Ab Freitag fließt wieder Bier auf dem Cannstatter Wasen. Für vier Millionen Besucher ist das ein großes Fest, für unzählige Stuttgarter ein Ärgernis. Wir haben Daniele Linciano vom People Club und Craft-Beer-Prophet Sebastian Riedmüller zum Streitgespräch gebeten.

Stuttgart – Die einen haben schon ihr Dirndl aus dem Schrank gehängt, zwei Wochen Sonderurlaub beantragt und alle Bierzeltlieder auswendig gelernt, die anderen bügeln gerade ihr „FCK WSN“-Shirt oder haben die Stadt längst fluchtartig verlassen: Der Cannstatter Wasen spaltet die Stadt ab Freitag wieder in zwei Lager. Das können wir gut hier, wie man ja auch an S21 oder den Glaubensfrage VfB/Kickers respektive Hofbräu/Dinkelacker sieht. Es ist deswegen aber noch lange kein Idealzustand.

 

Wo die einen Tradition und Brauchtum betonen und das tatsächlich auch ernst meinen (es ist immerhin der 172. Wasen!), wenden sich die anderen mit Grauen ab, während vor ihrem inneren Auge Bilder voll vollgestopften (im besten Fall) und vollgekotzten (im gewöhnlichen Fall) Bahnen vorüberziehen. Die Fronten sind verhärtet, die Gräben ziehen sich durch Familien, Freundeskreise und Büros. Weil wir beim Stadtkind traditionelle Festivitäten, bei denen viel Bier getrunken wird, durchaus nicht verurteilen wollen, aber eben auch um den unangenehmen Rattenschwanz wissen, den ein Volksfest mit vier Millionen Besuchern nach sich zieht, haben wir zwei Kontrahenten in den Ring geladen, die beide recht verschiedene Ansichten von der Sause in Cannstatt und den Begleiterscheinungen haben.

Von Zuckerwatte bis Prosit

In der linken Ecke des Rings: Daniele Linciano, Chef des Hip-Hop-Clubs People und in diesem Jahr erstmals mit einer eigenen People-Party in der Schatzi-Bar im Sonja-Merz-Zelt vertreten – auf expliziten Wunsch der Festwirtin. In der rechten Ecke: Craft-Beer-Prophet und Transit/Bergamo-Prinzipal Sebastian Riedmüller, der in unseren kleinen Schlagabtausch nur zu gern das „FCK WSN“-Shirt überzieht. Metaphorisch gesprochen natürlich, der Mann versteht was von Stil. Und lässt Linciano erst mal den Vortritt bei der Eröffnungsrede. „Die Atmosphäre auf dem ganzen Gelände ist doch einfach unschlagbar“, legt der gleich los. „Von der Zuckerwatte bis zum Prosit ist das einfach nur herrlich.“ Er mag die Gemütlichkeit und den seiner Meinung nach gelungenen Mix aus Tradition und Moderne. „Außerdem ist es ein schöner Kontrast zu unserem Alltag“, fährt er fort. „Das People ist ja 365 Tage im Jahr ein Hip-Hop-Club, in den wir uns gesamte Energie reinstecken. Da ist der Wasen eine willkommene Abwechslung, um mal loszulassen.“

Trachten, Chucks und tolle Hüte

Gerade von diesem Loslassen hält Riedmüller nicht allzu viel. Ähnlich wie auf dem Ballermann oder dem artverwandten Wacken Open Air schlagen viele Besucher nämlich gern mal extra exzessiv über die Stränge. Wasen ist nur einmal im Jahr, oder so. „Das Anstrengende ist, dass gewisse Leute, oftmals von außerhalb, nach einigen Maß Bier glauben, unbesiegbar zu sein und mit Trachten, Chucks an den Füßen und tollen Hüten durch die Innenstadt zu ziehen“, so Riedmüller, dessen Laden im Fluxus natürlich in exponierter Lage für derlei Individuen liegt.

