Stuttgart ist in Bewegung, doch viele Akteure kreisen um sich selbst. Es braucht mehr Austausch in der Stadt, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Stuttgart dreht sich. Um sich selbst und um die immer selben Themen. Ein ewiger Kreislauf. Wie bei den beiden Riesenrädern, die auf dem Cannstatter Wasen stehen. Als wenn die Gondeln Namen tragen würden: Feinstaub, Stickoxide, Fahrverbote, B 14, Stuttgart 21, Kulturquartier. Nach einer Umdrehung kehren sie in derselben Reihenfolge wieder.

 

Das gilt auch für die mitreisenden Akteure im Riesenrad Stuttgart. Engagiert, bisweilen selbstbezogen kreisen sie um ihre Lieblingsthemen: der Handel, der regelmäßig Versäumnisse der Stadt beim Thema Verkehr beklagt. Die Aktivisten der Umwelthilfe und anderer Umweltorganisationen, die dasselbe tun – allerdings aus der entgegengesetzten Richtung. Die alten Streiter gegen Stuttgart 21, die ihren Protest endlos fortsetzen – obwohl alles zu spät ist. Die notorischen Bruddler mit der Tendenz, Stuttgart von oben zu betrachten. Die Veränderer, die sich vorgenommen haben, das große Rad zu drehen. Teile des Gemeinderats und der Verwaltung, denen sich das Rad jetzt schon zu schnell dreht. Schließlich Oberbürgermeister Fritz Kuhn, der all das um sich kreisen sieht, mal hier zusteigt, mal dort, in der Hoffnung, das Riesenrad Stuttgart steuern zu können.

Wie wär’s mit einem Perspektivwechsel?

Stuttgarter Kreise. Neben den hier genannten gibt es noch viele andere. Die Frage ist, wie berühren sie sich? Oder verharren sie in ihren Aufhängungen? Klar ist: Wer für sich allein unterwegs ist, bewegt nichts. Spannend wird die Gondelei in der Stadt, wenn die Akteure ihre Gondeln auch mal wechseln oder sich zusammentun – wie diese Woche der Mieterbund und die Stuttgarter Haus- und Grundbesitzer in dem gemeinsamen Bestreben, mehr bezahlbaren Wohnraum in Stuttgart zu schaffen.

Interessant wird es auch dort, wo die Stuttgarter Kreise sich die Mühe machen, die Perspektive zu wechseln und die eigene Rolle zu hinterfragen. Zum Beispiel: Was kann der Handel selbst tun, um das Einkaufen in der City attraktiver zu machen? Oder: Wie kann die Stadtverwaltung Verfahren der Bürgerbeteiligung so gestalten, dass sich eine größere Zahl von Bürgern davon angesprochen fühlt?

Dialektik steht der Heimatstadt Hegels gut

Spannend ist es außerdem dort, wo Themen buchstäblich zusammengedacht werden – mit dem Mut zu alternativen Entwürfen. Das war seinerzeit bei den K-21-Anhängern der Fall. Heute ist das mit anderer Stoßrichtung, jedoch ebenfalls mit großem Nachdruck beim Aufbruch Stuttgart festzustellen. Der Verein denkt inzwischen weit über das geforderte Kulturquartier hinaus. Dass seine teils groben Skizzen Widerspruch hervorrufen und kritische Debatten auslösen, ist kein Makel, sondern Ausweis einer lebendigen Stadtgesellschaft. Diese Dialektik steht der Heimatstadt Hegels ausgezeichnet. Das Kontrastprogramm liefert in diesen Tagen CDU-Fraktionschef Alexander Kotz, der die in einem Positionspapier formulierten, zaghaften Visionen von OB Kuhn für Stuttgart 2030 kurzerhand vom Tisch wischt. Statik statt Bewegung – daran krankt die Kommunalpolitik.

In dieser Hinsicht braucht das ansonsten pulsierende Stuttgart in der Tat einen Aufbruch. Dazu gehört, dass auch andere Themen Aufmerksamkeit finden. Einige Gondeln am Riesenrad Stuttgart möchte man neu beschriften: Um Kinder, um behindertengerechte Angebote, um Integration und um digitalen Wandel sollte sich mehr drehen. Immerhin erhebt die Stadt den Anspruch, eine Attraktion sein.

jan.sellner@stn.zgs.de