Die Angst vor dem Gastronomie-Sterben geht um. Die Stadt Stuttgart überarbeitet nun die Regelung zur sogenannten Stellplatzablöse, wonach für jede gastronomische Neueröffnung Parkplätze nachgewiesen werden müssen. Die benachteiligt bislang Diskotheken.

Stuttgart - Was viele ausgehfreudige Vertreter der Freizeitgesellschaft nicht wissen: Für jede gastronomische Neueröffnung in Stuttgart müssen Parkplätze nachgewiesen werden. Wer keine vor der Haustüre hat, kann Stellplätze bei der Stadt ablösen, sich gewissermaßen freikaufen. Bisher wurden Diskotheken in diesem Fall gegenüber Bars oder Restaurants finanziell benachteiligt. Damit soll von Herbst an Schluss sein: „Wir haben erkannt, dass die Ablöse der Stellplätze nicht zeitgemäß ist und überarbeitet werden sollte. Dazu gab es ja auch den Auftrag aus dem Gemeinderat“, sagt Sven Matis, Sprecher der Stadt Stuttgart. „Ziel ist es, die Club- beziehungsweise Eventszene der Gastronomieszene gleichzusetzen. Es gilt, die Vielfalt zu erhalten, die sich den Partygängern in Stuttgart bietet.“

 

Für den Club Schräglage kommt die Reform der Stellplatzablöse zu spät. Nach einigen rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Stadt Stuttgart darf im angesagtesten Hip-Hop-Club der Stadt jetzt auch offiziell getanzt werden. Die Betreiber der Gastronomie haben mit Hilfe von Dinkelacker rund 250 000 Euro in die Hand genommen, um alle Hürden auf dem Weg zu einer Diskothekenkonzession zu nehmen. Die Immobilie gehört Wolfgang Dinkelacker, dem Urenkel des Brauereigründers Carl Dinkelacker. 140 000 Euro waren für die Stellplatzablöse fällig. „Alle Auflagen zum Thema Brandschutz haben wir gerne erfüllt, die sind wichtig und richtig. Dass der ÖPNV-Bonus bei einer Diskothek aber nicht greift, ist einfach nicht mehr zeitgemäß“, so Axel Steinbeck, Leiter des Clubs.

Haltestelle vor der Haustür als Bonus

Der Hintergrund des ÖNPV-Bonus’: Einen Parkplatz in der Innenstadt lässt sich die Stadt rund 13 000 Euro kosten. Eröffnet man eine so genannte Schank- und Speisewirtschaft, also eine Bar oder ein Restaurant, muss man nicht so tief in die Tasche greifen, wenn man eine gute Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr geltend machen kann. Der Betreiber eines so genannten Tanzlokals kann das bisher aber nicht, selbst wenn er genauso gut an Bus und Bahn angebunden ist. So kostet eine Diskothek bis zu 70 Prozent mehr .

Gegen diese Ungleichbehandlung hatte sich die CDU im Stuttgarter Gemeinderat bereits mehrmals zu Wort gemeldet, zuletzt im Mai. In einem Antrag forderte sie, die Stellplatzablöse für Clubbetreiber zu reduzieren, um die aus ihrer Sicht nicht mehr zu begründende Ungleichbehandlung zwischen Gastwirt und Diskotheken-Betreiber zu beenden.

Stellplatzablöse als Gegenstand von Uni-Arbeit

Auch in einer an der Hochschule für Technik erstellten Studienarbeit zum Thema Stellplatzablöse kommt die Architektur-Studentin Laura Geisinger zu dem Schluss, dass die Stellplatzablöse nicht mehr zeitgemäß ist. „Laut Stellplatzverordnung ist bei einem Tanzlokal mit keinem wesentlichen ÖPNV-Nutzeranteil zu rechnen. Diese Regelung ist allerdings Lichtjahre von der Realität entfernt und stammt aus einer Zeit, als Diskotheken außerhalb des Stadtgebiets angesiedelt und schlecht an den ÖPNV angebunden waren“, schreibt die 22-Jährige in ihrer Studienarbeit, die den Titel „Parkst du noch oder feierst du schon?“ trägt.

