitätsgerechte Stadt zu machen. Da spielen der öffentliche Nahverkehr, Carsharing, Rad- und Fußwege, aber auch eine intakte urbane Infrastruktur mit Wohnen, Einkaufen, Kultur und Arbeiten im Quartier eine zentrale Rolle. Ganz zu schweigen von den Herausforderungen, die uns das Thema Feinstaub und Stickoxide abverlangt“, so Kuhn.

. . . zum Leerstand bei Wohnungen

Mehr als 11 000 Wohnungen in Stuttgart stehen leer. Das hat der OB in seinem Wohnungspapier selbst thematisiert. Wie lässt sich diese Zahl konkret reduzieren?„Erst mal muss einen die hohe Zahl von leeren Wohnungen wundern, wo wir gleichzeitig einen Mangel an Wohnungen beklagen und viel Geld in die Hand nehmen, um Abhilfe zu schaffen. Gleichzeitig sind die Gründe für Leerstand vielschichtig“, erklärt Kuhn. Er habe allerdings Zweifel, dass ein Online-Pranger für Eigentürmer, die ihre Wohnungen nicht zur Vermietung anbieten, ein überzeugendes Argument sei.

„Ich kann nur hoffen, dass die Diskussion über Leerstände und fehlenden Wohnraum jeden Vermieter wachrüttelt, der bisher eine Wohnung unvermietet gelassen hat. Immerhin gilt ja Artikel 14, Grundgesetz: Eigentum verpflichtet“, sagt der OB. Derzeit werde überlegt, ob es seitens der Stadt Beratungsangebote geben kann, um Wohnungswechsler oder Wohnungseigentümer mit Leerstand bei einer Neuvermietung zu unterstützen.

. . . zum Wohnungsmangel

Mietpreis- und Kappungsgrenze sowie Zweckentfremdungsverbot – ein Bündel rechtlicher Schritte zum Mieterschutz greift nur in von Wohnungsnot besonders geplagten Kommunen. Der OB und der Erste Bürgermeister Michael Föll (CDU) sprechen immer wieder über den Mangel an Wohnraum, offiziell wurde dieser aber noch nicht ausgerufen. Unter anderem die SPD fordert derzeit von Fritz Kuhn, mittels kommunaler Satzung den Wohnungsmangel offiziell zu erklären und sich so dafür einzusetzen, dass das Zweckentfremdungsverbot in Stuttgart greifen kann.

„In der Tat, die Verwaltung prüft derzeit, ob das Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum in Stuttgart angewendet werden kann. Das bedeutet, wir müssen einen Wohnraummangel nachweisen, um eine Satzung erlassen zu können“, sagt der Oberbürgermeister. Das Gesetz mache jedoch eine Einschränkung, erklärt der Oberbürgermeister. „Die Gemeinden können Maßnahmen nach diesem Gesetz treffen, soweit sie diesem Wohnungsmangel nicht mit anderen zumutbaren Mitteln in angemessener Zeit begegnen können“, heißt es in der Drucksache des Landtags. Die Reihenfolge sei somit klar, sagt Kuhn: „Erst prüfen – nicht nur formal, sondern auch, ob wir das gewünschte Ziel, Wohnraum zu sichern, mit dem Zweckentfremdungsverbot erreichen können – dann entscheiden.“ An seiner Einschätzung ändere sich aber nichts: „Stuttgart braucht mehr Wohnraum, vor allem mehr bezahlbaren Wohnraum.“

. . . zum Bündnis für Wohnen

Hamburg hat es vorgemacht, in Stuttgart wird ein Wohnungspakt zwischen privater Bauwirtschaft, Mieterverein, Eigentümern und Stadt immer lauter gefordert. Das Verhältnis zwischen OB und Haus- und Grundbesitzerverein gilt derzeit als sehr unterkühlt. Ist ein solches Bündnis trotzdem möglich?

„Mein Amtszimmer ist ein permanentes Bündnis für Wohnen, und zwar nicht nur, wenn Kommunalwahlen bevorstehen. Als Oberbürgermeister spreche ich mit allen, die ein ernsthaftes Interesse an der Weiterentwicklung des Wohnungsmarkts in Stuttgart haben“, so Kuhn. Aus seiner Sicht sei es wichtig, dass dieses Politikfeld wieder intensiv bearbeitet werde. „Dazu zählt auch der auf meinen Vorschlag hin beschlossene Unterausschuss Wohnen. Genau da ist der Ort, um über weitere Initiativen zu debattieren“, erklärt Fritz Kuhn.

Pro Autobesitz

Die Freiheit nehm ich mir, sagt StZ-Redakteur Christian Milankovic. Der Autofahrer meint, wer in der eigenen Karosse durch die Stadt fährt, muss sich kein schlechtes Gewissen einreden lassen.

Dieser Text beginnt mit gleich zwei Geständnissen. Ja, ich bin als Nutzer bei Car2go registriert. Und ja, ich kann mich unfallfrei im VVS-Netz bewegen. Ich nutze die Elektroflitzer, wenn ich eine One-way-Strecke in der Stadt zurücklege und ich fahre Bus und Bahn, wenn es nicht eilt und ich meine Fahrt im Voraus planen kann. Und trotzdem steht ein Auto vor meiner Haustüre. Was sicherlich auch daran liegt, dass in dem Teil der Stuttgarter Innenstadt, in dem ich wohne, am Straßenrand noch Platz ist für ein Auto. Ich finde eine Lücke, ohne eine längere Strecke auf der Suche nach einem Parkplatz zurücklegen zu müssen. Wer nicht gerade in Mikrokosmen wie dem Westen oder dem Süden wohnt, dem dürfte es ähnlich gehen.

