Täglich grüßt der Stau: In der Region stehen Autofahrer jährlich auf einer Länge von 13.000 Kilometern. Und die Zahl der Autos steigt.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Die schlechte Nachricht gleich vorneweg: niemand hat derzeit ein realistisches Konzept oder genügend Geld im Portemonnaie, um die Zahl der zermürbenden Staus in der Region Stuttgart zu verringern. Im Gegenteil - alle Prognosen gehen davon aus, dass der Verkehr und damit wohl auch die Staus in den kommenden Jahren weiter zunehmen werden. "Die Kapazität ist heute sogar im Schönwetterbetrieb am Limit", sagt Thomas Kiwitt, der technische Direktor des Verbandes Region Stuttgart: "Jeder Unfall genügt, und es kommt zum Infarkt." Am Montag war eine kleine Baustelle am Echterdinger Ei die Ursache: Die Folge war eine Blechschlange von 20 Kilometern Länge.

 

13.000 Kilometer Verkehrsbehinderungen jährlich

Tatsächlich summieren sich die Verkehrsbehinderungen allein auf Autobahnen und Bundesstraßen in der Region auf 13.000 Kilometer jährlich; der Abschnitt zwischen Leonberg und dem Kreuz Stuttgart ist mit täglich 140.000 Autos und Lkw die meist befahrene Strecke Deutschlands. Für diese Stauanfälligkeit gibt es viele Gründe. So umfasst die Region nur ein Zehntel der Fläche Baden-Württembergs; es lebt hier aber ein Viertel aller Einwohner des Landes.

Weiter ist in der Region ein bedeutender Teil der landesweiten Wirtschaftskraft konzentriert, was erheblichen Verkehr nach sich zieht. Und die A8 ist eine der wichtigsten Transitstrecken Europas - ein Teil des Staus wird von außen importiert. Im baden-württembergischen Generalverkehrsplan gehen die Experten von einem volkswirtschaftlichen Schaden von 400 Millionen Euro pro Jahr allein durch die Staus auf den Autobahnen aus.

Die Staus werden bleiben

Seit 1990 hat die Zahl der gefahrenen Kilometer in der Region Stuttgart um 22 Prozent zugenommen - und diese Tendenz wird sich weiter fortsetzen. Im baden-württembergischen Generalverkehrsplan 2010 gehen die Experten landesweit von einer Steigerung um 19 Prozent bis zum Jahr 2025 aus. Besonders der Güterverkehr soll teils in beängstigender Weise wachsen: Auf Autobahnen wird mit Steigerungen von bis zu 70 Prozent gerechnet. Die Verkehrsplaner haben im Ergebnisbericht fast einen Offenbarungseid geleistet, als sie folgendes Fazit zogen: Der bis heute geplante Ausbau von Straßen reiche nur aus, um die heutigen Zustände auf den Autobahnen und Bundesstraßen einigermaßen aufrechterhalten - zu Verbesserungen werde es nicht kommen. Im Klartext: die Staus bleiben.

Straßenbau

Mit einem ganzen Portfolio an Maßnahmen versucht die öffentliche Hand dennoch, die Staus zu bekämpfen. Der Straßenneubau ist dabei nicht mehr das wichtigste Mittel, weil neue Trassen in der Bevölkerung umstritten sind, weil sie wertvolle Flächen versiegeln und weil die Planung äußerst langwierig ist. Tatsächlich ist das Straßennetz in der Region Stuttgart laut Statistischem Landesamt seit 1990 nahezu konstant bei knapp 3300 Kilometern Länge geblieben. Ausnahmen gibt es allerdings. So wünscht sich der Regionalverband etwa 20 Ortsumfahrungen. Und auch der Nord-Ost-Ring hat noch viele Unterstützer. Zum Beispiel die IHK Region Stuttgart, die in ihrem neuen verkehrspolitischen Papier befürchtet, dass immer mehr Unternehmen aus der Region wegziehen, weil die Mobilität nicht mehr gewährleistet sei.

Im Moment ist aber der Ausbau bestehender Straßen das Gebot der Stunde. Der Regionalverband, die IHK und auch der ADAC fordern beispielsweise vehement mehr Fahrspuren auf der A8 zwischen Leonberg und Wendlingen und auf der A81 zwischen Böblingen und Ludwigsburg. Das alte Verkehrsministerium sah dies genau so - und hat viele Bauprojekte noch auf den Weg gebracht. Laut früheren Angaben des Ministeriums wird derzeit in der Region an elf Straßen gebaut. Insgesamt werden dafür 292,5 Millionen Euro investiert. Thomas Kiwitt beklagt aber vor allem das "Vollzugsdefizit": Viele Vorhaben seien zwar geplant und genehmigt, doch Bund und Land stellten das Geld nicht zur Verfügung, damit der Bau auch begonnen werden kann. Der ADAC beziffert die jährliche Finanzierungslücke auf bundesweit zwei Milliarden Euro; der Straßenetat umfasst derzeit etwa fünf Milliarden Euro.

