In den USA berichten Forscher von den ersten geklonten Stammzellen. Was halten ihre deutschen Kollegen davon? Und woran arbeiten sie, wenn sie nicht klonen dürfen? Ein Besuch beim Stammzellforscher Konrad Kohler von der Uniklinik Tübingen.

Tübingen - Man sieht es dem Erbgut einer Zelle nicht direkt an, aber es wird mit den Jahren alt. Die Hautzelle eines Erwachsenen ist längst nicht mehr so fit wie die eines Neugeborenen. Zwar bleibt die Abfolge der Genbuchstaben A, C, G und T ein Leben lang gleich, doch die Gene sind in der Genetik nicht alles. Die Informationen, die sie speichern, müssen auch richtig genutzt werden. Wenn Forscher das Erbgut untersuchen, lesen sie daher nicht einfach im Buch des Lebens, wie es früher einmal hoffnungsvoll hieß. Vielmehr hat jede Zelle ihr eigenes Exemplar dieses Buchs, und in manchen Fällen ist es ziemlich abgenutzt: Einige Seiten sind mit Eselsohren versehen, damit man sie leichter aufschlagen kann, weil man sie so oft braucht, dafür kleben aber andere zusammen oder die Schrift auf ihnen ist nicht mehr gut zu lesen.

 

Hautzellen haben sich zum Beispiel darauf spezialisiert, nach Anleitung mehrerer Gene Kollagen herzustellen. Im Buch des Lebens steht gewissermaßen das Rezept, und die Zellen kochen es ein ums andere Mal nach. Auf andere Rezepte wie etwa zur Herstellung von Hormonen können sie verzichten, denn dafür sind im Körper andere Zellen zuständig. Im Alter lässt die Kollagenproduktion dann nach. Woran das liegt, wird zwar noch erforscht, denkbar ist aber, dass das Buch des Lebens nicht mehr im besten Zustand ist und die Zellen beim Nachkochen des Kollagenrezepts durcheinanderkommen oder einfach langsamer werden.

Das Klonschaf Dolly ist ein warnendes Beispiel

Als 1996 das geklonte Schaf Dolly geboren wurde, trug es das gealterte Erbgut seiner Erbgutspenderin in sich. Es bekam in jungen Jahren Arthritis und musste bald eingeschläfert werden. Vor Alterserscheinungen sind auch geklonte menschliche Embryonen nicht geschützt. Das Prinzip des therapeutischen Klonens ist zwar einfach: Die Wissenschaftler müssen nur das Erbgut einer Eizelle ersetzen – typischerweise durch das Erbgut aus der Hautzelle eines Patienten. Dann wächst aus der Eizelle ein Embryo mit dem Erbgut des Patienten heran und dieser Embryo enthält die gewünschten Stammzellen. Aus ihnen lassen sich alle Zellen des Körpers züchten: zum Beispiel Muskelzellen für das Herz, die der Patient nach seinem Infarkt nun gebrauchen könnte. Weil sie das richtige Erbgut besitzen, wird sie der Körper als eigene akzeptieren und nicht abstoßen. Doch möglicherweise sind die Zellen nicht so frisch wie erhofft, denn sie tragen schließlich das gealterte Erbgut einer Hautzelle in sich. Im schlimmsten Fall beginnen sie, im Herzmuskel Kollagen zu produzieren.

Konrad Kohler schüttelt daher den Kopf. Nein, er würde nicht klonen, selbst wenn er es dürfte. Sein Kollege Shoukhrat Mitalipov in den USA hat vor zwei Wochen berichtet, dass er aus geklonten menschlichen Embryonen Stammzellen gewonnen habe. Das ist in Deutschland verboten; Kohler darf diese Zellen auch nicht für seine Forschung an der Universität Tübingen bestellen. Doch das macht ihm nichts aus. Überall auf der Welt habe man sich in letzter Zeit mit solchen Experimenten „deutlich zurückgehalten“, sagt er. Vor neun Jahren, als der Südkoreaner Hwang Woo Suk schon einmal von geklonten menschlichen Embryonen berichtete, „wäre es ein richtiger Knaller gewesen, wenn es gestimmt hätte“. Doch Hwang flog als Schwindler auf, und mit der Zeit habe sich gezeigt, dass andere Stammzellen mehr versprechen.