Die logische Konsequenz bei ihm wie auch im Transit/Bergamo: In Tracht kommt niemand rein! „Zu Beginn war ich noch völlig offen für allerlei Publikum. Jedoch hat sich gezeigt“, so Riedmüller, „dass es einfach nicht tragbar ist, gewissen Wasengästen Einlass zu gewähren. Oftmals ist der Respekt gegenüber dem weiblichen Geschlecht nicht mehr vorhanden. Das wird dann nur noch als Objekt der Begierde gesehen, allerdings mit einer Wahrnehmung, die nicht mehr der Realität entspricht.“

Dirndlverbot in der City

Der Craft-Beer-Händler, der am Wasen-Eröffnungswochenende seinen zweiten Geburtstag im Fluxus feiert und zu diesem Anlass auch sein erstes eigenes Bier präsentiert, betont jedoch, dass es natürlich Ausnahmen gibt und nicht jeder Trachtenträger sogleich ein unangenehmer Trunkenbold ist. Während im Club-Doppel am Hans-im-Glück-Brunnen oder in anderen Läden deswegen striktes Trachtenverbot herrscht, ist Riedmüller in seinem Fluxus-Shop nicht ganz so unerbittlich. „Jeder hat eine Chance verdient, und manchmal täuscht der erste Eindruck ja auch!“

Auch People-Chef Daniele Linciano streitet natürlich nicht ab, dass viele Besucher den Wasen nur zum kollektiven Absturz nutzen. „Manche übertreiben es etwas und nehmen dieses ‚Wasen ist nur einmal im Jahr‘-Geschwätz etwas zu ernst. Letztendlich“, betont er, „muss jeder selbst wissen, was er seinem Körper zumutet – solange nicht andere unter seinem Verhalten leiden.“ Wo dieses Leiden anfängt, ist sicherlich Ansichtssache. Bei Bahnen voller grölender Menschen und literweise Mageninhalt hört es auf, bei unangemessenem Verhalten den Damen gegenüber natürlich auch.

Die prekäre Sache mit der Manneskraft

In diesem Zusammenhang erinnert sich Riedmüller besonders ungern an seine Zeit in der Weinstube Fröhlich im sündigen Viertele. „Wenn man dort in der Wasenzeit ab 23 Uhr aus dem Fenster blickt und beobachtet, wie betrunkene Menschenmassen ihre Manneskraft unter Beweis stellen wollen ohne dass sie überhaupt noch aufrecht gehen können, muss man schon die Evolution hinterfragen“, sagt er mit einem verständnislosen Kopfschütteln und auch Linciano nickt. Ihm geht es beim Wasen um andere Dinge, das People-Gastspiel in der Schatzi-Bar sieht er als die Chance, seinen Teil zum zweitgrößten Volksfests Deutschlands beizutragen. „Wir wissen natürlich, dass auch in unserem Bekanntenkreis nicht alle Menschen den Wasen super finden, aber wir müssen uns dafür nicht rechtfertigen“, bekräftigt er und grinst. „Wir sind ja alle erwachsene People.“

Romantisches Riesenrad

Lieben oder hassen: In der Wasenzeit führt kein Weg daran vorbei, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. „Da sind wir wohl zwischenzeitlich fast auf Münchner Level angelangt, wo die Wiesn den Rhythmus der Stadt diktiert“, findet der People-Macher. „Es obliegt natürlich jedem einzelnen, wir er mit der Wasenzeit umgeht und was für Maßnahmen beispielsweise andere Gastronomen treffen. Wir jedenfalls lieben den Wasen.“ Da schlägt auch Riedmüller versöhnliche Töne an, betont die Familienfreundlichkeit bei Tag. Und findet dann sogar doch noch etwas, was ihm so richtig gefällt. „Das Riesenrad fürs erste Date!“, vertraut er uns mit einem wissenden Augenzwinkern an.

Na also. Lieben oder hassen, hingehen oder meiden, belächeln oder abfeiern: Soll doch einfach jeder machen, was er will. Aus der Stadt abhauen, Zuhause eingraben, Zuckerwatte holen, Boxauto fahren, in der Geisterbahn gruseln oder im Bierzelt auf den Bänken tanzen. Solange man Contenance bewahrt und sich nicht in einen Neandertaler verwandelt, der die Straße plötzlich als riesiges Klo wahrnimmt, ist alles recht. Wer danach noch in der Stadt feiern will, sollte aber vielleicht einfach mal auf die Tracht verzichten. Die hat in dieser Form und Ausführung nämlich eh sehr wenig mit Schwaben zu tun. Und macht den Trägerinnen und Trägern es an den Türen der Clubs alles andere als einfach.

www.people-club.de

www.facebook.com/riedmuellercraftbeer