Schmuckstücke oder Schandflecke – Planer entscheiden darüber, wie Plätze, Quartiere oder Straßenzüge aussehen. Wir stellen Beispiele moderner Stadtgestaltung in der Region vor. Heute: die zurückeroberte Ortsmitte von Rudersberg.

Rudersberg - Wer sich durch die Ortmitte von Rudersberg im Rems-Murr-Kreis bewegt, der fühlt sich nicht mehr länger wie auf einer Durchgangsstraße. Auf einigen Hundert Meter Länge sind viele Asphaltflächen verschwunden, es gibt kaum Verkehrsschilder mehr, eine Pflasterung mit sandgelben rechteckigen Steinen verbreitet anheimelndes Flair. Statt Verkehrsschildern säumen nun dunkle Lampenmasten die Fahrbahn der Landesstraße. Die Fahrbahn ist ähnlich gestaltet wie der Gehsteig, großformatige Blumentöpfe garnieren die Szenerie. Vorher-nachher-Bilder auf der Ortshomepage dokumentieren, wie sich alles verändert hat – Rudersberg ist nun kein Straßendorf mehr.

 

Sieht sie so aus, die Vision des niederländischen Verkehrsplaners Hans Mondermann? Er betrachtet alle Verkehrsteilnehmer als gleichberechtigt und fordert, Schilder abzuschaffen sowie Straßenflächen und Gehsteige optisch zu vereinheitlichen – hin zum sogenannten Shared Space, dem von allen Verkehrsteilnehmern geteilten Raum.

„Mir gefällt es gut“, sagt Stephan Oehler, Verkehrsplaner der Stadt Stuttgart, der unter anderem an der Planung für den Umbau der Tübinger Straße in Stuttgart beteiligt war, als er durch die neue Rudersberger Ortsmitte geführt wird. „Aber ganz richtig Shared Space ist es nicht“, betont Oehler und deutet auf den Rinnstein, der als Abwasserrinne dient. Es ist eine Eigenentwicklung der schwäbischen Firma Braun-Steine, die ganz unbescheiden unter dem Namen „Park Avenue“ vermarktet wird. Der drei Zentimeter hohe Rest eines Randsteins steht letztlich für einen Kompromiss, den die Gemeinde und ihre Planer mit dem Regierungspräsidium Stuttgart (RP) ausgehandelt hatten. Deren oberste Straßenplaner sahen das Rudersberger Vorhaben nämlich anfänglich mit Skepsis.

Im Jahr 2007 haben die Rudersberger eine Umgehungsstraße abgelehnt

Den Start des Projektes bestimmte des Volkes Wille: Im Frühjahr 2007 lehnten die Rudersberger per Bürgerentscheid eine Umgehungsstraße ab, die das Wieslauftal mit einem Straßendamm durchschnitten hätte. Der SPD-Mann Martin Kaufmann, der kurz darauf Bürgermeister wurde, versprach einen anderen Umgang mit Verkehrsproblemen. Mit Konzepten, wie sie vereinzelt bereits in einigen norddeutschen Kommunen erprobt wurden – die aber für die Region Neuland waren. Beim ersten Termin mit der Straßenbauverwaltung seien drei Controller der Behörde aufgetaucht, erzählt Kaufmann heute. „Denen habe ich gesagt, wir zahlen das.“ Damit sei der größte Widerstand verpufft, sagt der Schultes. Das Verfahren erinnere ihn ans Schachspiel: „Man muss die Züge des Gegners vorausahnen können.“

Fünf Jahre lang wurde geplant, 2012 begannen die Bauarbeiten, im März 2015 feierte Rudersberg die Übergabe. 3,5 Millionen Euro hatte der Umbau am Ende gekostet, knapp 600 000 Euro an Zuschüssen gab es. „Acht Jahre sind für einen solchen Planungsprozess bis zur Umsetzung eine relativ kurze Zeit“, sagt Stephan Oehler.

Wenn der Stuttgarter Planer mit dem Bürgermeister Martin Kaufmann spricht, wird deutlich, dass beide die Handelnden von Landesseite gut kennen, die solche Projekte anfangs bremsten, jetzt aber fördern. Inzwischen findet man befürwortende Statements des Verkehrsministers auf der Projektseite. Häufig schauen Besuchergruppen vorbei, um sich ein Bild von der Rudersberger Lösung zu machen. Die Krönung jedoch ist Mitte Oktober der Deutsche Verkehrspreis gewesen, bei dem Rudersberg mit dem Motto „Eine Gemeinde erobert ihre Mitte zurück“ einen zweiten Preis erhielt – hinter Kassel und auf Augenhöhe mit Hamburg.

Dem Planer gefallen auch die blauen Beleuchtungssteine

„Man ist ja früher Träumer genannt worden, wenn man gesagt hat, dass Autofahrer und Fußgänger dieselben Flächen benutzen sollten“, erinnert sich Stephan Oehler. Aber das für ihn schlüssige Konzept habe noch mehr Vorteile. Dem Stuttgarter Planer gefallen an der Gestaltung etwa die Leuchten in Rudersberg, die an den Rand der Fahrbahn geholt wurden und die Straße nun optisch begrenzen. Als schön empfinde er auch die ins Pflaster eingelassenen blauen Beleuchtungssteine. Sie markieren einen ehemaligen Bachlauf. Angesichts der neuen großen Blumentöpfe runzelt Oehler indes leicht die Stirn. „Sie sollten sehen, wie das im Frühjahr blüht“, sagt hingegen Bürgermeister Kaufmann.

Ein Detail an der Abzweigung zur Welzheimer Straße gefällt Stephan Oehler dagegen sehr – die Art der Pflasterung zeigt dort nicht mehr klar, ob Autos oder Fußgänger Vorrang haben. Ein Mittel von Shared Space – dank einer Gestaltung als Mischverkehrsfläche wird das Tempo verlangsamt und schafft neue Sicherheit.

Eine deutliche Sprache sprechen auch die Zahlen: 13 000 Autos täglich waren dem Ort geweissagt worden, inzwischen sind es weniger als 7000. Auch die Zahl der Lastwagen hat um ein starkes Drittel abgenommen. Und kürzlich hat Rudersberg beim RP ein Durchfahrtsverbot für alle Lastwagen mit mehr als 7,5 Tonnen beantragt.