Vor fünfzig Jahren haben die Baden-Württemberger das politische Sommerfest in der damaligen Bundesstadt Bonn erfunden. Nun wird es mit einer Zeitreise in die sechziger Jahre in Berlin gefeiert.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Kurz bevor die Sommerpause endgültig beginnt, bietet die baden-württembergische Landesvertretung in Berlin der politischen Klasse die Gelegenheit für eine kleine Zeitreise. Es geht in die sechziger Jahre. Hauptstädter, die schon lange keine Gelegenheit mehr hatten, Hawai-Toaste, Käseigel oder gefüllte Tomaten mit Fliegenpilzdeckel zu verspeisen oder mal wieder Schlager im Stil von „Liebeskummer lohnt sich nicht“ hören möchten, können am Donnerstag in der baden-württembergischen Botschaft in der Tiergartenstraße fündig werden. Der Grund? Die Stallwächterparty, die einst als bescheidene, kleine Abwechslung von der terminarmen Ferienroutine für die letzten noch diensttuenden Polit-Mohikaner in der damaligen Bundesstadt Bonn gedacht war, wird fünfzig Jahre alt.

 

Das wird zwar nicht besonders groß gefeiert, weil nicht nur der Schwabe an sich, sondern auch der Ministerpräsident Winfried Kretschmann der These anhängt, dass weniger einfach mehr sei. Aber die Sache mit dem Zeitgeist von damals haben die Ministerialen und ihre Helfer als Kulturauftrag für das heurige Jubiläumsfest verstanden. Große Transparente erinnern an die Politiker von damals. Wer will, kann sich den Edgar-Wallace-Klassiker „Der Hexer“ – von dem in Stuttgart geborenen Regisseur Alfred Vohrer – anschauen. Eine Stylistin und Kostümbildnerin aus dem Land, die sonst Theater- und Filmproduktionen ausstattet, hat knapp zwei Dutzend Servicekräfte – Gastronomie-Auszubildende aus Tettnang – mit Miniröcken, Schluppen- und Pünktchenblusen oder schnittigen Anzügen eingekleidet. Die Frauen tragen Schmetterlingsbrille auf der Nase oder Bienenkorb am Hinterkopf, und natürlich erlebt die Tolle als männliches Frisurenäquivalent ebenfalls eine Wiedergeburt.

Es begann als Gartenfest in Bonn

Wenn man die Männer der ersten Stallwächter-Stunden in ihren zugeknöpften Anzügen auf den historischen Fotos um das damalige Lagerfeuer herumstehen sieht, kann man sich kaum vorstellen, dass die Beatles zu der Zeit schon die Popmusik revolutioniert und Mary Quant mit der Erfindung des Minirocks die Modewelt auf den Kopf gestellt hatte. Rein modisch betrachtet scheinen die Stallwächter von damals noch in der Adenauer-Ära verhaftet. Aber die war auch schon vorbei, Ludwig Ehrhardden hatte den ersten Kanzler der Bundesrepublik schon beerbt.

Die konkreten Anfänge der Stallwächterparty sind im Dunkel der Geschichte verschollen. Damals hat niemand geahnt, dass das Gartenfest in der Bonner Vertretung des Südwestens einmal zum Modell und zum Gattungsbegriff für die politischen Sommerfeste generell werden würde – bis hin zum Eintrag im elektronischen Wörterbuch von Wikipedia.

Heute nehmen 3000 Gäste am Fest teil

Verbürgt ist, dass Eduard Adorno, der in den siebziger Jahren Landesbevollmächtigter in Bonn war, den Namen erfunden hat. Angenommen wird, dass Adalbert Seifritz, das ist sein Vorgänger, der im Geburtsjahr des Sommerfestes 1964 amtierte, höchstselbst die Idee für ein Gartenfest mit „Wurst am Stecken“ hatte. Zunächst waren die Bonner dabei unter sich. 1967 stieß erstmals der Ministerpräsident des Landes, Hans Filbinger, dazu.

Spätestens seit dem Umzug nach Berlin erachten die Stuttgarter Regierungschefs die Stallwächterparty fast schon als Pflichttermin. Etwa 3000 Gäste werden diesmal erwartet, darunter die Parteichefs der Grünen, Cem Özdemir und Simone Peter, der grüne Fraktionschef Anton Hofreiter und sein SPD-Kollege Thomas Oppermann. Aus dem Bundeskabinett haben sich Innenminister Thomas de Maizière und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (beide CDU) angesagt. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird anders im vergangenen Jahr nicht dabei sein.