Die leidende Maria mit ihrem toten Sohn ist das Thema der Nenninger Pietá. Einst war das Kunstwerk Stargast in Metropolen. Jetzt zeigt es sich in einer Kapelle.

Lauterstein - Eine Ausstellung nur mit Marienklagen, mit jenen Vesperbildern, die die trauernde Maria mit Jesus nach dessen Abnahme vom Kreuze im Schoß zeigen (Pietà), klingt langweilig – zumal sie noch in einer Kapelle stattfindet. In Zeiten von multimedialen Ausstellungskonzepten das immer gleiche religiöse Figurenpaar zu zeigen, wen könnte das schon locken?

 

Ein Schatz, den viele gar nicht mehr kennen

„Wir haben schon jetzt viele Anmeldungen vor allem von Gruppen“, erklärt Bernhard Baum jedoch Skeptikern gerne. Er hat vor neun Jahren die Gründung des Fördervereins der Nenninger Pietà initiiert, der zu deren 240-Jahr-Jubiläum nun eine außergewöhnliche und spannend aufgearbeitete Ausstellung mit gleich einem ganzen Dutzend Pietàs organisiert hat.

„Selbst viele Nenninger wissen nicht mehr, was für einen Schatz sie in ihrer ehemaligen Friedhofskapelle am Ortseingang hüten“, sagt Bernhard Baum. Dabei hat die lebensgroße Mariendarstellung als Kunstwerk Weltrang. Sie gilt als Höhepunkt und Abschluss der Rokokobildhauerei. Geschaffen hat sie der Münchner Hofbildhauer Franz Ignaz Günther vor genau 240 Jahren.

Stargast in vielen Metropolen

Noch vor einigen Jahrzehnten war die Skulptur quasi ein Stargast in Ausstellungen in den europäischen Metropolen. „Doch dann ist Rokoko aus der Mode gekommen“, ergänzt Gabriele von Trauchburg, die Projektleiterin für die Ausstellung. Die Historikerin hat eine Schau konzipiert, die sich ganz der Darstellung der Marienklage widmet. Sie ist bei ihren Recherchen auf Erstaunliches gestoßen.

Die Nenninger Pietà ist damals eigens für den Neubau der ehemaligen Wege- und späteren Friedhofskapelle in Auftrag gegeben worden. Bei einem Streifzug durch die Kirchen im Kreis ist die Historikerin jedoch auf zahlreiche weitere Pietàs gestoßen und war überrascht von der Dichte an kunsthistorisch hochrangigen Werken dieser Art im Kreis. Von ihnen gruppiert sich nun eine auf ein knappes Dutzend beschränkte Auswahl aus mehreren Jahrhunderten in der Nenninger Friedhofskapelle um die Pietà von Franz Ignaz Günther. Die jüngste Figur ist erst im Frühjahr in Zell aufgestellt worden, es ist eine fast abstrakte Bronzeskulptur. Die älteste wiederum ist eine knapp 700 Jahre alte ausdrucksstarke Schnitzerei aus Eybach.

Die Karriere eines privaten Andachtsbildes

„Pietàs wurden immer dann in Auftrag gegeben, wenn großes Leid herrschte, in der Regel Krieg oder Hungersnöte, auch zu Zeiten der Pest“, erläutert von Trauchburg. So ist auch die Nenninger Kapelle mit ihrer Pietà zu Ende des 18. Jahrhunderts nach mehreren Missernten entstanden.

Was die jüngsten Forschungen im Zusammenhang mit dem Nenninger Ausstellungsprojekt jedoch auch zu Tage förderten, ist die Erkenntnis, dass der Siegeszug der Pietà-Darstellungen ursprünglich wohl auch politisch motiviert war. Papst Johannes XXII. hatte im Jahr 1324 den Kirchenbann über König Ludwig ausgesprochen, verbunden unter anderem mit einem Interdikt, dass ihm und seinem Gefolge kirchliche Handlungen verbot.

Die Kirchenoberen erlaubten aber private Gottesdienste, und die Pietà etablierte sich Gabriele von Trauchburg zufolge damals als privates Andachtsbild. „Trauer, Leid und Mitleid aber auch Hoffnung, all diese Aspekte des Glaubens vereint das Motiv der Pietà, das im Wandel der Zeit in seiner Darstellung und Funktion durchaus nicht nur einem kunsthistorischen Wandel unterworfen war“, erklärt die Projektleiterin.

Katalog zu Marienklagen erschienen

Mit diesem Hintergrundwissen, das in einem umfangreichen Katalog zur Ausstellung aufgearbeitet ist, erschließt sich dem Betrachter der fassungslos apathische Ausdruck einer Mariendarstellung aus der Zeit des Ersten Weltkriegs angesichts der Schrecken der Schlachtfelder ebenso wie die Zuversicht ausstrahlende Darstellung aus Krummwälden, die das Motiv der Überwindung des Todes hervorhebt. In dem Katalog haben Gabriele von Trauchburg und ihre Mitstreiter noch vieles mehr zu den Marienklagen im Wandel der Zeit zusammengetragen. Nun müssen sich nur noch die Besucher auf die Ausstellung einlassen.

Jubiläumsausstellung

Am 8. Dezember 1774 ist die Pietà des bayrischen Hofbildhauers Franz Ignaz Günther in der Nenninger Kapelle aufgestellt worden. Das Jubiläum würdigt der Förderverein mit einer Ausstellung, die von der Region Stuttgart mit dem Förderpreis in der Kategorie Denkmalschutz und Heimatpflege ausgezeichnet worden ist.

Bis zum 2. November ist die Kapelle mittwochs, freitags und samstags jeweils von 14 bis 17 Uhr geöffnet, donnerstags von 17 bis 19 Uhr und sonntags von 11.30 bis 17 Uhr. Der Eintritt beträgt sieben Euro für Erwachsene. Donnerstags von 19 Uhr an ist die Kapelle für Andachten geöffnet. Führungen finden nach Vereinbarung statt. Sonntags bietet der Förderverein eine Bewirtung im Zelt an.