Andrea Nuding hat durchs Gerberviertel geführt. Die Autorin und Fotografin hat etwa 40 interessierten Menschen die historischen und die modernen Seiten des Innenstadt-Quartiers gezeigt.

S-Mitte - Als es auf die Dachterasse des Einkaufszentrums Gerber geht, macht sich in der 40-köpfigen Gruppe Begeisterung breit: „Man könnte denken, wir sind hier ebenerdig“, schwärmen die Besucher. Unter der Führung von Andrea Nuding besichtigen die Frauen und Männer das Gerberviertel. „Hier drunter wird gerade eingekauft, was das Zeug hält“, sagt Andrea Nuding.

 

Auf dem Dach des Einkaufszentrums sieht es tatsächlich aus wie in einem normalen Wohngebiet. Es gibt große und kleine Häuser, Büroräume und einen Spielplatz. Doch hinter den Häusern geht es zwei Stockwerke in die Tiefe. Auf der Terasse ist man auf Augenhöhe mit dem einen oder anderen Kran, man kann den Tagblatt-Turm aus der Nähe betrachten und schaut aus seinem Garten oder von seinem Balkon auf die Dächer der Innenstadthäuser. Auf die Dachterasse dürfen eigentlich nur die Anwohner, für die Führung wurde eine Ausnahme gemacht.

Der Nesenbach fließt unterirdisch

Nuding macht seit 20 Jahren Stadtführungen in den Innenstadt-Quartieren. Vor kurzem hat die Autorin und Fotografin das Buch „Heusteig, Gerber, Bohnenviertel – Stuttgarts 14 Innenstadt-Quartiere“ veröffentlicht. „Das Gerberviertel hat seine Grenzen an der Paulinenbrücke, der Hauptstätter Straße und der Königstraße“, erklärt sie ihren Gästen.

Die Gerber, nach denen das Viertel benannt ist, haben rohe Tierhäute zu Leder verarbeitet. „Für ihre Arbeit haben sie viel Wasser gebraucht“, erklärt Nuding. Deshalb haben sie sich am Nesenbach angesiedelt. Der Bach ist heute unterirdisch, sein Verlauf ist aber abschnittsweise durch Gitter und Rinnen gekennzeichnet. Dass das Wasser ein ganzes Stück unter dem Bode verlaufen muss, kann man an einem Haus an der Gerberstraße erkennen. Es ist ein weißes Gebäude mit grünen Fensterläden – das letzte erhaltene Gerberhaus. Die Besonderheit: es steht auf einer anderen Ebene als die Nachbarshäuser. „Daran sieht man, wie tief unten der Nesenbach fließt“, erklärt Nuding.

Dachterasse bietet Privatspäre für Anwohner

Einer der Höhepunkte des Gerberviertels ist für Andrea Nudung der Tagblatt-Turm. Seinen Namen hat der Turm vom Stuttgarter Neuen Tagblatt, das von 1928 bis 1943 dort seinen Sitz hatte. „Der Hirsch ist das Wappentier der Württemberger und hier mit 250 Glühbirnen beleuchtet“, sagt Nuding. Nebenan hat der Dichter Friedrich Schiller einige Jahre gelebt. Ein Gedicht von ihm darf bei der Führung natürlich nicht fehlen.

Eine weitere Station ist das Neeffhaus an der Gerberstraße 2. Dieses bietet Platz für Frauen, die eine Unterkunft benötigen. „Das ist eine ganz wichtige Einrichtung mitten in der Stadt“, sagt Nuding. Überhaupt würde man im Gerberviertel nicht ahnen, direkt in der Innenstadt zu sein. „Es ist ein Wohnviertel, deshalb ist es so gemütlich“, sagt die Autorin.

Für die Menschen, die in der Innenstadt leben, sei es wichtig, dass sie zuhause ihre Ruhe haben, meint Nuding. Deshalb sei das Dach des Gerbers auch nicht öffentlich zugänglich. „Die Leute brauchen diese Privatsphäre“, erklärt sie. Von der Privatsphäre auf dem Dach bekommen die Kunden des Einkaufszentrums nichts mit. Seit das Gerber da ist, ist das Viertel viel stärker frequentiert, meint Nuding. „Für 250 Millionen Euro wurde es gebaut. Es gibt Wohnungen in allen möglichen Größen, aber die sind soweit ich weiß alle vermietet“, sagt sie. Schade – finden die Teilnehmer der Tour. Sie haben sich dort oben wohl gefühlt.