Seit 125 Jahren schwebt ein Holzengel über der Kundschaft. Er ist das Wappentier der Engel-Apotheke in der Rotebühlstraße 80. Gegründet wurde sie von Emil Schwarz, dem Ururgroßvater des heutigen Apothekers Jens Wöhrn. In fünfter Generation ist das Geschäft in Familienhand.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Seit 125 Jahren schwebt ein Engel über der Kundschaft. Die von der Decke hängende Holzfigur ist gewissermaßen das Wappentier der Engel-Apotheke an der Ecke Hasenberg- und Rotebühlstraße. In fünfter Generationen schon wird der Familienbetrieb weitervererbt. Gegründet hatte ihn Emil Schwarz, der Ururgroßvater des heutigen Apothekers Jens Wöhrn, am 30. Oktober 1889. In jenen Gründerzeitjahren herrschte im Viertel Aufbruchstimmung. Es wurde emsig gebaut, zahlreich zogen Menschen her. Sie brauchten, eine Kirche, Ärzte, Läden und natürlich Apotheken.

 

Emil Schwarz erhielt vom württembergischen König Karl eine Konzession, kaufte das Gebäude in der Rotebühlstraße und richtete sich eine Apotheke ein. Dort residiert die Engelapotheke bis heute und selbst das Mobiliar stammt in Teilen noch vom Ururgroßvater, erzählt Jens Wöhrn nicht ganz ohne Stolz. Die Holzdecke samt schwebenden Engel, der größte Teil der Einrichtung und die Apothekergefäße sind noch im Originalzustand erhalten. Benutzt werden sie aber kaum mehr, sie stehen mehr zur Dekoration da. „Wir verkaufen die Ware heute meist fertig verpackt“, sagt der 45-Jährige. Lose Ware, die man in Tiegeln, Gläsern, Phiolen oder in Büchsen aufbewahrt und grammweise verkauft, gebe es kaum mehr.

Dabei hat Wöhrn als kleiner Bub noch zuschauen dürfen, wie sein Großvater selber Pillen drehte. Im Laden gab es für solche Tätigkeiten eine eigene Ecke mit Arbeitsfläche. „Die Trägermischung für die Pillen bestand hauptsächlich aus Pflanzensporen. Daraus wurde mit dem Schweiß des Apothekers eine Pampe geknetet und ein Wurst geformt“, erklärt Wöhrn ein bisschen angeekelt. Auf einem Brett mit Rillen habe man anschließend die Wurst in kleine Portionen geschnitten. Auch Tinkturen habe er den Großvater mischen sehen.

Nach dem Tod des Apothekengründers 1907 übernahm dessen Sohn Otto Schwarz den Betrieb und führte ihn bis 1944. „Er hatte in Fachkreisen einen guten Namen und war einige Zeit Präsident der württembergischen Apothekerkammer und Vorstandsmitglied des deutschen Apothekervereins“, berichtet Wöhrn. „1933 wurde er von den Nazis wegen undeutscher Ansichten zum Rücktritt aus den Ämtern gedrängt.“ Die Engelapotheke indessen hatte sein Urgroßvater unter den Nazis weiterführen dürfen. Sie war „für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung im zweiten Weltkrieg sehr wichtig“, so Wöhrn.

Am 9. Dezember 1944 wurden der Stuttgarter Westen von einem schweren Bombenangriff der Alliierten getroffen. Auch die Engelapotheke und die Wohnung darüber, in der die Familie wohnte, standen in Flammen. In der Familie wird kolportiert, dass es russische Kriegsgefangene waren, die den Brand mit Wasser aus dem Feuersee löschten. Die oberen Stockwerke des Hauses wurden jedoch zerstört.

Von 1945 an bis zu seinem Tod führte Hans Schwarz die Apotheke. Danach übernahm Wöhrns Mutter, Barbara Wöhrn. Sie war nach ihrem Pharmaziestudium 1962 in den elterlichen Betrieb eingetreten. 2003 folgte ihr Sohn Jens Wöhrn, der die Apotheke zusammen mit seiner Frau Gabriele Wöhrn nunmehr in der fünften Generation weiterführt. „Im Laufe ihrer Geschichte wurde die Engelapotheke immer von treuen, langjährigen Mitarbeitern begleitet“, sagt Wöhrn. Im vergangenen Frühjahr erst habe sich Brigitte Schlenker, die 50 Jahre lang hinter der Theke gestanden hatte, in den Ruhestand verabschiedet

Die Engelapotheke stehe bis heute gut da, sagt Wöhrn. Man biete sachkundige Beratung, verfüge über ein großes Medikamentenlager und könne mit einer originalgetreuen Einrichtung aus der Gründerzeit glänzen, wirbt der Apotheker. Besonders betont er „die mitmenschliche Zuwendung der qualifizierten und freundlichen Mitarbeiter“. Wöhrn braucht es gar nicht auszusprechen: weil jeder weiß, dass keine Internetapotheke das bieten kann.