Grüne und SPD im Stuttgarter Gemeinderat wollten bei den Strom- und Gasnetzen, dass die Stadtwerke nach sechs Jahren das Sagen in der Betreibergesellschaft haben. Doch die SÖS/Linke machte nicht mit, weil ihr das zu langsam ging. Jetzt sind es sogar zehn Jahre.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Die Pflicht zur Verschwiegenheit nehmen die Stadträte selten so ernst wie bei der Frage, wem künftig die Strom- und Gasnetze in Stuttgart gehören – und wer dieselben betreiben darf. Viele Bürger, die vor allem die Entwicklung der Stadtwerke mit Argusaugen verfolgen, rätseln deshalb darüber, was in der vorigen Woche passiert ist, als der zuständige Unterausschuss hinter verschlossenen Türen über das Thema beraten hat.

 

Sicher ist immerhin eines: Nach dem Ende der Sitzung sind einige Dinge anders als zuvor gedacht. Denn Grüne, SPD und SÖS/Linke hatten immer gewollt, dass die Stadtwerke Stuttgart möglichst schnell oder gleich die Netze nicht nur besitzen, sondern auch selbst betreiben. Doch nun soll zehn Jahre lang ein anderer Partner in der Betreibergesellschaft das Sagen haben. Und das, obwohl die linken Fraktionen die Mehrheit im Rat haben?

Im Netzbetrieb hat der Haupteigentümer vorerst wenig zu sagen

Tatsächlich wird allmählich deutlich, dass die Sitzung am Mittwoch einen turbulenten Verlauf genommen haben muss – mit überraschendem Ergebnis (die StZ berichtete). Wenn die Stadt im Herbst auf 20 Jahre hinaus die Konzessionen neu vergibt, soll es zwei Partner in der künftigen Eigentümergesellschaft geben: einen größeren, der 51 Prozent der Anteile erhält, und einen kleineren mit 49 Prozent. Obwohl das Verfahren offiziell komplett offen ist und alle Bewerber nach einem transparenten Punktesystem bewertet werden, wünschen sich sämtliche Fraktionen die Stadtwerke Stuttgart in der starken Position. Möglichst schnell, so heißt es, sollen diese ihren Anteil sogar auf 74,9 Prozent aufstocken. Der Juniorpartner wird ebenfalls aus den sechs Interessenten ausgewählt. Unter ihnen befindet sich auch die Energie Baden-Württemberg (EnBW), der heutige Netzbetreiber.

So weit, so gut – da gab es keinen Dissens. Bei der Betreibergesellschaft aber um so mehr. Dort soll nun der Juniorpartner zunächst sogar 74,9 Prozent und bis 2024 immer noch 50,1 Prozent halten. Das bedeutet, dass der Haupteigentümer zehn Jahre lang das operative Geschäft nicht wesentlich beeinflussen kann – ein Unding für alle Bürgerinitiativen in Stuttgart, ein Unding eigentlich auch für Grüne und SPD.

Die Vorlage von OB Fritz Kuhn (Grüne) hatte wohl andere Eckpunkte vorgesehen: So sollte der Haupteigentümer nach sechs Jahren die Mehrheit in der Betreibergesellschaft bekommen. Für die Zeit davor hielten auch Grüne und SPD es für nötig, dass sich ein versiertes Netzunternehmen um das Geschäft kümmert. Die Sicherheit, dass Bürger und Industrie zuverlässig mit Strom und Gas versorgt werden, war bei diesem Beschluss ein wichtiges Kriterium. Für die CDU war dieser Punkt zentral: Sie wollte deshalb zunächst offenlassen, wann die Stadtwerke die Macht übernähmen. Auch Haus & Grund, der Verein der Hauseigentümer, kämpft im Namen seiner 19 000 Mitglieder seit Langem darum, dass die EnBW dieser Partner wird: „Durch ein Miteinander von Stadtwerken und EnBW würden die Chancen optimiert und die Risiken minimiert“, schrieb Geschäftsführer Ulrich Wecker. Die Bürgerinitiativen sind dagegen der Meinung, die Stadtwerke sollten das Netz alleine betreiben – indem sie das Personal der EnBW übernehmen.