Eine Alternative ist, das abgenutzte Buch des Lebens zu restaurieren. Mit einem Chemikaliencocktail, an dem lange getüftelt worden ist, lässt sich eine Hautzelle direkt in den ursprünglichen Zustand einer Stammzelle zurückversetzen, ohne dass dazu ein Embryo geklont werden müsste. Der Erfinder Shinya Yamanaka hat für diese Methode im vergangenen Jahr den Nobelpreis erhalten. Doch noch ist offen, wie sich diese Zellen entwickeln würden, wenn man sie zu therapeutischen Zwecken in den Körper eines Patienten verpflanzt. Vielleicht erinnern auch sie sich noch zu sehr an ihre frühere Aufgabe als Hautzelle. Oder sie fangen an zu wuchern und bilden einen Tumor, denn Stammzellen verfügen auch über dieses Potenzial.

Weil es diese Methode gibt, im Labor Stammzellen zu induzieren, stuft Kohler die Klonversuche seines Kollegen Mitalipov als Grundlagenforschung ein: Diese Forschungsrichtung werde vielleicht einmal erklären, warum es so viel schwieriger ist, eine geklonte menschliche Eizelle zum Wachsen anzuregen als geklonte Eizellen von Schafen, Kühen und Pferden. Einen therapeutischen Nutzen erwartet Kohler von dieser Forschung jedoch nicht.

Eine Stammzelltherapie soll einmal gegen Inkontinenz helfen

Viel näher an der medizinischen Therapie ist die Arbeit mit adulten Stammzellen, die im Körper von Kindern und Erwachsenen bewirken, dass Gewebe nachwächst. Die bekanntesten Stammzellen dieser Art stecken im Knochenmark und werden verwendet, um Leukämie zu behandeln. Konrad Kohler leitet in Tübingen das Zentrum für Regenerative Medizin, das solche Therapien entwickelt. Gerade läuft ein neues Projekt an. Diese Woche haben seine Mitarbeiter bei einem ersten Treffen mit Kollegen anderer Unikliniken begonnen, eine klinische Studie vorzubereiten. Sie wollen untersuchen, ob sich ein schwacher Schließmuskel unterhalb der Blase mit adulten Stammzellen stärken lässt.

Es ist zwar nicht klar, wie viele Frauen und Männer genau inkontinent sind, weil die Definition nicht einheitlich gehandhabt wird. Doch das Tröpfeln, wenn man schwer hebt oder stark hustet, ist für viele Menschen ein Problem und nimmt im Alter deutlich zu. In fünf Jahren, so die Prognose der Tübinger Forscher, wird in Europa mehr Geld mit Windeln für Erwachsene umgesetzt als mit Windeln für Kinder. Urologen verschreiben Beckenbodentraining und vielleicht ein Medikament, sie bieten auch verschiedene Operationen an. Kohler will mit seinem Team die therapeutischen Optionen ergänzen.

Die Studie wird erst in einigen Jahren beginnen. Zunächst hat die Forschergruppe 3,4 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhalten, um herauszufinden, welcher Typ von Stammzellen am besten geeignet ist. Infrage kommen Zellen aus dem Knochenmark, aber auch aus dem Fettgewebe und der Plazenta. Danach prüfen die Forscher, ob sie die Stammzellen lieber direkt in den Schließmuskel spritzen oder ob sie vorher aus den Stammzellen in der Petrischale Muskelfaserzellen züchten sollten, die sie dann in den Körper des Patienten einpflanzen.

Mehrere Partner beteiligen sich. An der Universität Stuttgart wird beispielsweise ein Sensor entwickelt, der die Kraft des Schließmuskels vor und nach der Therapie messen soll. Und am hiesigen Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) wird die Operationstechnik entwickelt. Das Team will ohne Nadel auskommen, weil es befürchtet, sonst den Schließmuskel zu verletzen.

Die handwerklichen Fähigkeiten sind der „Schatz“ des Labors

Über mögliche Nebenwirkungen will Konrad Kohler aber noch nicht urteilen. Die würden von der Operationstechnik abhängen, auf die man sich erst noch einigen muss. Bei den Stammzellen aus dem Knochenmark, die seine Kollegen derzeit für vielversprechend halten, sieht er jedoch „nach menschlichem Ermessen“ kein Risiko. Sie würden schon heute bei Leukämie-Therapien verwendet. „Mir ist kein Fall bekannt, dass dadurch ein neuer Tumor entstanden wäre“, sagt er.

