Die freie Tanz- und Theaterszene in Stuttgart fühlt sich vom Kulturamt und vor allem von OB Fritz Kuhn (Grüne) übergangen. Monatelang haben die Künstler auf eine Reaktion aus der Stadtverwaltung gewartet.

Stuttgart - Die freie Tanz- und Theaterszene in Stuttgart fühlt sich vom Kulturamt und vor allem von OB Fritz Kuhn (Grüne) übergangen. Monatelang haben die Künstler auf eine Antwort aus der Stadtverwaltung gewartet, wie es um ihre Zukunft im neuen Kreativzentrum Im Werk 8 (IW8) in Feuerbach bestellt ist. Seit wenigen Tagen haben die Künstler nun Gewissheit. Aus der Stuttgarter Zeitung haben sie erfahren, dass der Gemeinderat kein Geld für die feste Spielstätte auf dem Areal an der Siemensstraße bewilligt.

 

OB Kuhn hatte den Stadträten in der ersten nichtöffentlichen Lesung der Haushaltsberatungen eine Vorlage präsentiert, in der die Verwaltung davon abrät, die Freie Szene im IW8 unterzubringen. Der Einzug ins Kreativzentrum sei zu teuer, die Perspektive zu ungewiss, und die Freie Szene zeige auch keine „einheitliche Begeisterung, eine Spielstätte in Feuerbach einzurichten“. Der Gemeinderat folgte dem Vorschlag der Stadtverwaltung. „Den Stadträten blieb aber eigentlich gar keine andere Wahl“, sagt Dieter Soldan, der zurzeit noch Vorstand des Produktionszentrums Tanz und Performance mit rund 50 Mitgliedern ist. Ihnen mache er keinen Vorwurf. Die Vorlage habe eine klare Tendenz gehabt, der die Räte quasi folgen mussten. In den vergangenen Jahren habe er immer wieder mit der Verwaltung über eine feste Spielstätte für die Freie Szene gesprochen.

Wie verärgert er nach den jüngsten Vorkommnissen ist, hat er im sozialen Netzwerk Facebook geschrieben. „Meine persönliche Meinung als kulturengagierter Bürger ist, dass dieser Stil der Meinungsbildung unaufrichtig, respektlos und feige ist.“ In der Vorlage stünden Dinge, die er vor einer Abstimmung im Gemeinderat gerne in der Freien Szene diskutiert hätte. „Aber Unterstützung signalisieren, dann taktieren, vertrösten, immer wieder dieselben falschen, widerlegten Argumente herauskramen, dann abtauchen – um blitzschnell zu entscheiden – das ist unwürdig“, schreibt Dieter Soldan. „Fassungslos bin ich, dass ein grüner OB das nicht nur mitmacht, sondern verantwortet.“

Kritik: man habe keine Antwort von Verwaltung erhalten

Auch Peter Jakobeit, der Sprecher des Trägervereins der ehemaligen Spielstätte Ost, ist über die Art und Weise der Absage enttäuscht. Bis Juli war er in Gesprächen mit der Stadt. „Dann hat seitens der Verwaltung niemand mehr offiziell mit uns über den Einzug ins IW8 gesprochen. Wir haben mehrmals angefragt, aber keine Antwort erhalten.“ Auch ihn habe die Begründung der Verwaltung überrascht. In der Vorlage, die OB Kuhn unterschrieben hat, ist unter anderem von einem am 17. Juli eingeholten Meinungsbild die Rede. Rüdiger Meyke vom Kulturamt sagt auf Nachfrage, dass 60 Künstler der Freien Szene ins Rathaus eingeladen waren, um über eine mögliche Spielstätte im IW8 zu diskutieren. „Das sind alle, die in Stuttgart in den letzten Jahren aktiv waren und vom Kulturamt gefördert wurden.“ 25 Künstler seien gekommen. „Am Ende des Gesprächs haben wir mit Hilfe von Karteikarten ein anonymes Meinungsbild eingeholt“, sagt Meyke. 20 Künstler hätten sich beteiligt. Die Haltung zur Frage IW8 habe sich dabei sehr uneinheitlich dargestellt.

Daraus nun aber den Schluss zu ziehen, dass die Freie Szene eigentlich gar nicht im IW8 unterkommen möchte, können weder Soldan noch Jakobeit nachvollziehen. „Es gibt aktuelle Beschlüsse der drei handelnden Organe. Im Juli haben sich der Trägerverein des Ost, das Produktionszentrum Tanz und Performance sowie der Verein Freie Theater Stuttgart einstimmig für einen Einzug ins IW8 ausgesprochen.“ Davon ist in der Vorlage aber nichts zu lesen gewesen.

Rätselraten über hohe Investitionssumme

Ein weiteres Ausschlusskriterium für die Stadtverwaltung waren die Investitionskosten. „Im Juli haben wir kurzfristig Grobkosten in Höhe von 1,2 Millionen Euro für die Einrichtung einer Spielstätte im IW8 überschlägig ermittelt“, sagt Peter Holzer vom Hochbauamt. Er habe dazu Vergleichszahlen der Wagenhallen herangezogen. Für eine detaillierte Kostenberechnung habe er keinen Auftrag erhalten. Nachdem die Grobkosten vor der Sommerpause an das Kulturamt übermittelt wurden, habe er dann auch keine Rückfrage mehr zu den Zahlen erhalten.

Sevil Özlük, die Macherin des IW8, kann nicht verstehen, wie die 1,2 Millionen Euro zustande kommen und warum bei ihr niemand bis zu den Haushaltsberatungen eine detaillierte Kostenermittlung in Auftrag gegeben hat: „Wir haben das dem Kulturamt seit Mai mehrmals angeboten. Niemand hat sich diesbezüglich bei uns gemeldet. Unsere erste Kostenschätzung lag bei 600 000 Euro. Warum diese Zahl nun doppelt so hoch ist, kann ich mir nicht erklären.“ Es sei genug Zeit gewesen, um mit ihr über die Kosten noch einmal zu sprechen. Meyke weist jede Schuld von sich: „Wir haben keinen Gesprächstermin mehr mit der Freien Szene und dem IW8 ausgemacht, weil das weitere Vorgehen nicht mehr bei der Verwaltung lag.“ Aus dem Rathaus war zu hören, dass die Vorlage seit Oktober beim OB auf dem Tisch lag. Aber auch er habe keinen Gesprächsbedarf mehr gesehen.

„Lieber Herr Kuhn, Sie haben die einzigartige Möglichkeit einer Produktionsstätte für freie Tanz- und Theaterschaffende in Baden-Württemberg aus nicht nachvollziehbaren Gründen fahrlässig verstreichen lassen“, schreibt der ehemalige Leiter des Theaters Depot, Bernd Schlenkrich, auf Facebook. Im sozialen Netzwerk pflichtet ihm auch die freischaffende Choreografin Nina Kurzeja bei und zieht ihre Konsequenz, „denn eine künstlerische Perspektive finde ich hier in Stuttgart wohl eher nicht mehr.“

Auch Sevil Özlük ist über das Vorgehen der Stadt enttäuscht. Sie hat monatelang eine Halle freigehalten, „Ich kann die Räume auch wesentlich lukrativer vermieten. Anfragen gibt es genug. Aber das war nicht unser Interesse, schließlich wollen wir mit dem Kreativzentrum auch dem großen Bedarf an Probehallen in Stuttgart gerecht werden. Die Freie Szene ist schon so lange auf der Suche. Sie hätte es verdient, eine feste Spielstätte zu bekommen.“