Beim 20. Stuttgart-Lauf nimmt Oliver Bedow zum 20. Mal mit seinem Handbike teil. So ein Routinier lässt sich da auch nicht von einer Panne nach 10 Metern abhalten.

Stuttgart - Zehn Minuten nach 8 Uhr am Sonntagmorgen: die rund 30 Rollstuhlfahrer und Handbiker rollen zu den Klängen von „Conquest of Paradies“ langsam Richtung Startlinie. Mit dabei auch Oliver Bedow. Zum 20. Mal steht er am Start – beim 20. Stuttgart-Lauf, dann ein lauter Knall aus der Pistole. Es geht los.

 

Den zweiten Knall hört niemand, nicht einmal Bedow selbst. Eine Glasscherbe schneidet ein Loch in seinen Vorderreifen. Die Luft ist raus. Er ist keine zehn Meter weit gekommen, bleibt aber entspannt: „Ich fahre auf jeden Fall fertig. Ich bin ja schon über die Startlinie.“ Bangen, hoffen, warten: die Reparatur dauert fast eine Dreiviertelstunde. Aber er muss vor dem Start der ersten Läufer um 9 Uhr wegkommen. Zwei Minuten vorher schafft er es.

Ein großes Drama war es am Sonntag für ihn nicht, dem Feld hinterherfahren zu müssen, denn für Oliver Bedow, der die Startnummer 42 getragen hat, geht es beim Stuttgart-Lauf um zwei Dinge: Spaß und Integration. „Wir haben diesen Gedanken bis heute durchgefahren“, sagt er. Vor allem Letzteres ist für den 50-Jährigen, der seit einem Skiunfall vor 25 Jahren querschnittsgelähmt ist, das wichtigste Thema. Natürlich zählt auch die Leistung – Bedow selbst hat das Rennen zweimal gewonnen – aber im Vordergrund steht sie nicht. Sport als Vorbild für alle anderen gesellschaftlichen Bereiche, so hat er sich das gedacht.

Spaß und Integration für alle

Dass die „Rollis“, wie Bedow sich und seine Mitstreiter gerne nennt, überhaupt von Anfang dabei sein konnten, ist Karl-Heinrich Lebherz zu verdanken. Der damalige Präsident und heutige Ehrenpräsident des Württembergischen Leichtathletik-Verbands (WLV) gilt als Vater der Veranstaltung. Er hat sie 1994 ins Leben gerufen und kurz zuvor Oliver Bedow im Rahmen eines Rennens im französischen Albertville getroffen. „Unser Ziel beim Stuttgart-Lauf war, durch den Spaß am Sport den Spaß am Leben zu fördern“, erinnert sich Bedow.

Zwanzig Jahre später ist viel passiert. „Was haben wir in den zwei Jahrzehnten geschafft?“, hat er sich am Freitagmittag bei einem Milchkaffee vor dem Mercedes-Benz-Museum selbst gefragt. In Sichtweite das Ziel, die Mercedes-Benz-Arena, wo am Sonntag alle Rennen geendet haben. „Wir waren immer dabei, sind immer gefahren, egal ob es geregnet oder gewindet hat“, zählte er auf: „Es sind fast alle immer gut ins Ziel gekommen, und wenn es mal einen Ausfall gab, hat man ihn über die Hilfsmaßnahmen auffangen können.“

So viel zum Geschehen auf der Strecke, aber auch über das Drumherum freut er sich immer noch. Egal ob jemand vorne mitgefahren ist oder das erste Mal dabei war: niemand habe sich je unterschiedlich behandelt gefühlt. Spaß und Integration eben. „Er ist ein ganz engagierter und toller Mensch“, sagt Lebherz, der am Sonntag die Ehrengäste betreute, über Oliver Bedow.

Dennoch ist der Prozess noch nicht beendet

Aber der Sport hat sich in den 20 Jahren verändert. Zu Beginn des Stuttgart-Laufs traten die körperlich behinderten Sportler über die 21,2 Kilometer mit Rennrollstühlen an. Heute sind Handbikes bei den Athleten die erste Wahl. Im Prinzip Liegefahrräder, die mit den Händen angetrieben werden. „Die ersten Handbikes waren rund 30 Kilo schwer und wurden vor die normalen Rollstühle gespannt“, erklärt Bedow.

Er selbst freut sich über die deutlich gestiegene Akzeptanz in der Bevölkerung („Wir sind schon lange so weit, dass ein behinderter Mensch kein Außenseiter mehr ist“). Trotzdem sieht er den Prozess noch lange nicht als beendet an. Es sei wichtig, wie die nächste Generation mit diesem Thema umgehe. Rund 50 Minuten später rollt Oliver Bedow in die Mercedes-Benz-Arena, sichtlich begeistert. „Ich konnte mir ja dieses Mal Zeit lassen“, scherzt er. Schon im Vorfeld hatte er angekündigt seine 20. Teilnahme genießen zu wollen. Ein wenig geschafft sieht er trotzdem aus. „Die Strecke war oberklasse. An den Getränkestationen gab es sogar La-Ola-Wellen. Ich hatte richtig viel Spaß.“ Zweimal hat er unterwegs seinen Vorderreifen aufpumpen müssen, aber die Luft ist noch lange nicht raus.