Vor 50 Jahren haben die ersten Politessen in Stuttgart ihren Dienst aufgenommen. Für manche Männer war es ein Kulturschock, von einer Frau verwarnt zu werden. Doris Wetzel erinnert sich an Beleidigungen und Komplimente.

Stuttgart - Manchmal sind die Männer durchgedreht, wenn Doris Wetzel mit ihrem Notizblock näher kam und Strafzettel verteilte. Dann bekam die junge Frau harsche Worte zu hören: „Das sind die letzten Banditen, die sogar bei Regen Strafzettel verteilen!“ Andere Autofahrer verstiegen sich zu Beleidigungen, die mittlerweile ein bisschen aus der Mode gekommen sind: „Flintenweiber“ seien das, die unschuldige Männer behelligten. „Damals glaubten manche Männer noch, dass Frauen hinter den Herd gehörten, die wollten sich nicht von mir sagen lassen, dass sie falsch parken.“

 

Sie mussten es aber. Vor 50 Jahren haben in Stuttgart die ersten Politessen ihre Arbeit aufgenommen. Doris Wetzel war eine von jenen Frauen, die am 1. April 1965 ihren Dienst bei der Polizei antraten. Von 70 Bewerberinnen waren 14 genommen worden (siehe Albumfoto links unten). Bevor Doris Wetzel eingestellt wurde, überprüfte die Polizei nicht nur ihre Fähigkeiten, sondern auch, ob man bei ihr von „einwandfreien persönlichen Verhältnissen“ ausgehen könne. Man konnte. Und so begann Doris Wetzel ihre Ausbildung zur Politesse mit ihren neuen Kolleginnen in der Villa Gemmingen in der Mörikestraße. Wenn sie heute – ein halbes Jahrhundert später – in ihrem Fotoalbum blättert, sieht sie, was damals auf dem Unterrichtsplan stand: „1. Öffentliche Ruhe, 2. Öffentlicher Anstand, 3. Öffentliche Sittlichkeit.“

„I hau Dir d’ Gosch voll!“

Der Zeitgeist ist zwar noch vom Nachkriegs-Biedermeier geprägt, und nicht nur unter den Talaren gab es Muff von tausend Jahren. Doris Wetzel und ihre Kolleginnen mussten sich als Politessen in einer Welt behaupten, in der die Männer am Steuer und die Frauen meist noch auf dem Beifahrersitz saßen. „Für manche Autofahrer war es schon schwierig, von einer Frau in Uniform zurechtgewiesen zu werden“, erinnert sich die heute 72-Jährige, die mit ihrem Mann in Weilimdorf lebt. Doris Wetzel musste sich durchsetzen. „Mit Standhaftigkeit und Freundlichkeit“ hat sie sich behauptet und auch dann die Nerven bewahrt, wenn ein aufgebrachter Parksünder ihr androhte: „I hau dir d’Gosch voll!“

Zwischen Halteverbotszonen, Parkuhren und Ladezonen waren die Politessen für viele Stuttgarter zunächst unbekannte Wesen, mit deren Weisungsbefugnis sie sich erst anfreunden mussten. Zu Doris Wetzels Dienstuniform gehörten Kappe, Bluse und Rock, abgerundet wurde das Ganze durch eine „dezente Schminke“, die auch der männliche Vorgesetzte nicht als anstößig empfand. Doris Wetzel kann sich gut an jenen Spruch erinnern, den sie damals am häufigsten zu hören bekam: „Bei welcher Fluglinie arbeiten Sie denn?“