In seinen Büchern hat Stephen King die Nachtseite der amerikanischen Alltagskultur beschrieben. Nun wird der Meister des Horrors siebzig Jahre alt.

Stuttgart - Die Kleinstadt Derry im US-Bundesstaat Maine, nahe Bangor gelegen, ist nichts Besonderes, aber fast überall auf der Welt ein Begriff. Der äußere Anschein ist ordentlich, abgesehen vom Haus Nummer 29 in der Neibolt Street, einer gammelnden Bruchbude, wo einst eine seltsame Kreatur unter der Veranda hauste. Früher gab es einen Wasserturm, in dessen Tank einige Kinder ertranken. Ein Sturm fegte ihn 1985 fort.

 

Die Topographie und Geschichte der Stadt ist in einigen Büchern belegt, man kann zum Beispiel über die Explosion des Eisenhüttenwerks im Jahr 1906 lesen, die 102 Opfer forderte. Allerdings ist nichts davon wirklich geschehen. Derry ist mit seiner Architektur, namentlich erwähnten Einwohnern und schaurigen Begebenheiten pure Fiktion. Erschaffen hat diese der 1947 in Portland, Maine geborene Schriftsteller Stephen King. Als vaterloser Knirps zog er mit seiner Mutter und dem Bruder David innerhalb des Staates um, er studierte an der Universität von Maine studierte und hat seit 1980 seinen Hauptwohnsitz in Bangor.

Belletristik – oder doch trivial?

Viele von Stephen Kings Horrormärchen und fantastischen Schmökern sind in dieser Region verwurzelt. Derry und das ebenfalls fiktive Castle Rock prägten bei Generationen von Lesern die Vorstellung, wie es in einer typisch neuenglischen Kleinstadt aussieht und zugeht. Schon damit ist King als Autor ein großer Wurf gelungen, abgesehen vom rein kommerziellem Erfolg – ein in Dollar und zig millionenfachen Buchverkäufen bezifferter Superlativ. King selbst gibt sich bescheiden, fast demütig, wenn er im zweiten Vorwort seines autobiografischen Sachbuches „Das Leben und das Schreiben“ bemerkt: „Belletristikautoren, ich eingeschlossen, haben keine große Ahnung davon, was sie eigentlich tun. Sie wissen nicht, warum etwas Gutes funktioniert und etwas Schlechtes nicht.“

Eine charmante Tiefstapelei, denn natürlich weiß King, was er tut, wenn er schreibt. Und er vermeidet trotzig mit dem Begriff des Belletristikautors den viel hässlicheren des Trivialschriftstellers. Dass berühmten Romanen wie „Carrie“, „Shining“, „Christine“ oder „Es“ der Ruf anhaftet, sie seien trivial, sogar Schund, wird ihrer Wirkung nicht gerecht. Selbst King-Kritiker müssen zugeben, dass den Sujets eine Faszination innewohnt, die Leser gleich welchen Alters und sozialer Stellung in die Buchläden zieht. Un din die Kinos, wo diverse Monstren aus Kings Welt von Regisseuren wie Stanley Kubrick, Brian De Palma, Rob Reiner, John Carpenter oder David Cronenberg zum Leben jenseits der Buchdeckel erweckt wurden.

Die Furcht vor dem Tod spielt eine wichtige Rolle

Immer wieder thematisiert King den Wahnsinn des American Way of Life und findet ihn in profanen, alltäglichen Erscheinungsformen vor. So handelt etwa „Christine“ von der verhängnisvollen Liebe eines Highschool-Außenseiters zu einem Auto, einem abgewrackten 58er Plymouth Fury, den der Junge in einen schmucken Wagen zurückverwandelt. Dieser entwickelt eine Seele und übernimmt die Kontrolle über seinen Schöpfer. Eine treffende Beschreibung für den Fetischcharakter des Autos nicht nur in der amerikanischen Alltagskultur und eine Warnung, den Dingen nicht zuviel Bedeutung im Leben zu schenken.

Die Furcht vor dem Tod und ihre Überwindung spielt indes die wichtigste Rolle in Kings Werk, eine Form der Therapie, auch für den Autor, der in Gestalt einer Alkohol- und Kokainsucht mit eigenen Dämonen zu kämpfen hatte. Der Junge aus einfachem Haus hat sich zu einem der meistgelesenen Autoren der Welt gemausert, seine Sucht und einen schweren Verkehrsunfall überlebt und sich nun siebzig Jahre lang erfolgreich dem Tod widersetzt – das klingt wie das glückliche Ende eines dunklen Märchens. Wahrgeworden im Bundesstaat Maine, in der Nähe der Kleinstadt Derry.