Ob der neue grüne Verkehrsminister Winfried Hermann die geplanten Straßenprojekte auf den Prüfstand stellen wird, ist offen - konkrete Überlegungen gebe es derzeit nicht, heißt es aus dem Ministerium. Die im Bau befindlichen Maßnahmen würden zügig ausgeführt, betont Cornelius Metzger, der Sprecher des Ministeriums. Neubauten soll es aber nur noch "in begründeten Fällen" geben: "Die täglichen Probleme sind mit neuen Straßen, die ohnehin erst nach Jahrzehnten fertiggestellt werden, nicht lösbar." Nord-Ost-Ring und Filderauffahrt seien deshalb zu Recht umstritten. Den achtspurigen Ausbau der A8 werde der Bund sowieso in absehbarer Zeit nicht realisieren: "Die neue Regierung wird dazu auch nicht drängen", so Metzger.

Das Auto bleibt das beherrschende Verkehrsmittel

Die Menschen zum Umsteigen auf Busse und Bahnen bewegen - das ist ein weiterer Ansatz, um die Stauproblematik zu lösen. In geringem Umfang war diese Strategie in der Region Stuttgart sogar erfolgreich. Der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs an der Zahl aller Wege ist zwischen 1995 und 2010 um etwa zwei Prozent auf 14,5 Prozent gestiegen. Der Ausbau des Stadtbahn- und S-Bahn-Netzes, etwa die Verlängerung der S1 nach Kirchheim/Teck, macht sich also bezahlt. Allerdings lautet der Umkehrschluss, dass 56,6 Prozent aller Wege weiterhin mit dem Auto erledigt werden - das eigene Fahrzeug bleibt das beherrschende Verkehrsmittel für die Menschen.

Informationssysteme

Die Verkehrsexperten versuchen seit Langem auch, die Autoströme besser zu lenken und so Staus kurz zu halten. Die Stadt Stuttgart, die SSB und die Polizei betreiben seit einiger Zeit die Integrierte Verkehrsleitzentrale - und behaupten von sich, damit täglich mehrere Kilometer an Staus zu verhindern, indem sie auf Stockungen und Staus schnell reagieren. Zum Beispiel werden bei Bedarf Ampelprogramme verändert oder etwa im Neckarpark Fahrspuren je nach Verkehrsaufkommen der einen oder anderen Fahrtrichtung zugeschlagen.

Der Verkehrswissenschaftler Markus Friedrich von der Universität Stuttgart hält es daneben für wichtig, den Autofahrern Stauinformationen in Echtzeit an die Hand zu geben - der Verkehrsfunk sei immer noch viel zu langsam, die Angaben seien häufig veraltet. So könnten die Menschen viel besser entscheiden, ob es besser ist, eine Umleitung zu fahren oder gar nicht erst ins Auto zu steigen. "Solche System sind technisch möglich, werden aber kaum verwirklicht", sagt Markus Friedrich.

Eine günstige Prognose für die nächsten Jahre kann aber auch Friedrich nicht geben: "Der Verkehr wird in der Region erst mal so bleiben wie heute." Daran dürfte sich auch nichts ändern, wenn das Benzin noch teurer würde. Denn schon in den vergangen Jahren seien die Preise enorm gestiegen, meint der Wissenschaftler: "Doch vielen Autofahrern war das egal."

Die Staumelder im Netz

Die Staumelder im Internet

Stuttgart Informationen über die Verkehrslage in der Landeshauptstadt trägt die Integrierte Verkehrsleitzentrale Stuttgart für die Autofahrer zusammen.

Autobahn Wer weitere Strecken über die Autobahn zurücklegen muss, kann sich minutengenau im Netz über die aktuellen Staus informieren. Die Straßenverkehrszentrale Baden-Württemberg zum Beispiel bietet auf ihrer Homepage den Blick durch zahlreiche Verkehrskameras direkt auf die Straße. Außerdem liefert die Zentrale einen aktuellen Überblick über die Baustellen auf Baden-Württembergs Straßen.