Eine Initiative im Schurwaldort Aichwald hat dort eine ehrgeizige Start-up-Veranstaltung lanciert, wie es sie sonst nur in Metropolen gibt. Motto: Gründen kann man im Zeitalter des Internet überall.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Aichwald - Silicon Valley, Berlin – und nun Aichwald? Wer an Start-ups denkt, der hat Ballungsräume und quirlige Metropolen im Blick, wo eine kritische Masse von Gründern und Investoren im Vorbeigehen ihre Ideen austauschen. Aus diesem Blickwinkel ist sogar Stuttgart nur Provinz.

 

Doch für Claus-Eckard Kraemer, der lange Jahre als Pressechef der Formel Eins sein Geld verdiente, und den es nach einer internationalen PR-Karriere eher zufällig in den auf dem Schurwald liegenden 7700-Einwohner-Ort Aichwald verschlug, ist dies genau die Herausforderung, die er sucht. „Wenn in einer Ortschaft wie dem schleswig-holsteinischen Wacken das größte Heavy-Metal-Festival der Welt etabliert werden konnte, warum soll das Thema digitaler Umbruch denn nicht im ländlichen Raum Fuß fassen?“, sagt er.

Aichwald-Konferenz heißt das vor zwei Jahren lancierte Projekt, das in dieser Woche mit einer Tagung zum Thema Start-up-Kultur in eine neue Runde ging. Wenn man die Liste der Förderer und Unterstützer sieht, dann scheint Kraemer einen Nerv getroffen zu haben: Von der Gemeinde, die ihre Schurwaldhalle kostenlos zur Verfügung stellt, bis hin zu den Referenten aus ganz Deutschland, die auf ihr Honorar verzichten, hat er – wie auch die Logos hinter der Bühne zeigen – zahlreiche Unterstützer mobilisiert. Aber auch er selbst und weitere örtliche Initiatoren des nicht profitorientierten Projekts stehen mit erheblichen Eigenbeiträgen für die Tagung gerade.

Logistik wie aus der Formel Eins

Logistik und technische Ausstattung sind vom Feinsten: Zwei Tage lang wird die Konferenz, die sich um Themen der Konzeption, der Finanzierung und des Marketing von ambitionierten jungen Unternehmen dreht, live im Internet übertragen. „Das ist von der Organisation her wie Formel Eins“, sagt der Münchner Managementprofessor Dirk Fischer, der nun schon zum zweiten Mal als Referent dabei ist und am Mittwoch über die Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups referierte.

Bei rund 100 Anmeldungen waren die Stühle in der Veranstaltungshalle am Mittwoch zwar eher spärlich besetzt, aber das ist für Kraemer nicht der Punkt: „Gründen kann man dank des Internets doch heute überall.“ Schon zu Beginn erreichte die Veranstaltung über das Netz 1300 Zuschauer – eine Zahl, die sich nach Meinung des Initiators auf einen fünfstelligen Wert steigern lässt.

Kraemer geht es mit dem Standort Aichwald um einen Bewusstseinswandel. „Gerade in Baden-Württemberg glauben viele noch, dass sie der digitale Wandel nichts angeht“, sagt er. Doch der radikale Wandel von Geschäftsmodellen könne nicht nur von den Metropolen ausgehen. Und dafür hat er auch einen öffentlichkeitswirksamen Beweis: Gleich zwei der acht Start-ups, die im vergangenen Jahr in Aichwald ihre Projekte vorgestellt hatten, nahmen danach an Deutschlands publikumswirksamstem Gründer-Spektakel teil, der Reality-TV-Show „Die Höhle der Löwen“ des Senders Vox. Der Lahrer Gründer Christian Atz schaffte es dort mit seiner Firma Mobilegarden, die aus Japan inspirierte,, tragbare Blumentöpfe aus Papier anbietet, sogar erfolgreich zu sein – auch wenn der Eventanbieter Jochen Schweizer entgegen seiner Ankündigungen aus der Fernsehsendung als Investor wieder ausstieg.

Eine Lanze fürs Gründen in der Provinz

Auch Atz brach in Aichwald eine Lanze fürs Gründen in der Provinz. Er war im oberösterreichischen Linz dabei, als der Fitness-App-Anbieter Runtastic an den Start ging und davon profitierte, dass er für die Heimatregion eine Größe war. Im August ging die Firma für 220 Millionen Euro an Adidas – und will weiter von Österreich aus die Welt erobern.

Nachdem er in Gründerzentren und bei Start-up-Veranstaltungen in Indien und auf den Philippinen erlebt hatte, dass beim Gründen die Welt zum Dorf geworden ist, startete Atz 2014 im heimatlichen Lahr einen Start-up-Beschleuniger namens Black Forest Accelerator, der sechs von acht Gründerteams erfolgreich durchschleusen konnte. Er fand Investoren, die einen sechsstelligen Betrag mobilisierten. Zu vorsichtig war am Ende die Haltung potenzieller öffentlicher Förderer aus der Region, welche die kleine Summe für die dauerhafte Finanzierung der nötigen Infrastruktur nicht aufbrachten. Doch damit ist für Atz das Gründen auf dem Land nicht zu Ende. Er hat ein neues Projekt namens „Geeks on a Farm“ („Tüftler auf der Farm“) gestartet, bei dem er Start-ups aus Deutschland und Frankreich zusammenbringt. Erster Treffpunkt: Ein Bauernhof.