Für die Berliner ist das Tempelhofer Feld eine Oase, wo sie sich erholen. Ob der beliebteste Treffpunkt der Hauptstadt bebaut wird, entscheidet am Sonntag ein Referendum.

Berlin - Eben noch hat es geschüttet, nun spannt sich ein Regenbogen über das Tempelhofer Feld, und darüber schimmert sogar noch ein zweiter. Nirgends sonst wäre der Himmel über Berlin weit genug für dieses Farbenspiel, so scheint es. Und nirgends sonst mitten in der Stadt könnte ein Mädchen so unbeschwert auf dem Skateboard dahinflitzen, um ihren Drachen flattern zu lassen.

 

Zugänglich für alle ist das einstige Flugfeld mit seinen beiden Rollbahnen zwischen ausgedehnten Grünflächen seit vier Jahren. Es ist der beliebteste Treffpunkt der Hauptstadt geworden. Zwar sperren rot-weiße Plastikbänder einen Teil der Graslandschaft ab, wo derzeit die Feldlerchen brüten. Reichlich Platz bleibt aber allemal zum Picknicken oder Partyfeiern unter freiem Himmel. So durchwachsen das Wetter sein mag, es schreckt die Windsurfer, Bumerang-Fans oder Fußballspieler nicht ab. Kaum hat der Regen nachgelassen, sehen Nachbarn aus den umliegenden Straßen schon wieder nach ihren Hochbeeten mit Salat, Tomaten oder Kräutern. Eine ältere Türkin pflückt Petersilie.

Auch eine Gedenkstätte für Zwangsarbeiter soll es geben

Schon von Weitem weist das sanft geschwungene Flughafengebäude auf die Geschichte des Ortes hin. Rund 30 Tafeln sollen ins Detail gehen, die ersten stehen schon und informieren, dass die Nationalsozialisten das einstige Exerzierfeld als „Weltflughafen“ ausersehen hatten. Eine Gedenkstätte soll an die Zwangsarbeiter für Hitlers Rüstungsindustrie erinnern und daran, dass in einem Konzentrationslager der SS am nördlichen Rand des Feldes Gefangene gefoltert und ermordet wurden. In Zeiten des Kalten Krieges kam die Luftbrücke mit ihren ununterbrochenen Starts und Landungen, und schließlich hoben Flugzeuge mit ganz normalen Passagieren nach Stuttgart oder Stockholm ab.

Jetzt ist es ein Ort voller Menschen mit heiteren Gesichtern – falls nicht gerade die Rede ist von der Absicht des Senats, den Rand des Geländes alsbald an drei Seiten zu bebauen. Kaum jemand ist gut zu sprechen auf die Pläne der rot-schwarzen Landesregierung. „Das Feld soll so bleiben, wie es ist“, brummt der Mann am Grill, der sein Feuerchen nach dem Regenguss wieder anzufachen versucht. „Bloß keinen Park draus machen.“ Warum heißt das eigentlich maßvolle Bebauung, wenn bis zu zehn Stockwerke möglich sein sollen?

Sozialer Wohnungsbau sei besonders dringend

Familie Willroth aus dem dicht besiedelten Bezirk Friedrichshain will Minigolf spielen, die Kinder lieben es. Willroths finden es „einzigartig, ein

Skaten auf dem früheren Rollfeld – auf dem Gelände ist vieles möglich. Foto: dpa
so großes freies Gebiet mitten in einer Hauptstadt zu haben“. Wohnraum zu schaffen sei nötig, aber wenn schon auf dem Tempelhofer Feld, dann sollte es sozialer Wohnungsbau sein, sagen sie. Und ob Berlin unbedingt einen Neubau für seine Zentral- und Landesbibliothek benötigt, fragen sie sich auch.

Der Senat hat drei Infopavillons ins Gelände gestellt, um die Skeptiker umzustimmen. Bei über 100 000 Berlin-Zuzüglern in den vergangenen drei Jahren, die Hälfte davon allein im vergangenen Jahr, muss Wohnraum geschaffen werden. Am Modell kann man sehen, wo die Blöcke mit 4700 Wohnungen und Gewerbe sowie die Bibliothek stehen, wo ein künstlicher See angelegt und wo Grünflächen bleiben oder Bäume gepflanzt werden sollen. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und sein Bausenator und Parteifreund Michael Müller werben für ihr Großprojekt unter dem vielversprechenden Namen „Tempelhofer Freiheit“.