Für die Vorlage der Verwaltung gab es keine Mehrheit mehr

Doch die SÖS/Linke war nicht bereit, einem Modell zuzustimmen, bei dem der Haupteigentümer nicht auch beim Netzbetrieb von Anfang an die Kontrolle hat – sie scherte deshalb, anscheinend entgegen der Absprache, aus der linken Phalanx aus. Damit aber war die Mehrheit für die Vorlage der Verwaltung verloren, die Sitzung musste unterbrochen worden. Zuletzt waren es dem Vernehmen nach die Freien Wähler, die sich bewegten und eine Einigung ermöglichten. Der Kompromiss sieht nun vor, dass ein fixes Datum festgelegt wird, wann der Haupteigentümer den Betrieb übernimmt (so wollten es Grüne und SPD); man hob aber die Übergangszeit von sechs auf zehn Jahre an (dies kam CDU, Freien Wählern und FDP entgegen).

Dem stimmten alle zu – außer Hannes Rockenbauch. Der einstige OB-Kandidat, der im Unterausschuss die SÖS/Linke vertritt, ist immer noch entsetzt über diese Entscheidung. Jetzt sei die Gefahr groß, dass in den ersten Jahren gar nichts geschehe in der kommunalen Energiepolitik. Er hätte sich von den anderen Fraktionen mehr Mut für eine echte Wende gewünscht. Von anderer Seite wird aber gerade ihm vorgeworfen, mit seiner ideologischen Haltung einen – aus linker Sicht – besseren Kompromiss verhindert zu haben: Am Ende, so heißt es, habe er weniger erreicht als mit einer pragmatischen Haltung. Die Grünen waren sogar richtig sauer, denn sie müssen das gewählte Netzmodell als eine Niederlage empfinden.

Bei den Grünen in Land und Stadt gibt es einen Zielkonflikt

Zunächst sahen sich die Grünen – und in geringerem Maße auch die SPD – im Gemeinderat sogar dem Verdacht ausgesetzt, sie seien vor den Wünschen der Landesregierung eingeknickt. Denn dort ist man in einem Dilemma. Die heutige grüne Regierungspartei hatte den Großkonzern EnBW immer abgelehnt, weil dieser eine rigorose Atompolitik gefahren hatte. Nun, da das Land mit 46,75 Prozent Anteilseigner ist, tragen die Grünen aber die Verantwortung für die EnBW mit – und sollen aus dem aus ihrer Sicht hässlichen Entlein einen stolzen Schwan machen.

Den Schwenk auf eine Geschäftspolitik, die auf den erneuerbaren Energien gründet, hat EnBW-Chef Frank Mastiaux dieser Tage eingeleitet. Es wäre deshalb für die Landesregierung wichtig, dass die Kommunen der EnBW beim Stromverkauf, bei der Stromerzeugung und auch beim Netzbetrieb nicht die Tür vor der Nase zuknallen, schon gar nicht in Stuttgart, der energiestrategisch wichtigsten Stadt im Land.

Jeder Bewerber kann den Machtwechsel auch früher ansetzen

Man kann also vermuten, dass es in der Frage der Strom- und Gaskonzession in Stuttgart, wenn nicht Druck, so doch Gespräche zwischen dem grünen Teil der Landesregierung und dem grünen Teil des Gemeinderates gegeben hat. So sind die Drähte ins Rathaus von Klaus-Peter Murawski, dem Chef der Staatskanzlei und früheren Bürgermeister in Stuttgart, immer noch heiß. „Wir sind da aber eisenhart geblieben“, heißt es von einem grünen Stadtrat; man fühle sich allein dem Wohl der Stadt verpflichtet. Dies gilt auch für den OB. Der Verlauf der Sitzung stützt diese Aussage – aus Sicht der Grünen war der Beschluss nicht Kalkül, sondern eher ein Betriebsunfall. Die Bürgerinitiativen rätseln aber immer noch, warum Grüne und SPD den Stadtwerken keine Mehrheit in der Betreibergesellschaft einräumen wollen.

Betonen muss man immer wieder, dass mit diesem Netzmodell keine Entscheidung getroffen worden ist, wer künftig die beiden Partner in Eigentümer- und Betreibergesellschaft sein werden. Die Stadtwerke Stuttgart können sich ihrer Sache nicht sicher sein, da die sechs Bewerber nach einem Punkteschlüssel bewertet werden, auf den der Gemeinderat keinen Einfluss mehr hat. Auch beim zweiten Partner haben mehrere Bewerber echte Chancen; die EnBW bangt weiter.

Selbst die Dauer bis zum „Machtwechsel“ in der Betreibergesellschaft könnte sich nochmals ändern: Denn jedem Bewerber steht es frei, die städtische Vorgabe zu unterbieten und zum Beispiel zu offerieren, dass man schon nach sechs Jahren die Mehrheit beim Betrieb abgebe. Es wird gemunkelt, dass einer der Bewerber sich genau dies vorstellen kann. Im Herbst, bei der endgültigen Entscheidung, könnte es also zu weiteren Überraschungen kommen.