Der Wegzug von Unternehmen aus der Region Stuttgart ruft auch die Politik auf den Plan. Im Gegensatz zum Regionstrend lockt der Rems-Murr-Kreis mehr Unternehmen aus anderen Bundesländern an als dorthin zogen.

Stuttgart - Die Opposition im baden-württembergischen Landtag reagiert mit Kritik an der Landesregierung auf die jüngste Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. Zwischen 2013 und 2016 sind nach der Untersuchung der Kammer mehr Unternehmen aus der Region in andere Bundesländer weggezogen als sich von außerhalb Baden-Württembergs neu angesiedelt haben.

 

Jahrelange Verzicht auf richtiges Wirtschaftsministerium war falsch

„Es war ein schwerer Fehler, jahrelang darauf zu verzichten, ein eigenständiges Wirtschaftsministerium zu haben und die Wirtschaft zum Anhängsel der Finanzpolitik zumachen“, sagte der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Ulrich Rülke, gegenüber über dieser Zeitung. Tatsächlich lag der Negativsaldo der Region Stuttgart gegenüber anderen Bundesländern zwar nur bei 39 Unternehmen. Der Abwärtstrend hat sich aber seit Jahren verstärkt: Zwischen 2005 und 2008 wies die Region noch einen positiven Saldo von 288 Unternehmen aus, bis Ende 2012 war dieser aber bereits auf 60 Firmen geschrumpft.

Land braucht eine starke Region Stuttgart

„Es kann der Landespolitik nicht gleichgültig sein, wenn die wirtschaftliche Zentralregion einen Substanzverlust erleidet“, sagte Peter Hofelich, der finanzpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, „Eine starke Region Stuttgart ist auch im Interesse des Landes.“ Die Landespolitik habe die einst starke Förderung der Region Stuttgart seit 20 Jahren vernachlässigt, erklärte Hofelich. Zudem werde in Bayern anders als in Baden-Württemberg „Industriepolitik betrieben“. Dazu habe die Staatsregierung Gelder aus der Privatisierung von Landeseigentum genutzt.

Auch die Landesregierung reagiert auf die Studie der Stuttgarter IHK. „Die Sache wird von uns aufmerksam registriert“, sagte ein Sprecher des Staatsministeriums „wir sollten diese nicht als regionales Thema abhaken.“ Vielmehr müsse es „unser Anliegen sein, diesen Trend aufzuhalten“, so der Sprecher.

Wirtschaftsministerium: Land muss auch in der Fläche stark sein

Für das baden-württembergische Wirtschaftsministerium komme es darauf an, „Innovationskraft, Wertschöpfung und Arbeitsplätze im Land insgesamt“ zu erhalten und neue zu schaffen, sagte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums. Die gute Lage in Baden-Württemberg sei auch darauf zurückzuführen, dass das Land „in der Fläche stark“ sei. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Südwesten zwischen 2013 und 2016 um 6,7 Prozent auf knapp 4,5 Millionen. In der Region Stuttgart wuchs das Plus sogar um 7,1 Prozent auf 1,2 Millionen.

Auch Bernd Engelhardt, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHK Stuttgart sieht den Negativsaldo in der Region als landespolitisches Thema an. Wichtiger könne es aber sein, einzelne Wirtschaftsregionen zu betrachten statt das gesamte Land. Dies gelte besonders für Grenzregionen wie etwa das Gebiet um Ulm und Neu-Ulm. Die Landesgrenzen spielten in solchen Regionen eine geringere Rolle als etwa das Vorhandensein von Gewerbeflächen.

Rems-Murr-Kreis gewinnt Unternehmen aus anderen Bundesländern

Entgegen dem Trend in der Region Stuttgart ist der Saldo bei den Unternehmensverlagerungen im Rems-Murr-Kreis positiv. Laut der IHK-Studie sind im Zeitraum 2013 bis 2016 insgesamt 58 Unternehmen mehr in Kommunen an Rems und Murr zugezogen als aus dem Kreis weggezogen sind. „Besonders erfreulich ist, dass der Rems-Murr-Kreis nicht nur von Umzügen aus den anderen Landkreisen der Region profitierte, sondern auch durch Verlagerungsgewinne gegenüber anderen Bundesländern punkten konnte“, sagt dazu der Geschäftsführer der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr, Markus Beier.

Andernorts in der Region seien geeignete, verkehrsgünstig gelegene Flächen knapp geworden, sagt Beier. Er sehe in der Entwicklung zwischen 2013 und 2016 eine Art Ausgleichseffekt für die Jahre davor, in denen der Fokus auf den inzwischen weitgehend ausgereizten autobahnnäheren Standorten lag. Angesichts der Verknappung „waren wir eben in der Lage noch neue Gewerbeflächen erschließen und anbieten zu können“, sagt Beier.

Fellbach treibt Zuzüge in die Höhe

Laut den IHK-Statistiken ist dabei auch innerhalb des Rems-Murr-Kreises ein reges Umzugsverhalten zu beobachten. In dem Vierjahres-Zeitraum sind dort 1325 Firmen umgezogen. Die Hälfte davon innerhalb des Kreises, die meisten innerörtlich. Angesicht der 159 Standortverlagerungen je 1000 Unternehmen und dem regionalen Durchschnittswert von 176, so interpretiert Beier die Daten, sei offenbar auch die Standorttreue im Rems-Murr-Kreis höher als in der Nachbarschaft.

Zum positiven Umzugssaldo im Rems-Murr-Kreise trägt laut der IHK-Studie direkt vor den Toren Stuttgarts vor allem Fellbach bei. Mit einem Plus von 26 Unternehmen zwischen 2013 und 2016 steuert Fellbach alleine fast die Hälfte des Überschusses bei Unternehmensumzügen im Kreis bei. Daneben sind laut IHK-Studie Remshalden (plus sieben) und Leutenbach (plus fünf) mit größeren neuen Gewerbegebieten an den Verkehrsachsen B 29 und B 14 die Hauptmagneten für zuziehende Unternehmen.

Positive Entwicklung auch im Kreis Esslingen

Ein Leichtes Plus erzielte auch der Kreis Esslingen. Zwischen 2012 und 2016 zogen neun Unternehmen mehr aus anderen Bundesländern in diesen Landkreis, als von dort über die Grenzen Baden-Württembergs zogen. Alle Landkreise außer dem Rems-Murr-Kreis und dem Kreis Esslingen wiesen einen Negativsaldo beim Vergleich mit anderen Bundesländern aus. Beim Stadtkreis Stuttgart überstieg die Zahl der Wegzüge in andere Bundesländer die der Zuzüge um 43 Unternehmen, im Kreis Ludwigsburg um 24 Unternehmen. Nur leicht war der Negativsaldo in den Kreisen Böblingen und Göppingen.