Bretterverschläge verdrängen an elf Stellen in der Innenstadt für kurze Zeit parkende Autos und laden ein zum Verweilen. Parklets nennen sich die neuen urbanen Interventionen. Nicht bei allen lösen die Büdchen Begeisterung aus.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Für den menschlichen Körper reichen haardünne Nadeln. Für eine ganze Stadt müssen schon Nägel her, um eine wirksame Akupunktur hinzubekommen. Dieser Tage wird daran an elf Standorten gearbeitet – vor allem im Westen aber auch in Mitte und Süd. An den Straßenrändern, wo sonst Autos parken, werden Büdchen gezimmert, in denen es sich die Leute gemütlich machen sollen.

 

Von diesen Parklets genannten Aufenthaltsorten sollen gewissermaßen bewusstseinsverändernde Impulse ausgehen. Sie sollen verdeutlichen, dass Straßen nicht bloß für Autos da sind, dass sie auch gesellig und kreativ genutzt werden können. Wirken solche kleinen Eingriffe im Stadtraum tatsächlich auf das urbane Zusammenleben? Ermutigen sie beispielsweise weitere Stadtbewohner dazu, den Stadtraum nach ihren Vorstellungen umzugestalten, weil sie den Vorrang des Autos nicht mehr als quasi gottgegeben begreifen? Ist also das Prinzip der Akupunktur vom Körper auf eine ganze Stadt übertragbar?

Diesen Fragen sind die Beteiligten eines Forschungsprojekts in Zusammenarbeit mit dem Städtebau-Institut und dem Reallabor für Nachhaltige Mobilitätskultur bislang theoretisch nachgegangen. Nun werden diese Ideen anhand der Parklets in der Realität erprobt. Die temporären Bretterbuden werden am Mittwoch, 29. Juni, eröffnet und bleiben bis Ende September stehen. Im Nachgang soll die Wirkung dieser urbanen Intervention wissenschaftlich analysiert werden. All das kann man sich am Eröffnungstag bei einer Tour-de-Parklet im Detail von Studierenden erläutern lassen. Die informative Tour mit dem Fahrrad beginnt um 14 Uhr am Bürgerzentrum West, Bebelstraße 22.

Klinken putzen

Vorreiter bei der Parklet-Idee ist die kalifornische Metropole San Francisco, wo Parklets aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken sind. Per Definition ist ein Parklet lediglich die Erweiterung des öffentlichen Gehweges anstelle von Parkplatzflächen. Seine Nutzung ist variabel. Es kann ein Sitzplatz mit Beeten und Bücherregalen sein, Lastenrad-Garage, offene Werkstatt, Kräutergarten oder FairTeiler-Box.

Letztlich hängt das davon ab, wer sich drum kümmert, denn jedes Parklet hat seine Paten. Ein Organisatorenteam hat im Vorfeld nicht bloß die Fußgängerfrequenz und die technischen Voraussetzungen in den jeweiligen Straßen geprüft, sondern auch „Klinken geputzt und bei Geschäften und Restaurants nachgefragt, ob sie sich um ein Parklet kümmern wollen“, berichtet Raphael Dietz vom Reallabor für Nachhaltige Mobilitätskultur der Universität Stuttgart. So kommt es, dass in der Reinsburgstraße bald ein Zen-Garten zum Verweilen einlädt, den das Yoga-Vidya-Studio einrichtet. Und vor dem Laden der Bio-Verbraucherinitiative „Plattsalat“ in der Gutenbergstraße wird derzeit ein Verschlag zusammengezimmert, der eine Sitzecke bietet wird und eine Ladestation für E-Bikes.

Nicht bei allen lösen die Büdchen Begeisterung aus, wie sich das beispielhaft in der jüngsten Sitzung des Bezirksbeirats West zeigte, wo Raphael Dietz das Konzept erläuterte. Nur mit knapper Mehrheit konnte sich das Gremium zu einer Befürwortung der Idee durchringen, und es hagelte kritische Fragen. Zum einen gab es jene, die es prinzipiell nicht gut finden, wenn ein Parkplatz wegfällt, sei es auch bloß vorübergehend. Von dieser Seite kam fundamentale Kritik am Projekt. Aber auch von jenen war Gegenwind zu spüren, die der Idee einer Rückeroberung und Umnutzung des Straßenraums positiv gegenüber stehen. Sie monierten, dass der Stadtbezirk nicht involviert worden sei – etwa bei Fragen der Platzierung und Gestaltung der Parklets, auch sei der Informationsfluss eher dürftig gewesen. Letztlich sei dem Stadtbezirk ein fertiges Konzept übergestülpt worden. „Die Einwände der Bezirksbeiräte sind vollkommen berechtigt“, räumt Raphael Dietz ein, der allerdings selbst wenig mit den einzelnen Parklets zu tun hat als vielmehr mit dem theoretischen Überbau des Gesamtkonzeptes. „Uns haben einfach die Zeit, die Mittel und die personellen Kapazitäten gefehlt, um mehr Akteure miteinzubinden.“

Lücken nutzen

Um einhellige Zustimmung gehe es auch nicht, sagte Dietz. „Wir wollen die Diskussion über die Qualität des Stadtraums anstoßen. Es gibt in einer so dicht besiedelten Stadt wie Stuttgart zu wenige Aufenthaltsräume für Menschen. Es geht darum auszuprobieren, nach Möglichkeiten und Lücken zu suchen. Und vielleicht führen neue Orte der Begegnung zu mehr sozialen Kontakten in den Vierteln.“ Konzepte, die besonders gut funktionierten, könnten zu einer ständigen Veränderung vor Ort und einer Übertragung auf andere Stellen führen.