In der Uni diskutieren Experten über die „Kreative Stadt“ und deren wirtschaftliche Perspektiven. Der Blick über den Tellerrand zeigt Erfolge und Misserfolge.

Stuttgart - Außerhalb des angelsächsischen Wissenschaftsbetriebs gilt Humor nicht unbedingt als eine Waffe, mit der sich Forscher gegenseitig argumentativ bekämpfen. Umso erfrischender ist es, wenn dann doch einmal ein Wissenschaftler seinen Vortrag mit leicht ätzender Gemeinheit würzt, so wie bei der Diskussion über die sogenannte „Kreative Stadt“, die die Stuttgarter Universität dieser Tage unter großem Publikumsinteresse auf dem Campus führte.

 

Alain Thierstein, Professor am Lehrstuhl für Raumentwicklung der Technischen Universität München, spottete über jene Leitbilder und Schlagworte, denen die deutschen Stadtplaner seit Jahrzehnten hinterherhechelten: „In den achtziger Jahren wollte jede Region ihren Technologiepark, seit einigen Jahren reden alle über die kreative Stadt“, und selbst dieses Ideal sei inzwischen bereits wieder aus der Mode gekommen. Nun sei die nachhaltige Stadt schwer angesagt. Der Klimawandel hat das Leitbild verändert.

Doch jenseits des Spotts entspann sich im Tiefenhörsaal tatsächlich eine Debatte, die auch im städtebaubewegten Stuttgart nachhallen könnte. Was tut die Stadt eigentlich für ihre Kreativen? Für Architekten, Designer, Modeschöpfer, Werber – mit denen sie sich im Erfolgsfall so gerne schmückt?

Zwischennutzung ist das Modewort

Bereits eine Menge, findet Ines Aufrecht, und sie muss das so sagen als Chefin der städtischen Wirtschaftsförderung. Sie redet über den Standort Türlenstraße, über das frühere Gründerzentrum H 7 und über die Nachfolgelösungen für die früheren Mieter des Baus in der Heilbronner Straße, die nun unter anderem im Filmhaus und in der Ossietzkystraße weiterarbeiten könnten. Aufrecht verweist auf die Bruttowertschöpfung in Höhe von zuletzt sechs Milliarden Euro, die die Kreativbranche allein in Stuttgart erwirtschafte. „Das ist ein enormes Potenzial.“

Doch nicht alle Träume der Existenzgründer erfüllen sich – viele Kreative scheitern immer noch daran, dass sie keine geeigneten Räume finden. Und schon geht es in der Debatte um ein neues Zauberwort, das in Mode gekommen ist: die Zwischennutzung. Aufrecht kündigt auf dem Stuttgarter Campus an, dass die Wirtschaftsförderung ein „Zwischennutzungs-Management“ einführen will.

Die kreative Klasse werde von jenen Standorten besonders angezogen, an denen Technologie, Toleranz und Talente gedeihen würden. Aufrecht skizzierte in ihrem Vortrag einen Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, in der Städte in Konkurrenz zueinander stünden.

238.000 Unternehmen arbeiten in der Kreativwirtschaft

Manchmal hilft auch der Blick über den eigenen Tellerrand weiter – und kreatives Kopieren. Franz Pesch, der Leiter des Instituts für Städtebau an der Uni Stuttgart, beschreibt die Verwandlung des Viertels Soho in New York. „In den sechziger Jahren sind die Unternehmen aus dem traditionellen Textilviertel geflohen, woraufhin viele Künstler und Studierende eingezogen sind. Inzwischen habe sich Soho mehrfach gehäutet, nun seien die Preise hoch, das Viertel eine Touristenattraktion und die New Yorker Szene längst weitergezogen. Auch an das Ruhrgebiet erinnert Pesch – an das Viktoriaquartier in Bochum und an die Zeche Zollverein in Essen.

Beeindruckend seien die von der Bundesregierung für das ganze Land vorgelegten Zahlen. Pesch listet sie auf: In der Kreativwirtschaft arbeiteten 238 000 Unternehmen und rund eine Million Erwerbstätige, „damit liegt die Branche inzwischen vor der Chemieindustrie“.

Doch Pesch warnt auch davor, sich vom oberflächlichen Glanz blenden zu lassen. In Berlin boome das Prekariat der Kreativwirtschaft mit vielen Geringst- und Zuverdienern, was in der Hauptstadt zunehmend negativ wahrgenommen werde und sich in dieser Schlagzeile bündelte: „Sehnsucht nach der Wiederentdeckung des Blaumanns.“

Der wird in Stuttgart – trotz des Strukturwandels in der Wirtschaft – noch oft genug angezogen. Und doch kommen fast alle Teilnehmer der Debatte in der Uni auf ein Industriegebäude zu sprechen, das heute vor allem von Künstlern und anderen Kreativen genutzt wird: auf die Wagenhallen am inneren Nordbahnhof. „Die waren schon aus dem Stadtgedächtnis entglitten“, sagt die Architektin Wallie Heinisch, „inzwischen sind sie ein in Stuttgart einmaliger Kulturbetrieb.“ Heinisch lässt anklingen, dass bei den Wagenhallen zunächst vieles nicht wegen, sondern gegen die Stadt durchgesetzt wurde. Im Umgang mit seinem wertvollen Gebäudebestand und mit „Halbfertigem“, besitze Stuttgart „keine nennenswerte Strategie“.