Im Warmhalteschrank werden die Petrischalen gestapelt, in denen die verschiedensten Zellen wachsen. Sie liegen in einer roten Flüssigkeit, die ihre Farbe in Richtung Gelb oder Bordeauxrot ändert, wenn der pH-Wert nicht mehr stimmt. Selbst ein Laie würde auf einen Blick erkennen, wenn etwas nicht stimmt. Doch ansonsten sind im Labor Geschick und jahrelange Erfahrung gefragt, denn die Zellen sind empfindlich. In den Versuchen von Shoukhrat Mitalipov in den USA wuchsen die geklonten Embryonen zum Beispiel nur, wenn die Forscher etwas Koffein hinzugaben. Auf solche Ideen müsse man erst einmal kommen, sagt Kohler, und die Ideen müssten sich dann im Versuch bewähren.

Kohler hat die Aufgaben eines Managers übernommen und gibt zu, dass er die neuesten Geräte nicht mehr im Detail kennt. Dafür er hat junge Mitarbeiter. Ihre handwerklichen Fähigkeiten nennt er den „Schatz“ des Labors. Martin Vaegler untersucht zum Beispiel gerade den Schließmuskel eines Versuchstiers unter dem Mikroskop. Die Stammzellen hat er eingefärbt: Sie sind auf dem Bildschirm als dunkle Insel inmitten der rosafarbenen Muskelzellen gut zu erkennen. Aber was tun sie dort? Und vor allem: Stärken sie den Muskel? Vaegler wird noch viele Bilder analysieren, bis er diese Fragen beantworten kann.

Die Fehler der jüngsten Klonstudie

Fehler
Der Artikel im Fachblatt „Cell“ über die ersten geklonten menschlichen Embryonen enthält mindestens zwei Fehler. Das hat der Leiter der Forschergruppe, Shoukhrat Mitalipov, zugegeben. Zum einen ist bei zwei Mikroskopaufnahmen die Beschriftung vertauscht. Zum anderen zeigen zwei Grafiken im Anhang denselben Datensatz. Mitalipov und die Chefredakteurin von „Cell“ haben erklärt, dass diese Fehler das Ergebnis der Studie nicht untergraben.

Kritik
Der Biologe und freiberufliche Blogger Tobias Maier hält das jedoch für möglich. Die beiden Grafiken gehören zu einem Satz Schaubilder, die zeigen, welche Gene in den Zellen aktiv sind. Die geklonten Stammzellen sollten ein anderes Aktivitätsmuster aufweisen als die Hautzellen, aus denen ihr Erbgut stammt. Ob sie das tun, ist Maier zufolge nun offen. Der Stammzellforscher Konrad Kohler von der Uni Tübingen will Mitalipov nichts unterstellen, sagt aber: „In diesem Fall hätte man sich gewünscht, dass alle Beteiligten 150-prozentig arbeiten.“ Kohler erwartet nun, dass die Experimente von anderen Forschern wiederholt werden. Nur so kann geklärt werden, ob das Verfahren von Mitalipov in der dargestellten Weise zuverlässig funktioniert.

Tübingen
An Kohlers Institut hat ein Fall mit ähnlichen Vorwürfen Wellen geschlagen. Der damalige Leiter des Zentrums für Regenerative Medizin, Thomas Skutella, hat 2008 berichtet, Stammzellen aus dem Hoden gewonnen zu haben. Kollegen meldeten Zweifel an und kritisierten Skutella dafür, dass er ihnen keine Gewebeproben aus seinem Labor zur Verfügung stelle. Die Uni Tübingen prüfte, ob ein Fall evidenten wissenschaftlichen Fehlverhaltens vorliege. Nach Angaben von Skutella, der heute an der Uni Heidelberg arbeitet, ist das Verfahren Ende 2011 eingestellt worden. Eine externe Kommission, die der Rektor daraufhin einberief, scheint keinen Verfahrensfehler festgestellt zu haben.

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