Tief im Hohenloher Wald, umgeben von Ritterburgen und Jagdschlösschen, kocht Boris Benecke. Besitzer der Hotel- und Restaurantanlage Friedrichsruhe ist der Schrauben-Milliardär Reinhold Würth.

Friedrichsruhe - Es war einmal ein Mann, der kochte für die Gäste eines Schlosses. Reisende aus dem ganzen Land kamen zu ihm, es gab eine große Schar von Dienern, und manche Hochzeit ward dort gefeiert. Die Bauern aus den Dörfern ringsherum brachten die Früchte ihrer Felder zu dem Schloss, und es war allgemein bekannt, dass nirgendwo im ganzen Lande besser gespeist werden konnte.

 

So könnte diese Geschichte beginnen, die von Boris Benecke handelt. Sie spielt in einer Welt, die einem Märchenland gleicht und seit zehn Jahren dem Schrauben-Milliardär Reinhold Würth gehört.

Der 38-jährige Boris Benecke leitet als Küchenchef vier Restaurants im Wald- und Schlosshotel Friedrichsruhe, fernab vom Lärm und Trubel dieser Welt. Bis zur nächsten größeren Stadt, Heilbronn, fährt man eine halbe Stunde, über kurvige Straßen, auf und ab durch die hügelige Landschaft und vorbei an Ritterburgen. Ein Park mit alten Eichen umfängt das Hotel, und ein paar Schritte vom Haupthaus entfernt steht ein Jagdschloss, in dem einst der Fürst zu Hohenlohe seine Gäste unterbrachte. Vor dem Eingang reiht sich eine dunkle Limousine an die andere, schwere Teppiche im Inneren verschlucken jeden Laut. Wer hierherkommt, möchte sich entspannen. In der Sonne liegen, sich in einem der besten Spas Deutschlands massieren lassen, verwöhnt werden. Leben wie ein König.

Boris Benecke war noch nie im Spa. Sein Wecker klingelt um 6.30 Uhr. Er steht auf und fährt die paar Hundert Meter von seiner Villa zum Hotel mit dem Dienst-Audi. Er trinkt einen Kaffee und raucht eine Zigarette. „Nuttenfrühstück“, sagt Benecke und lacht, als er davon erzählt. Mit ausgreifenden Schritten ist er zum Chef’s Table geeilt, dem Esstisch für besondere Gäste, der direkt im Raum neben der Küche steht. In der Linken hält er das blinkende Blackberry, in der Rechten eine ausgedruckte E-Mail, den Kostenvoranschlag für einen Empfang. „Entschuldigen Sie die Verspätung, ich komme aus einem Meeting“, sagt er und setzt sich, ohne einen Deut seiner Körperspannung zu verlieren.

Französische Klassik in Hohenlohe

Der Mann arbeitet 16 Stunden am Tag, aber er sieht aus, als wäre er dem Werbeprospekt eines Surfcamps entstiegen. Braun gebrannt, drahtig. Vom manchmal etwas rustikalen Auftreten sollte man sich nicht täuschen lassen: Was er kocht, strahlt Eleganz und Klasse aus – der „Guide Michelin“ hat ihn mit einem Stern ausgezeichnet. Seine Kunst erkennt man schon beim Amuse-Gueule, einer Crème brûlée von der Gänseleber. Während die Kochavantgarde mit Ameisen und Rentierflechten experimentiert, setzt Benecke mutig auf französische Klassik. Er püriert die Gänseleber mit eingekochter Sahne, weißem Portwein und Sauternes, pochiert die Masse eine halbe Stunde bei 86 Grad, streut braunen Zucker darauf und karamellisiert ihn. Darüber bröselt er Briochekrumen, richtet mit Feigencreme und Selleriesalat an – ein exzellentes, zeitloses Minigericht.

