Leipzig gilt als die derzeit am schnellsten wachsende Großstadt Deutschlands. Auch wenn begleitende Schattenseiten damit nicht ausbleiben. Am Wochenende steigt eine riesige Sause anlässlich der ersten Erwähnung vor tausend Jahren. Nicht allen gefällt das.

Stuttgart - Es war ein wenig Zufall aber eigentlich auch nicht, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Mittwoch gerade in Leipzig verkündete: Schon 2017 könnten auf deutschen Straßen die ersten selbstfahrenden Autos rollen. Denn zum Anlass nahm er einerseits das Weltverkehrsforum – eine Zukunftswerkstatt, zu der sich alljährlich in Leipzig mehr als tausend Verkehrsexperten aus 66 Ländern treffen. Zum anderen wird jener elektrische BMW i3, in dem Dobrindt vollautomatisch im Leipziger Congress Centrum vorrollte, eben hier in der sächsischen Messestadt gebaut.

 

Schon etwas vorweggenommen wird dieses Szenario nun bereits durch eine gigantische Löwenparade, mit der Leipzig am Samstag die Jubiläumswoche anlässlich seiner 1000-jährigen Ersterwähnung einläutet. Denn auch die sechs Meter hohen Wappentiere rollen dann wie von Geisterhand bewegt aus verschiedenen Stadtteilen der Innenstadt entgegen, wo sie sich zu einem riesigen Straßentheater-Spektakel vereinen. Jeder Löwe steht dabei für ein Kapitel, in dem sich die 555 000 Einwohner seit je besondere Meriten zumessen – Medien, Wirtschaft, Sport, Wissenschaft und Kultur.

Junge kreative Leute lieben Leipzig

Mithin ist gerade Leipzig nach einem schweren wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Wendeknick – durch den Verlust von 105 000 Industriearbeitsplätzen – auferstanden wie Phönix aus der Asche. Noch vor wenigen Jahren als deutsche Armutshauptstadt belächelt, mausert es sich zur Trend-Metropole. Forscher rechnen es zur Handvoll besonders angesagter „Schwarmstädte“, die gerade bei jungen und kreativen Leuten hoch im Kurs stehen und wohl auch langfristig von Wanderungsgewinnen profitieren. So wächst die Bevölkerung jährlich in der Dimension einer Kleinstadt. 2014 gab es sogar erstmals seit den 60er Jahren wieder deutlich mehr Geburten als Todesfälle. Leipzig ist inzwischen die am schnellsten zulegende Großstadt Deutschlands.

Die Wirtschaft brummt, bei neuen Jobs entwickelt man sich dank Porsche, BMW, DHL und Amazon zur Lokomotive Mitteldeutschlands. Das erhöht die Lebensqualität, das kulturelle Angebot gehört ohnehin zur ersten Liga. Dennoch sind Mieten und Abgaben noch überraschend moderat.

Experten sagen, Leipzig wird andere Städte abhängen

78 Prozent der Einwohner bewerten laut einer Umfrage ihr Leben in Leipzig heute wieder als gut oder sehr gut. Manche Experten meinen sogar, dass Leipzig inzwischen „den Rest der Bundesrepublik abhängt“. München werde zu teuer, Hamburgs Szene altere und auch der Run auf Berlin verblasse. Nicht zuletzt Dresden, der ewige sächsische Rivale, gerät plötzlich ins Hintertreffen: Im aktuellen „Focus“-Ranking zur Zukunftsträchtigkeit deutscher Wirtschaftsstandorte lässt Leipzig erstmals die stets weitaus großzügiger protegierte Landeshauptstadt klar hinter sich.

Nüchtern betrachtet kommt Leipzig im bundesweiten Maßstab damit dennoch nur auf Platz 224 unter 402 analysierten Städten und Landkreisen, weit hinter den etablierten Wirtschaftsregionen in Bayern und Baden-Württemberg. Der Feierlaune tut das jedoch keinen Abbruch.

Der Fußballverein ist noch nicht erstklassig

Genau 1000 Jahre, nachdem Bischof Thietmar von Merseburg den damaligen Flecken Auenland zwischen den Flüssen Pleiße, Elster, Luppe und Parthe erstmals in einer Chronik erwähnte, hat man eigene Höhepunkte geschaffen. Dazu gehört die Wiedereröffnung der spektakulären Kongresshalle am Zoo, in deren aufwendige Rekonstruktion Gelder aus dem Konjunkturpaket II flossen. Dazu gehört auch die Einweihung des Zwenkauer Sees mit Yachthafen, neuen Wohnsiedlungen und Naherholungsgebiet, womit sich die Kette gefluteter Tagebaurestlöcher rund um Leipzig langsam schließt. Dazu gehört allerdings nicht der erhoffte Aufstieg des Fußballvereins RB Leipzig in die erste Bundesliga. Der landete trotz massiven Red-Bull-Sponsorings in der zweiten Liga nur auf Platz fünf.

Langsam steigen die Mieten aber doch

In den Hype, der 2013 um Leipzig ausbrach und der Stadt den Beinamen „Hypezig“ einbrachte, gehört auch dieses Jubiläum. Nicht alle Einwohner können indes mit jener Dynamik mithalten. Wirklich von Wohlstand sprechen lässt sich schwer, wenn noch vor drei Jahren jeder vierte Haushalt in Gefahr lief, unter die Armutsgrenze zu fallen. Seither halbierte sich zwar die Arbeitslosigkeit auf rund zehn Prozent, was aber immer noch viel ist. Außerdem gibt es Anzeichen, dass trotz Baubooms langsam die Mieten steigen. Erste Quartiere zeigen Anzeichen von Gentrifizierung, also der Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen. Selbst der Blogger André Herrmann, auf den jenes „Hypezig“ zurückgeht, erwägt den Wegzug. Und doch zeigen Statistiken, dass es sich unter allen deutschen Unistädten nur in Duisburg noch preiswerter lebt als in Leipzig.