Sogar die Projektgegner distanzieren sich von der Mitwirkung des SÖS-Fraktionschefs Hannes Rockenbauch an der Besetzung des Bahnhofs.

Stuttgart - Die aktive Rolle des SÖS-Stadtrates Hannes Rockenbauch bei der Besetzung des Hauptbahnhof-Nordflügels am Montagabend ist am Dienstag im Rathaus auf teils scharfe Kritik gestoßen. Der 30-Jährige, der seit 2004 dem Gemeinderat angehört und an der Spitze der neu formierten fünfköpfigen Fraktion SÖS/Linke steht, muss - ebenso wie alle anderen Hausbesetzer - mit einer Anzeige der Deutschen Bahn AG wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung rechnen. Rockenbauch erklärte am Dienstag: "Politisch war das angemessen. Diejenigen, die den Frieden stören, sind nicht wir, die Deutsche Bahn AG stört ihn." Von einer Sachbeschädigung habe er "nichts mitbekommen".

Die Befürworter des Stuttgart-21-Projektes halten das Verhalten des SÖS-Stadtrats für indiskutabel. Fred-Jürgen Stradinger, der Fraktionschef der CDU-Gemeinderatsfraktion, findet es "unmöglich", dass sich ein Stadtrat an einer solchen Aktion beteiligt: "Ein Stadtrat hat eine Vorbildfunktion", sagt er. Es sei, so Stradinger, "weit gekommen, denn die gewaltbereite Gegnerschaft ist für den argumentativen Diskurs nicht zugänglich - es zählen nur noch die Parolen." Auch Roswitha Blind, die SPD-Fraktionschefin, sieht Rockenbauchs Rolle sehr kritisch.

Es gebe durchaus Situationen in der Geschichte, in der ziviler Ungehorsam akzeptabel oder gar notwendig sei - etwa in Terrorregimen oder beim Bau eines Atomendlagers. Der Bau eines neuen Bahnhofs besitze eine andere Qualität: "Da erwarte ich von einem Stadtrat, dass er die repräsentative Demokratie ernst nimmt und nicht gegen sie kämpft." Das aber versuche Rockenbauch: Er wolle in einem außerparlamentarischen Prozess demokratisch herbeigeführte Entscheidungen rückgängig machen.

Bezirksvorsteherin Mitte: "Besetzung war ein Übergriff"


Selbst die Projektgegner distanzieren sich von Hannes Rockenbauch. Über die Art des Widerstandes gibt es also mittlerweile unterschiedliche Ansichten innerhalb des Lagers der Gegner. Der Grünen-Fraktionschef Werner Wölfle ist am Montag selbst in strömendem Regen vor dem Nordflügel des Hauptbahnhofs gestanden. Er betont einerseits die Bedeutung der Montagsdemonstrationen: "Wer die Demo erlebt hat, konnte leicht erkennen, warum der Widerstand so breite Unterstützung in der Bevölkerung hat. Es wurde wie gewohnt fantasiereich, freundlich, aber energisch gegen das Projekt protestiert."

Andererseits erklärte Wölfle: Wer Gebäude besetze, müsse wissen, dass dies eine strafbare Handlung sei. Als Fraktionsvorsitzender unterstütze er "wie bisher jede Form des zivilen gewaltfreien Widerstandes". Er habe manchem Mitstreiter im Bündnis empfohlen, sich dieser Haltung anzuschließen. Wer sich "besonders hervortue", erleichtere den Befürwortern die Argumentation, die Gegner seien nicht gewaltfrei.

Ganz ähnlich sieht dies Veronika Kienzle, die grüne Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte. Sie habe die Besetzung miterlebt und sich Sorgen gemacht: "Denn ich habe die Besetzung als Übergriff empfunden." Dass daran ein Stadtrat mitgewirkt habe, hält sie für "äußerst problematisch". Sie hätte sich gewünscht, dass die Besetzer nach dem Eintreffen der Polizei freiwillig das Haus verlassen hätten. Dann hätte es womöglich keine strafrechtlichen Konsequenzen gehabt. So aber spitze sich die Situation zu: "Bisher wurde bei den Montagsdemonstrationen quer durch alle Altersschichten friedlich demonstriert - jetzt haben wir eine neue Stufe erreicht."