Der Eigentümer der gesamten Anlage, der Milliardär und Kunstmäzen Reinhold Würth, 79, interessiert sich indes gar nicht so sehr für die Haute Cuisine. Am liebsten isst er Linsen mit Spätzle und Saitenwürste oder Maultaschen, wie er sagt. Selbst kochen? „Kann ich nicht, vielleicht einen Topf Wasser, wenn es gutgeht.“ Zur Hochküche kam er aus anderen Gründen. Nicht weit von Schloss Friedrichsruhe entfernt, in Öhringen, wurde Würth geboren. Von Hohenlohe aus baute er sein weltumspannendes Imperium auf, das im ersten Halbjahr 2014 fünf Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete – hauptsächlich mit Montageelementen. Reinhold Würth ist in der Region verwurzelt, ein großer Arbeitgeber, und als das Fürstenhaus das Schloss vor neun Jahren zum Kauf anbot, schlug er zu. „Ich hätte nicht gern gesehen, dass es an eine Hotelgruppe geht.“

So kombiniert er nun geschäftliche Interessen und die Interessen der Region. Kunden der Firmengruppe übernachten in der Hotelanlage, Boris Benecke kocht für wichtige Geschäftsessen. „Geld können Sie damit nicht verdienen, aber das stört mich nicht“, sagt Reinhold Würth. Seine Tochter Marion betreibt in der Nähe einen Bauernhof nach Demeter-Richtlinien. Dort züchtet sie Rinder, mit denen sie auch Boris Benecke beliefert. Das Hotel-Restaurant Anne Sophie in Künzelsau gehört ebenfalls Würth, hier engagiert sich Carmen, seine Ehefrau, mit der er seit fast 60 Jahren verheiratet ist. Viele Menschen mit Behinderung arbeiten dort. Das liegt den Würths am Herzen, da sie selbst einen Sohn mit geistiger Behinderung haben. Ab und zu schaut die ganze Familie in den Hotels vorbei, natürlich auch bei Boris Benecke. „Er kocht ganz prima“, sagt Würth.

Ein Flensburger als Spätzlesspezialist

Benecke ist ein Perfektionist, nicht nur im Gourmetrestaurant. Wenn er Spätzle kocht, dann feilt er so lange am Rezept, bis er die besten im Ländle macht. Und das als  gebürtiger Flensburger. Er hat seinen Beruf Mitte der 90er Jahre in Glücksburg erlernt, oben an der Ostsee, und als Jahrgangsbester abgeschlossen. Danach brauchte er nur eine Zwischenstation, das Marinas in Hamburg, bis er auf Deutschlands Top-Level angekommen war: anderthalb Jahre bei Heinz Winkler, anderthalb Jahre bei Harald Wohlfahrt – eine bessere Ausbildung bekam man damals nicht.

„Winkler hat mich vom Geschmack geprägt, Wohlfahrt von der Perfektion her“, sagt Benecke. Auf Nachfrage knurrt Winkler in den Hörer: „Der Junge war gut, das habe ich gleich gesehen. Konnte mit Personal umgehen.“ Wohlfahrt sagt: „Er hat als Mitarbeiter gezeigt, dass er einen Führungsanspruch hat.“

Seit 2009 leitet Benecke die vier Restaurants von Friedrichsruhe. „Das passt hier, es fühlt sich gut an“, sagt er am Chef’s Table. Eine Frau vom Bankett unterbricht das Gespräch. Sie kalkuliert die Preise für das Fingerfood auf einer Lesung, Benecke soll die Preise festlegen. „2,20 Euro?“, fragt sie. „Nee, nimm drei Euro“, meint Benecke. „Auf diesem Niveau sind Sie heutzutage viel mehr als nur Koch“, sagt er, als die Mitarbeiterin gegangen ist: „Man ist Manager, Motivationstrainer, Personalberater, alles auf einmal.“ Normal, dass er seinen Porsche Boxter S anderthalb Wochen lang nicht vom Platz bewegt. Dass er zehn Tage überhaupt nur zwischen dem Hotel und der Villa pendelt, die er vor zwei Jahren mit seiner Frau Nina gekauft hat. „Es ist ein Glück, dass sie auch hier arbeitet“, sagt Boris Benecke, „sonst wäre das überhaupt nicht möglich.“

Demeter-Tomaten von Würths Tochter Monika

Das Nordlicht fühlt sich zu Hause in der Region Hohenlohe. Für seine Gerichte bezieht Benecke manches aus den Nachbardörfern: Von Reinhold Würths Tochter Marion Demeter-Tomaten und Demeter-Gurken, hiesige Bauern liefern die Eier und Schinken für das Frühstück. Er setzt auf Regionalität, wenn möglich. Aber bitte nicht als Selbstzweck, so wie es gerade Trend ist.

