Die Diskussion um die Zukunft der Stadt ist in vollem Gange. Eine große Chance. Stuttgart könnte eine Modellstadt für gutes Leben werden, meint Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Aus gegebenem Anlass kommt an dieser Stelle ein großer gallischer Denker zu Wort, Obelix mit Namen, dem seine deutsche Übersetzerin Gudrun Penndorf einst die berühmten Worte in den Mund gelegt hat: „Die spinnen, die Stuttgarter.“ Oder so ähnlich. Und das trifft ja auch zu. Stuttgart spinnt – in einem positiven Sinne. Selten haben in dieser Stadt so viele Leute so viele Gedanken um die Zukunft Stuttgarts gesponnen. Unter der Überschrift Stadtentwicklung entstehen Gedankenskizzen, Entwürfe, Pläne. Auch Luftschlösser sind dabei und Wolkenkuckucksheime. Utopien. Warum nicht? Wäre der Name nicht schon vergeben, könnte man sagen, es geht um Stuttgart 21 – die Stadt im 21. Jahrhundert als Ganzes. Und natürlich gehört auch das Thema Bahnhof und Bahnhofsumfeld dazu.

 

Stuttgart, das fällt positiv auf, beschäftigt sich mit seinen Perspektiven. Dabei darf gerne auch gesponnen werden, um eingefahrene Wege und Stadtautobahnen zu verlassen. „Es braucht eine gehörige Portion Verrücktheit, um gewisse Dinge zurechtzurücken“, bemerkte der Schweizer Autor Walter Ludin treffend. In Stuttgart bedarf es dafür einer besonders großen Portion Verrücktheit – was einerseits an den topografischen Gegebenheiten liegt, die den Spielraum beschränken, andererseits an Einstellungen. Genauer gesagt: an Beharrungskräften.

Viele blicken auf Stuttgart

Aktuell jedoch scheint in Stuttgart ein gutes Klima für Verrücktheiten zu herrschen oder zumindest für Veränderungen – was für manche Schwaben schon verrückt genug ist. Dieser Veränderungswille folgt einem äußeren Impuls: der Luftqualität, die in den letzten Jahren zwar deutlich besser wurde, an bestimmten Stellen im Kessel aber eben noch nicht gut genug ist. Das schafft Probleme – und bietet zugleich Chancen. Andreas Hellmann, Vorsitzender des Bundesverbandes der Pneumologen, drückt es diese Woche so aus: „Jetzt schauen alle nach Stuttgart, denn hier wird sich entscheiden, wie wir in Zukunft mit dem Problem umgehen.“

Aus dem Feinstaub-Impuls entspringen glücklicherweise nicht nur Fahrverbote, sondern auch Ideen für neue, teils ergänzende, teils alternative Formen von Mobilität. Ansätze dazu finden sich im millionenschweren Mobilitätspakt, den CDU, Grüne und SPD in dieser Woche vorgestellt haben. Sie wollen Busse und Bahnen attraktiver machen – durch die Einführung einer einheitlichen Tarifzone und kürzere Taktzeiten. Parallel dazu werden Spinnereien auf Mach- und Finanzierbarkeit geprüft – etwa die grüne Idee einer Seilbahn zwischen Möhringen und Vaihingen. Kein Hirngespinst, sondern ein konkreter Plan ist eine E-Bus-Linie.

Die Stadt als Laboratorium

Der zweite große Impuls für die Diskussion um Neu-Stuttgart kommt aus der bevorstehenden Sanierung des Opernhauses und der Suche nach einer Ausweichspielstätte. Der Verein „Aufbruch für Stuttgart“, eine Anlaufstelle für engagierte Gedankenspinner, hat aus diesem Anlass die alte Idee einer Kulturmeile oder eines Kulturquartiers im Herzen der Stadt neu aufgerufen und trägt sie in die Breite. Das alles ist höchst spannend. Auch im Hinblick auf die Internationale Bauausstellung, die am Horizont heraufzieht und als starker Impulsgeber in die Region hineinwirken kann – besonders beim Megathema Wohnen. Stuttgart ist priviligiert, es entwickelt sich zum Laboratorium. Die Stadt hat die Chance und das Potenzial, eine Modellstadt für gutes Leben zu werden. Ungesponnen.

jan.sellner@stzn.de