Wowereit wird kaum lesen, was sich die Bürger wünschen

Dazu soll auch der Neubau für die Zentral- und Landesbibliothek gehören. Dass die Präsidentin des Landesrechnungshofes einen Planungsstopp für das bislang mit 350 Millionen Euro veranschlagte Projekt verlangt, um Alternativen wie die Unterbringung im denkmalgeschützten und ohnehin renovierungsbedürftigen Flughafengebäude zu prüfen, scheint Wowereit kaum zu beeindrucken. Berlins angeschlagener Regierungschef wird auch nicht lesen, was die Bürger so alles schreiben, wenn sie in einem der Infopavillons gelbe Sticker mit ihrer Meinung an die Wand kleben dürfen. „Andere problematische Bauten erst beenden, an erster Stelle den Großflughafen BER“, legt ihm etwa ein Unbekannter nahe.

Zu viel Terrain wird überbaut? Auch das ist für den Senat kein ernst zu nehmendes Argument. Ganze 230 Hektar des früheren Flugfeldes blieben per Gesetz als Freifläche geschützt. Das sei mehr, als das gesamte Fürstentum Monaco umfasst, so wirbt man um Jastimmen für den Masterplan.

Nur dass als Freifläche im Sinne des Gesetzes auch der trostlose Alexanderplatz gilt, wie Kritiker ins Feld führen. Allen voran läuft die

Die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ setzt darauf, dass das Referendum die Bebauung stoppt. Foto: dpa
Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ Sturm und will die Pläne kippen. Weitgehend unverändert soll das Areal auch künftig der Freizeit und Erholung dienen und „als innerstädtisches Kaltluftentstehungsgebiet und als Lebensraum für Pflanzen und Tiere geschützt“ sein. Über 180 000 Stimmen hatten die Initiatoren gesammelt, um den Volksentscheid durchzusetzen. Gleichzeitig mit der Europawahl müssen die Berliner am Sonntag über die Zukunft des Tempelhofer Feldes entscheiden.

Die Bürgerinitiative sieht „das nächste Milliardengrab“ und ein weiteres Luxusquartier auf die Metropole zukommen. Neueste Umfragen der „Berliner Morgenpost“ und des Radiosenders rbb besagen zwar, dass eine Mehrheit der Berliner inzwischen gegen jede Bebauung des Feldes ist, junge Berliner vorneweg. Aber Umfragen sind noch keine Wahl. Immerhin 630 000 Wähler müssen am 25. Mai mit „Ja“ für den Gesetzentwurf der Initiative und in einem zweiten Schritt gegen den Gesetzentwurf des Senats stimmen, damit der Masterplan vom Tisch ist.

Zur Lagebesprechung ins Kampagnenbüro

Im Kampagnenbüro von „100 Prozent Tempelhofer Feld“ stapeln sich Transparente und Infomaterial entlang der Wände. Einkaufsrollis stehen bereit, um den Helfern den Transport der Broschüren und Zeitungen zu erleichtern. Morgens ziehen sie los, um den Berlinern auf ihrem Weg zur Arbeit die Wahlzeitung in die Hand zu drücken. Zur Lagebesprechung

Das Gelände ist größer als der Central Park in New York. Foto: dpa
haben sich einige Organisatoren der Initiative um den Tisch versammelt. Wenn genügend Stimmen zusammenkommen, dann könnten zukünftige Vorhaben auf dem Feld nicht mehr in Hinterzimmern ausgekungelt werden, sind sie überzeugt. Dann müssten die Bürger angemessen beteiligt werden, denn über ein solches Votum werde sich das Parlament wohl kaum hinwegsetzen können.

Das Senatsgesetz garantiere etwa keine einzige preiswerte Wohnung, bemängelt Kerstin Meyer. Auf ihrem Laptop ruft die Sprecherin der Initiative eine Übersichtskarte auf. Sie zeigt auf den Tempelhofer Damm, wo städtische Gesellschaften bauen und die Hälfte der Wohnungen nicht mehr als sechs bis acht Euro pro Quadratmeter Miete im Monat kosten sollen. „Viele glauben, das gelte für das gesamte Tempelhofer Feld, und nicht nur für die geplanten 1700 Wohnungen am Tempelhofer Damm.“ Über alle anderen Wohnungen werde aber nichts gesagt, und im Gesetz stehe überhaupt nichts.

Vergeblich hat die Opposition im Berliner Parlament versucht, einen sozialen Wohnungsbau in größerem Maß auf dem Gelände zu garantieren und auch eine umfangreiche Beteiligung der Bürger an den Planungen für das Tempelhofer Feld gesetzlich zu verankern. Alles für ein Areal, wie Antje Kapek von den Grünen sagt, „um das uns die Welt beneidet“.