Benecke erzählt all das präzise und mit guter Laune, doch irgendwann sagt er: „So, ich geh jetzt kochen.“ Er klingt wie jemand, der am Strand liegt und sagt: „Genug gefläzt, ich geh jetzt ins Wasser.“ Er nimmt das Blackberry und eilt los. Manager hin oder her, am liebsten steht er immer noch in der Küche, dort, wo die Töpfe dampfen und die Messer klackern, im pulsierenden Herzen des Restaurants. Wo Gerichte die Küche verlassen, die andernorts als altmodisch gelten. Na und?

Wolfsbarsch in der Salzkruste. Oder der meeresfrische Traum von Taschenkrebstatar, angerichtet mit Hummerschaum und Saiblingskaviar, aufgelockert mit Avocadocreme und Chips vom Hohenloher Landbrot. Herrlich ist Boris Beneckes glasig gegarter Steinbutt aus der Bretagne, mit geröstetem Pulpo und feinster Beurre blanc, zu dem nur noch ein Spritzer Erbsenmus kommt und etwas Rote Bete, aber mehr braucht es ja auch nicht.

Hospitanz beim El Bulli

Bei Boris Benecke zu essen heißt, sich auch nach zwei Wochen noch erinnern zu können, was man auf dem Teller hatte. Er kocht wie der Anti-Adrià, sein Fünf-Gänge-Menü liest sich wie das Gegenprogramm zu 20 Schäumchen und Gelees. Das soll so sein. Tatsächlich hat Benecke 2001 ein halbes Jahr bei Ferran Adrià im El Bulli hospitiert und Disziplin gelernt wie beim Militär. „War interessant“, sagt er: „Einmal habe ich dort gegessen, das 36-Gänge-Menü. Danach sind wir zu McDonald’s, weil wir immer noch Hunger hatten.“ Das darf nicht sein, beschloss er für sich. Wer kocht, muss Auge und Herz beglücken, die Gäste sollen schwärmen und inspiriert werden. Satt machen soll es auch.

Bevor angerichtet wird, steht Benecke da und poliert jeden Teller. Rührt um, schmeckt ab, weist einen Commis zurecht: „Beim nächsten Mal nur das Hellgrüne vom Lauch verwenden. Nicht das Weiße, nicht das Grüne, nur das aus der Mitte.“ Zwischendurch zeichnet er Menüpläne ab und rauscht zum Chef’s Table, dem Mitarbeiter des Monats die Hand schütteln.

Wenn der Tag sich dem Ende zuneigt und Benecke gegen elf, halb zwölf in der Nacht die Hoteltür hinter sich schließt, geht er als glücklicher Mensch. Sagt er. Zu Hause warten seine Frau, die 3000 Kochbücher, die er angehäuft hat, und neuerdings auch die Hündin Tessa. So könnte es weitergehen, und Boris Benecke könnte in Glück und Frieden bis an sein Lebensende in Friedrichsruhe weiter Gerichte entwerfen wie dieses Dessert: in Portwein getränkte Kirschen, eine Kuppel aus Manjari-Schokolade, dazu Sauerrahm-Eis. Möglich. Wahrscheinlich ist hingegen, dass er, vielleicht in 15 Jahren, mit Frau und Tessa und den Eltern auf eine spanische Insel zieht, dort ein kleines Restaurant für 20 Gäste aufmacht und jeden Tag die Speisekarte neu schreibt. Wenn es so kommt, hat er sich seinen eigenen kleinen Traum erfüllt.

Gastautor: Der 31-jährige Autor Philipp Elsbrock arbeitet als stellvertretender Ressortleiter Wein & Küche des Gourmet-Magazins „Der Feinschmecker“ mit Sitz in Hamburg.