Der Stuttgarter Finanzbürgermeister Michael Föll hat der Deutschen Bahn den Bau einer Kindertagesstätte im Europaviertel erlassen. Der Gemeinderat fühlt sich übergangen. Fölls Vorgehen wird jetzt vom Rechnungsprüfungsamt untersucht.

Stuttgart - Bei den Grünen und der SPD im Stuttgarter Gemeinderat hat eine Entscheidung des Finanzbürgermeisters Michael Föll (CDU) heftigen Unmut verursacht. Föll hat die Bahn von ihrer Pflicht befreit, auf dem A-1-Gelände eine Kindertagesstätte zu bauen. Grüne und SPD fühlen sich übergangen. In Anträgen kritisieren sie die Entscheidung als Fehler und fordern Aufklärung.

 

Ein Rückblick: „Die Bahn wird mit der Stadt eine Vereinbarung schließen, in der die Einrichtung einer Tageseinrichtung für Kinder mit zwei Gruppen auf Kosten der Bahn geregelt wird.“ So wurde es 1998 niedergeschrieben. Im Klartext sollte die Bahn Baukosten in Höhe von einer Million Mark übernehmen und zudem das passende Grundstück bereitstellen. Dieser Passus fiel dem SPD-Bezirksbeirat Manuel Krauß auf. Am 18. März 2013 verabschiedete der Bezirksbeirat Mitte einstimmig einen Antrag, in dem Krauß forderte, über den Fortgang der Planung informiert zu werden. Tags darauf, so sagt Krauß, habe das Jugendamt bei ihm angerufen und sich dafür bedankt.

Der Neubau im Europaviertel ist laut Jugendamt entbehrlich

Doch offenbar hat sich binnen eines halben Jahres die amtliche Meinung ins Gegenteil verkehrt. Im Oktober 2013 schrieb der Jugendamtsleiter Bruno Pfeifle in einem rathausinternen Brief, der Bedarf werde in benachbarten Wohngebieten des Stuttgarter Nordens gedeckt. Der Neubau auf dem A-1-Gelände sei somit entbehrlich.

Dabei war die Bahn durchaus bereit gewesen, ihre Verpflichtung zu erfüllen. Während einer Besprechung im Rathaus am 30. April 2013 hatten Bahn-Vertreter den Bau der Kita jedenfalls angeboten. Dies geht aus dem Schreiben hervor, mit dem Michael Föll ein halbes Jahr später auf den Neubau verzichtet. Nach Absprache mit dem Jugendamt, schrieb der Erste Bürgermeister am 15. November, dass die Bahn – statt zu bauen – lieber binnen eines Monats 511 291,88 Euro überweisen möge – den entsprechenden Euro-Betrag, der 1998 ausgemachten eine Million Mark.

Diese Entscheidung halten Grüne, SPD und die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte, Veronika Kienzle, für falsch. „Klar hätte dort eine Kita hingehört“, sagt der Grünen-Fraktionschef Peter Pätzold, „wo sonst?“ „Das wäre natürlich sinnvoll“, meint auch seine SPD-Kollegin Roswitha Blind, „für 500 000 Euro bekommt man heute in der Stadtmitte keine Kita“. „Bei der Menge an Wohnungen und Arbeitsplätzen gehe ich selbstverständlich von einem Bedarf aus“, sagt Bezirksvorsteherin Kienzle (ebenfalls Grüne). Föll ließ hingegen mitteilen, es habe ohnehin kein Grundstück für einen Neubau gegeben.

Grüne und SPD sind sauer

Öffentlich bekannt wurde der Vorgang eher zufällig im Februar 2014, während einer Sitzung des Bezirksbeirats Mitte. Unter dem Tagesordnungspunkt Verschiedenes verteilte Kienzle ein Umlauf-Formular, mit dem der Verzicht mitgeteilt wurde.

Grüne und SPD sind erbost, dass Bürgermeister Föll über seine Entscheidung nicht den Gemeinderat hat abstimmen lassen oder das Gremium wenigstens über seine Absicht informiert hat. Zudem wollen die Fraktionen wissen, warum der Finanzbürgermeister von der Bahn lediglich jene 511 000 Euro als Gegenleistung forderte, aber keine darüber hinaus gehende Summe für das Baugrundstück. Laut Bodenwerttabelle ist jeder Quadratmeter Grund im Gebiet um die Bibliothek 3300 Euro wert.

Der SPD-Mann Krauß hält den Verzicht für vertragswidrig. Die alternative Möglichkeit einer finanziellen Entschädigung sei damals nicht vorgesehen gewesen, sagt er. „Über alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag entscheidet ein für jeden Fall gesondert gebildetes Schiedsgericht.“ So steht es im Vertrag. Darüber hinaus sei laut Krauß keine Klausel zu finden, die auf einen Ausstieg anwendbar wäre.

Rechnungsprüfungsamt untersucht Handeln des Bürgermeisters

Michael Föll reagierte bislang mit einer schriftlichen Erklärung auf die Kritik, die im Zuge seiner Entscheidung geäußert wurde. „Eine Einrichtung mit zwei Gruppen auf dem A-1-Gelände wäre ohnehin erst realisierbar gewesen, wenn Stuttgart 21 fertig gestellt ist. Erst dann wäre ein entsprechendes Baufeld verfügbar.“ Auf weitere Nachfragen will Föll derzeit nicht antworten und verweist auf die Pressemeldung. „Durch die Schaffung der Plätze in unmittelbarer Nähe des Europaviertels besteht aktuell kein Bedarf an einer zweizügigen Kita auf dem Gelände“, heißt es da.

Ob die Entscheidung des Finanzbürgermeisters korrekt war, wird derzeit überprüft. Kritiker sagen, mit der Zahlung der 511 000 Euro seien lediglich die Baukosten abgegolten. Es sei jedoch damit noch kein Ausgleich für ein kostenloses Baugrundstück durch die Bahn erfolgt. Nach StZ-Informationen prüft das Rechnungsprüfungsamt derzeit, ob der Erste Bürgermeister allein zuständig war oder ob der Gemeinderat hätte entscheiden müssen. Zudem wird untersucht, ob der von der Bahn bezahlte Betrag angemessen war.