Der Spaziergang der Stiftung Geißstraße und der StZ führt von den Berger Sprudlern bis zu den Wagenhallen. Unterwegs diskutieren die Teilnehmer über das, was im Rosensteinquartier entstehen kann.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Ein Bürger übernimmt das Mikrofon und betrachtet die Angelegenheit kritisch: „Wenn das Rosensteinviertel die Entschädigung dafür sein soll, dass man für Stuttgart 21 unsere Bäume im Park gefällt und am Hauptbahnhof die Seitenflügel abgerissen hat, dann muss es aber richtig gut werden“, sagt der Mann. Die Stadtplanerin Carolin zur Brügge ist zufrieden: „Sie müssen dringend in die Bürgerbeteiligung“, rät die Abteilungsleiterin im Stadtplanungsamt.

 

Die Aufforderung zum Mitmachen kommt an diesem Samstag noch viele Male. Die Stiftung Geißstraße hat zusammen mit der Stuttgarter Zeitung zum Auftakt der neuen Serie der Stadtspaziergänge eingeladen, einige Schritte in Richtung Zukunft zu gehen. Der Rundgang, der beim Mineralbad Berg beginnt und an den Wagenhallen endet, ist der erste in der Reihe der Touren, die sich mit den Wünschen und Vorstellungen der Menschen in der Stadt für die kommenden Jahre und Jahrzehnte befasst.

Es gibt noch keinen Bebauungsplan

Carolin zur Brügge stellt vor, was im Rosensteinviertel entstehen könnte, wenn das Bahnprojekt Stuttgart 21 in ferner Zukunft abgeschlossen sein wird. Dabei wird sie nicht müde zu betonen, dass noch nichts festgeschrieben, nichts beschlossen, nichts unumstößlich sei. „Es wird immer wieder gesagt, dass es schon einen Bebauungsplan gebe – den gibt es noch nicht“, sagt die Stadtplanerin – und erntet dafür spontanen Applaus. „Man kann alles noch bewegen. Wir sind noch ganz am Anfang“, betont zur Brügge.

Der Rundgang fängt jenseits des Rosensteinmuseums an. Von der Haltestelle Mineralbäder geht es durch die Anlagen mit den Berger Sprudlern den Hügel hinauf, auf dem das Schloss Rosenstein thront. Carolin zur Brügge zeigt dort, dass das neue Quartier mit einer Fläche von 60 Hektar, in dem einmal bis zu 30 000 Menschen leben werden, nicht abgeschottet von der Umgebung geplant werden könne. Wichtig seien immer auch die Bezüge zur Umgebung. Deshalb zeigt sie, dass an dieser Stelle ein Höhenunterschied von etwa 20 Metern zu überwinden sein wird, um die zu erschließenden Flächen und die bestehende Parkanlage, die in den Stadtteil Berg übergeht, miteinander zu verbinden.

Der Bahndamm wirkt mächtig und unüberwindbar

Wenige Schritte weiter stehen die Spaziergänger vor einer Barriere, die unüberwindlicher aussieht als der sanfte Hügel. Sie schauen auf den Bahndamm. Der Blick schweift über das Naturdenkmal Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Allee, einen von Platanen gesäumten schnurgeraden Weg in Richtung Hauptbahnhof. Hinter diesem Damm fängt der Bereich an, der entwickelt werden soll. „Was hier entstehen kann, braucht einen räumlichen Bezug zum Bestehenden.“ Auch an diesem Punkt weist die Stadtplanerin daraufhin, dass ein Höhenunterschied zu überwinden ist.

Es geht weiter zum Museum hinauf. Ein großer Bogen Papier, den zur Brügge mitgebracht hat, verdeutlicht den Spaziergängern die Dimensionen: So groß wie Botnang ist das Areal, falls die Gleisanlagen tatsächlich dem Bahnprojekt Stuttgart 21 weichen sollten. Dabei macht die Planerin den Bürgern klar, dass es zwar noch nach sehr ferner Zukunft klinge, wenn man über das Rosensteinviertel spreche. „In zwölf oder 13 Jahren könnten die Bagger auffahren“, sagt sie – dann sei wohl der Tiefbahnhof in Betrieb gegangen und die bestehenden Gleisanlagen abgeräumt und das Areal für die Bebauung freigemacht. Kritiker halten es daher für zu früh, jetzt schon konkrete Vorstellungen zu entwickeln. Diese Ansicht teilt die Stadtplanerin nicht. Ein Vergleich mit dem Olgaareal, auf dem das alte Kinderkrankenhaus abgerissen und Wohnungen gebaut werden, zeige, dass das für Stadtplanung eine kurze Zeit sei. „Dort hat die Planung zehn Jahre gedauert. Hier reden wir von einem ganzen Stadtteil, der Zeitpunkt ist gekommen. Machen Sie jetzt mit, beteiligen Sie sich“, betont sie wieder. Zudem ist Carolin zur Brügge der Ansicht, dass man bei dem Städtebauprojekt, dass unmittelbar mit Stuttgart 21 verbunden ist, die vor vielen Jahren erstellten Konzeptionen immer wieder anschauen muss. „Es reicht nicht aus, einmal etwas zu formulieren und dabei zu bleiben. Man muss nachjustieren und die Fakten im weiteren Planungsfortschritt immer wieder überprüfen“, betont sie.

Diskussionen über Möglichkeiten und Unwägbarkeiten

Die Bürger wollen mitdiskutieren, und sie wissen Bescheid. Das zeigt sich an der nächsten Station, dem noch zum Teil genutzten Paketpostamt. Hier tauschen sich die Spaziergänger darüber aus, ob überhaupt alles so kommen wird. Es gebe schließlich eine Klage der Vereinigung privater Bahnunternehmen, die den Tiefbahnhof mit ihren Diesellokomotiven nicht anfahren könnten. Sie wollen weiterhin Stuttgart oberirdisch anfahren können. Noch ist nichts entschieden. Wenn je die oberirdischen Gleise bleiben müssten, sei noch die Hälfte der Vorhaben im Rosensteinviertel möglich, so Carolin zur Brügge. Auch die Zukunft der Gäubahntrasse sei unklar. Planfestgestellt sei nur eine S-Bahntrasse, so zur Brügge.

An der Ehmannstraße steht nicht nur der braune Zweckbau der Post. Von hier sieht man auf den Gleisanlagen auch den alten Lokschuppen, dessen Zukunft noch offen ist. Die Stadtplanerin erläutert, dass man bei einem solchen Bau überlegen sollte, wie man die Spuren der Geschichte mit in die Zukunft nehmen könne.

Zum Abschluss geht es durch das alte Wohnviertel am Nordbahnhof, das mit dem Rosensteinviertel eine neue Nachbarschaft bekommen würde. Bei den Wagenhallen endet der Rundgang. Mit der Feststellung, dass es sich gelohnt habe, sich für den Erhalt einzusetzen – und natürlich mit der Aufforderung der Planerin, ähnliches Engagement nun auch beim Rosensteinviertel an den Tag zu legen.