Flexibilität ist Trumpf

Auch wenn die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel oder von Carsharing-Mobilen durch Smartphoneanwendung immer komfortabler zu buchen und zu planen ist, bleibt die eigene Karosse doch vor allem eins: unschlagbar flexibel. Wenn es bei der Arbeit mal wieder einige Minuten länger dauert, sitze ich nicht mit gebanntem Blick auf die Uhr da, weil sich der Feierabend auch noch am Fahrplan orientieren muss. Und wenn der Haushaltsvorstand anruft und zur Neige gehende Sprudelvorräte meldet, muss ich mich nicht erst auf die Suche nach einem fahrbaren Untersatz für die Getränkekiste machen. Es sei eingeräumt: drei Tomaten, sechs Eier und ein frisches Brot lassen sich auch ohne Auto transportieren, wenn’s ein bisschen mehr sein darf, sinkt der Komfort aber rapide. Und jeden Abend in Kleinstportionen die Versorgung sicherzustellen, erscheint mir das Gegenteil von effizient zu sein.

Die schönen Sprüche von der neuen Mobilität

Ich bin mir auch dessen bewusst, dass die Nutzung der eigenen Beine nicht zwangsläufig zu deren Schädigung führen muss, und auch mein Fahrrad bleibt ohne Stützrädle in der Senkrechten. Aber das sind eben alles ergänzende Möglichkeiten, die das Auto nicht komplett ersetzen werden können. Zwar höre ich seit geraumer Zeit aus dem Rathaus, dass an den Mobilitätskonzepten der Zukunft gefeilt werde. Doch was da aus den kommunalen Denkerstuben herausdringt, hat so gar nichts Innovatives. Lässt man die Luft aus den Sprechblasen, läuft es doch immer auf das eine Credo raus: Bürger, fahrt weniger Auto, denn nur so ist die Stadt zu retten. Ein bisschen dünn, wenn man angetreten ist, aus der Auto- eine Mobiltätsstadt machen zu wollen.

Einstweilen nehme ich mir also weiter die Freiheit, denn – auch wenn das auszusprechen nicht mehr in die Zeit zu passen scheint – das eigene Auto zu fahren macht auch noch eine ganze Menge Spaß.

Kontra Autobesitz

Kann man haben, muss man nicht, sagt StZ-Redakteurin Christine Bilger. Die Autostehenlasserin
, meint Genießer fahren Fahrrad oder ÖPNV – und sind damit in Stuttgart fast immer schneller da.

Es gibt in der Tat ein Problem, wenn man sich in Stuttgart ohne Auto bewegt: Man kommt aus dem Rechtfertigen nicht heraus. Erst recht dann nicht, wenn man wie ich ein Fahrzeug besitzt, es aber gelegentlich stehen lässt. „Du hast doch ein Auto?“, kommt als Einwand so zuverlässig wie das Amen in der Kirche.

Die App hilft bei der Haltestellensuche

Trotzdem lasse ich es stehen, und zwar weil das besser ist. Ein Leben ohne Auto ist möglich – erst recht in Stuttgart. Zwei Stadtbahn- und zwei Buslinien in einem Radius von drei bis fünf Gehminuten von der Wohnung entfernt, so schnell sind viele nicht nach der allabendlichen Parkplatzsuche an der Haustür. Apropos schnell: wenn wir uns in der Stadt treffen, bin ich ohne Auto ohnehin vor allen anderen da. Mit etwas Übung und der passenden App auf dem Handy weiß ich immer, wie weit die nächste Haltestelle entfernt ist und welche Bahnen und Busse dort in den nächsten Minuten starten werden. Das große gelbe Taxi, wie wir ÖPNV-Nutzer liebevoll-spöttisch über Stadtbahn und Bus sagen, bringt mich an die meisten Punkte bis nahezu vor die Haustür: Ob ich dienstlich zum Polizeipräsidium, ins Rathaus oder auf den Wasen muss, privat ins Kino, zum Sport oder ins Theater: einsteigen, Zeitung lesen, ankommen – und dann warten, bis alle anderen ihre Parkplatzsuche beendet haben. Das Geld, das die automobilen Kollegen und Freunde im Parkscheinautomaten versenken, setze ich in der Zeit genüsslich in einen Kaffee um. Günstiger ist es auch noch, sich nicht individuell motorisiert fortzubewegen. Was die Monatskarte kostet, dafür kann ich mein Auto in manchen Parkhäusern gerade mal 18 Stunden lang abstellen.

Die Topografie ist kein Argument

Widerspruch regt sich auch, wenn ich vom Fahrradfahren in Stuttgart schwärme: „Aber die Hügel!“ Ja, die gibt es. Talwärts machen die Laune, in umgekehrter Richtung haben sie die angenehme Eigenschaft, im Lauf des Sommers vermeintlich zu schmelzen, sprich: Wenn die Fitness steigt (noch so ein Pluspunkt), nerven die Hügel nicht mehr so. Und für die Fahrt ins Pressehaus nach Möhringen, das gebe ich sportlich zu, hilft mir die U 12 vom Charlottenplatz bis Degerloch, unverschwitzt im Büro zu erscheinen. Auch der Einkauf wird auf zwei Rädern erledigt – was zugegeben bei der bequemen Nähe meiner Wohnung zum Supermarkt kein Leistungssport ist.

Ich habe ein Auto. Ich fahre auch gerne Auto. Aber als es neulich kaputt war und ersetzt werden wollte, habe ich ernsthaft überlegt, diese Anschaffung zu vermeiden. Mobilität ist auch ohne eigene Blechkarosse möglich. Ich kaufe nun doch ein neues. Aber wie beim Vorgänger wird es immer wieder unbenutzt im Hof bleiben dürfen.