Ein letztes Mal macht Stefan Raab bei Pro Sieben das große Fass auf: „Schlag den Raab“. Was soll sein Sender ohne ihn nur machen? Noch schlechtere Quoten einfahren?

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Wenn irgendwann in der Nacht von diesem Samstag auf Sonntag das letzte „Schlag den Raab“-Duell entschieden ist und Stefan Raab endgültig Abschied nimmt von seinem Publikum, muss man sich um die Zukunft des 49-jährigen Entertainers keine Sorgen machen. Um die Zukunft seines bisherigen Haussenders Pro Sieben dagegen schon.

 

Raab ist einer der kreativsten Köpfe der deutschen Medienszene, Musiker, Komponist und Produzent. Zahlreiche erfolgreiche TV-Ideen der vergangenen zwanzig Jahre stammen von ihm. Nach realistischem Ermessen muss er wohlhabend sein. Medienunternehmen und Hochschulen dürften Schlange stehen, um sich Raabs Engagement oder Expertise zu sichern. Mit anderen Worten: dem Mann kann eigentlich gar nicht langweilig werden.

Die Verantwortlichen des Münchner Privatprogramms Pro Sieben dagegen, an vorderster Stelle dessen Geschäftsführer Wolfgang Link, müssen bangen, dass ihrem Publikum im kommenden Jahr ohne Stefan Raab zusehends langweilig wird – und noch stärker als ohnehin schon nach neuer medialer Zerstreuung suchen. Eigentlich kann der Sender seit Jahr und Tag sehr zufrieden sein. Bei den Jahres-Marktanteilen rangiert Pro Sieben zwar traditionell hinter ARD, ZDF, RTL und Sat 1 erst auf Platz fünf; zudem ist der Anteil von einst neun Prozent auf 5,5 Prozent im Jahr 2014 gesunken (zum Vergleich: RTL 10,3 Prozent). Fantastisch ist aber der Pro-Sieben-Wert bei der für die Werbung besonders interessanten Gruppe der 14- bis 59-jährigen Zuschauer – mit Einschaltquoten zwischen 12 und 18 Prozent. „We love to entertain you“ lautet der Werbespruch des Programms. Damit hat man sich beim jüngeren Publikum über viele Jahre einen Stammplatz erkämpft und bewahrt. Stefan Raab war da einer der wichtigsten Protagonisten.

Bei Raab wird auch die Arschbombe zur Kür

„Anonyme Samenspende – in Köln heißt das Karneval“, „sieben Milliarden Menschen gibt es jetzt; die jahrzehntelange Arbeit von Boris Becker zahlt sich aus“, „Stichwort Führerschein: der Idiotentest soll einfacher werden; gute Nachricht für Marco Reus“, „Helmut Berger ist der Bill Kaulitz der 60er Jahre, nur nicht ganz so schwul“: eine Liste der „besten Witze“, die Pro Sieben zur letzten Sendung von Stefan Raabs Late-Night-Show „TV total“ am vergangenen Mittwoch veröffentlich hat, umreißt tatsächlich treffend eine Sorte von Humor, die man entweder als boshaft und politisch unkorrekt oder auch gleich als postpubertär beschreiben kann.

Das ergänzte sich sehr schlüssig mit Showideen, die stets wirkten wie frisch von einem Kindergeburtstag: die Wok-Rennfahrten im Rodel-Eiskanal, eine „Arschbomben“-Kür beim Turmspringen vom Zehn-Meter-Brett, die Promi-Pokernacht als Live-Übertragung – kein anderer Showmaster und kein anderer Sender pflegten so konsequent Unterhaltungsformate, die sich programmatisch vor allem an Menschen wandten, die mit 34 oder 29 Jahren vor allem bereuen, keine 17 mehr zu sein.

Es überrascht darum nicht, dass Pro Sieben im kommenden Jahr an den frei werdenden Showplätzen in seinem Programm das Moderatoren-Duo Joko und Klaas einsetzt. Die beiden Entertainer sind rund fünfzehn Jahre jünger als Raab und haben dessen Humor insofern perfektioniert, dass sie nicht nur über alles und jeden mit beißender Ironie herziehen, sondern sich vor allem auch gewagtesten Selbstexperimenten aussetzen; zum Beispiel in ihrem Montagabend-Format „Circus Halligalli“. Im Pro-Sieben-Entertainment-Deutsch heißt das dann zum Beispiel: „die völlig bekloppte Popel-Challenge“ oder „der total durchgeknallte Stromschlag-Contest“.

Joko und Klaas sind würdige Nachfolger

Joachim Winterscheidt und Klaas Heuer-Umlauf sind allerdings insofern schon eine TV-Entertainer-Generation weiter als ihr Vorbild Stefan Raab, als sie keine Scheu haben, sich vor der Kamera auch der totalen Lächerlichkeit preiszugeben. So etwas gehörte eigentlich nie zum Programm des Entertainers Raab; Selbstironie ist ihm weitgehend fremd. Gerade seine Show „Schlag den Raab“ machte dies immer wieder deutlich: Im stundenlangen körperlich-geistigen Wettkampf mit einem Herausforderer aus dem Publikum wäre er nie auf die Idee gekommen, freiwillig einen Punkt abzugeben. Sein immenser Wille, den Abend zu gewinnen, ist ihm jederzeit im Gesicht abzulesen. Diese Show war ihm richtig ernst. Und womöglich ist es just dieses Quantum Ernst, was Raabs Wettkämpfe tatsächlich spannend machte, während die Spirenzchen von Joko und Klaas immer ein wenig beliebig bleiben.

Und dann war da noch etwas, was Stefan Raab in seiner bis zu diesem Samstag knapp 30-jährigen TV-Karriere immer sehr ernsthaft betrieb: die Musik. Mit seinem alljährlichen „Bundesvision Song Contest“ hat er ein Forum für junge deutsche Popmusik geschaffen, das auch ARD oder ZDF zieren würde. Und 2010 bescherte ausgerechnet er als Mann der Privaten dem öffentlich-rechtlichen Ersten mit der unter seiner Regie entdeckten Lena Meyer-Landrut jenen Erfolg beim Eurovision Song Contest, den es vermutlich die nächsten zwei, drei Jahrzehnte so schnell nicht wiedergeben wird.

Da hatte er einfach das richtige Näschen, den treffsicheren Instinkt gehabt. So wie ihm dann prompt gleich darauf jedweder Instinkt verloren ging. Lena im folgenden Jahr gleich wieder für Deutschland beim ESC antreten zu lassen, war eine typische Raab-Idee. Sie ging daneben. Mit guten wie mit schlechten Ideen hat das TV-Total-Tier Stefan Raab jedenfalls sich bekannt und seinem Sender Pro Sieben einen Namen gemacht. „Du hattest immer einen Sinn für das perfekte Timing“, sagte ihm Geschäftsführer Wolfgang Link am Mittwoch zum Abschied. „Du gehst auf dem Höhepunkt.“ Tja, Pro Sieben: nun ist guter Rat teuer.