Laura Geisinger warnt vor einem massiven Gastronomie-Sterben in Stuttgart, sollte der Stellplatznachweis nicht reformiert werden. Derzeit haben die meisten Szene-Gastronomien aus Kostengründen ihren Betrieb als Schank- und Speisewirtschaften konzessioniert, weil sich bei den meist kleinen Bars eine Stellplatzablöse im Sinne der Diskothekenkonzession finanziell nicht gelohnt hätte. „Sofern sich keine Lockerung der Verwaltungsvorschrift Stellplätze ergibt, müssen viele Lokale den Betrieb einstellen“, schreibt Geisinger.

Hoher sechsstelliger Betrag fließt in Stadtkasse

Bisher war die Neugestaltung der Stellplatzablöse bei der Stadtverwaltung auf kein großes Interesse gestoßen. Kein Wunder, hatte die Stadt in den Jahren 2010 bis 2012 im Schnitt doch jährlich 900 000 Euro durch die Parkplatzablöse eingenommen. Nun scheint aber ein Umdenken eingesetzt zu haben. Hatten sich bisher verschiedene Ämter untereinander den Schwarzen Peter zugeschoben, wer für die Reform der Ablöse zuständig ist, ist nun klar: „Die Satzung erstellen die Stadtplaner federführend. Sie hören dazu noch Experten aus anderen Referaten. Im Herbst soll dann dem Gemeinderat ein erster, belastbarer Vorschlag dazu gemacht werden“, sagt Sven Matis von der Stadt Stuttgart.

In den Augen von Axel Steinbeck von der Schräglage ein längst überfälliger Schritt: „Mit der Stellplatzablöse hat die Politik bisher verhindert, dass Gastronomen jeden Euro in die Sicherheitsmaßnahmen investieren können. Wird die Stellplatzablöse reformiert, kann sich endlich jeder Club einen deutschen Standard leisten.“ Die Betreiber der Hip-Hop-Diskothek haben übrigens für den Fall der Reform vorgesorgt: Sollte sich innerhalb von 36 Monaten etwas an der Stellplatzregelung ändern, bekommen die Schräglage-Macher ihre 140 000 Euro zurück.

Der rechtliche Hintergrund der Stellplatzablöse

Berechnung
Pro sechs bis zwölf Quadratmeter Gastraum ist ein Parkplatz erforderlich. Das Baurechtsamt rechnet mit dem Mittelwert von einem Stellplatz pro neun Quadratmetern. Für künftige Diskotheken müssen mehr Parkplätze abgelöst werden. Hier veranschlagt das Baurechtsamt einen Stellplatz für sechs Quadratmeter Gastfläche. Außerdem darf der Clubbetreiber keinen ÖPNV-Bonus geltend machen.

Unterschied
Eine Gaststätte mit 150 Quadratmeter Fläche benötigt derzeit sieben Stellplätze, ein sogenanntes Tanzlokal in derselben Größe allerdings 25 Stellplätze. Für eine Bar müsste man demnach mit rund 90 000 Euro Stellplatzablöse rechnen, für einen Club dagegen mit einer Investition von immerhin 325 000 Euro. Daher haben Gastronomen darauf verzichtet, eine Diskothekenkonzession zu beantragen, und eine Bar eröffnet. Aus diesem Grund sind Mischformen entstanden: tagsüber wird in der Bar am Kaffee genippt. Abends dreht der DJ auf, die Gäste fangen an zu tanzen.

Konflikt
Wenn die Stellplatzablöse reformiert wird, ist die nächste Auseinandersetzung absehbar. Dann werden die Diskothekenbetreiber auf die Barrikaden gehen, die noch keinen ÖPNV-Bonus geltend machen konnten.