Schätzungen zufolge nahm die Stadt Stuttgart seit dem Umzug der WGV nach Ravensburg 50 Millionen Euro weniger Steuern ein. Stuttgart will sich damit nicht abfinden und mit dem Fall vor Gericht ziehen.

Stuttgart/Ravensburg - Am Mittwochvormittag hat Daniel Rapp (CDU), der Oberbürgermeister von Ravensburg, einen wichtigen Telefontermin. Es steht das wohl bedeutendste Gespräch dieser Woche an, möglicherweise dieses Monats, vielleicht sogar des Jahres. Am andere Ende der Leitung wird Fritz Kuhn, der neue grüne Oberbürgermeister von Stuttgart sein. „Dann reden wir mal auf Augenhöhe von OB zu OB“, sagt Rapp. Da freue er sich schon drauf. Bislang habe er es nur mit untergeordneten Chargen zutun gehabt, gibt er zu verstehen und meint seinen Parteifreund und Stuttgarter Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU).

 

Vielleicht, denkt sich der Ravensburger OB, wird ja unter dem neuen grünen Chef alles besser. Das Verhältnis der Städte Ravensburg und Stuttgart ist seit längerem durch einen Streit um Steuermillionen belastet. Im Jahr 2004 war die Württembergischen Gemeinde-Versicherung a. G. (WGV) nach Ravensburg gezogen und hatte einen großen Batzen an Gewerbesteuer mitgenommen. Weil in Ravensburg der Hebesatz für die Gewerbesteuer mit 350 von Hundert günstiger als in Stuttgart (420 von Hundert) liegt, spart der Versicherer jedes Jahr fünf bis sechs Millionen Euro. Ebenso viel fehlt im Stadtsäckel von Stuttgart. Inoffiziellen Schätzungen zufolge sind der Landeshauptstadt seither mehr als 50 Millionen Euro Steuern entgangen.

Rapp will Kuhn dazu überreden, es gut sein zu lassen

Über die Verteilung der Gewerbesteuer wachen die Finanzämter. Die Steuer fällt in aller Regel dort an, wo das Unternehmen seinen Sitz hat. Für die Stuttgarter Verwaltungsspitze wenig überraschend hatte das Finanzamt Ravensburg den sogenannten Zerlegungsbescheid akzeptiert. Danach dürfen etwa 40 Prozent des Gewinns, den die WGV seither voll über die Ravensburger Holding abgerechnet, auch in der oberschwäbischen Stadt verbleiben. Der überwiegende Rest steht den Lohnsummen gemäß Stuttgart zu, da der Konzernsitz in Stuttgart ist und hier fast alle der rund 800 Mitarbeiter beschäftigt sind. In seiner Niederlassung Ravensburg hat die WGV neben dem dreiköpfigen Vorstand indes nur 1,5 Stellen angesiedelt.

OB Rapp will Kuhn überreden, es gut sein zu lassen. Er fürchtet zurecht, dass die Landeshauptstadt den Konflikt gerichtlich klären lassen will. Daran aber hat Rapp kein Interesse. „Stuttgart muss sich fragen, ob es für einen aussichtslosen Streit weitere Steuergelder vergeuden will“, poltert Rapp, der besonders Finanzbürgermeister Föll angreift. Das Vorgehen des Stadtkämmerers gegen die behördlichen Entscheide und seine Behandlung des WGV-Konzerns sei eine „Unverschämtheit“. Föll habe, so Rapp, dem Versicherer „Steuerflucht“ vorgeworfen. Der Stuttgarter Bürgermeister aber weist den Vorwurf zurück und versichert, dergleichen habe er nie gesagt.

Stuttgart denkt nicht daran, auf das Geld zu verzichten

Vor einer Woche hat die Finanzverwaltung des Landes den Einspruch Stuttgarts abgelehnt. Die Steuerbescheide der Jahre 2004 bis 2009 stehen Ravensburg demnach vollständig zu. Davor war eine vom Finanzamt Ravensburg durchgeführte Betriebsprüfung zum gleichen Ergebnis gekommen. Für Rapp und Ravensburg ist das eine überaus erfreuliche Entwicklung, denn die Millionen des Versicherers aus Stuttgart sind bereits verplant, wenn nicht schon ausgegeben. Die gut sechs WGV-Millionen jährlich machen bei einem Gewerbesteueraufkommen zwischen 35 und 40 Millionen einen gehörigen Batzen aus.

Anders als bei der Stadt Stuttgart, die jedes Jahr von ihren Firmen rund 600 Millionen Euro an Gewerbesteuer kassiert. Sie könnte leichter auf das Geld verzichten, aber sie denkt gar nicht daran. Jedes Jahr erhebt die städtische Kämmerei gegen 50 bis 100 Zerlegungsbescheide der Finanzämter Einspruch. Vier bis fünf Millionen Euro fließen auf diesem Wege der Stadt zusätzlich zu. Um noch besser an die entgangenen Fiskusmillionen zu kommen, hat die 236 Mitarbeiter starke Kämmerei in der Steuerabteilung (34 Beschäftigte) sogar zwei eigene Prüfer eingestellt.

Ein Finanzgericht wird den Sachverhalt unabhängig klären

Auf die WGV-Millionen will Stuttgart schon gar nicht pfeifen. „Ich würde meine Treuepflicht verletzen und mich sogar strafbar machen, wenn ich hier etwas unterlassen würde“, erläutert Föll. Es bleibe der Stadt und ihm selbst „gar nichts anderes übrig“ als weiter um die WGV-Millionen zu kämpfen. Demnächst dann eben vor Gericht. Die auf Steuerrecht spezialisierte Stuttgarter Kanzlei Bulmers & Partner bereitet nach Angaben Fölls bereits die Klage vor. Einen Monat hat Stuttgart Zeit, Einspruch zu erheben.

Die Chancen auf einen juristischen Erfolg sieht der Bürgermeister als gut an. „Es überrascht mich nicht, dass alle Entscheidungen bislang zu Gunsten von Ravensburg ausgegangen sind, denn schließlich hat alle diese Prüfungen allein das Finanzamt Ravensburg durchgeführt“, erklärt Föll weiter. Ein Finanzgericht aber werde den Sachverhalt unabhängig klären. Solche Streitigkeiten sind langwierig, selten dauern sie weniger als ein Jahr. Am Ende werde die Sache höchstinstanzlich vor dem Bundesfinanzhof in München entschieden werden, heißt es auch aus Ravensburg.

Die „Nervosität“ des OB Rapp („den ich schätze“) könne er „gut verstehen“, da es für Ravensburg „um viel geht“, sagt Föll. Dass aber sein neuer Amtsherr Fritz Kuhn, den Steuerstreit anders beurteilt als er selbst, kann sich Föll „beim besten Willen“ nicht vorstellen. Er arbeite mit Kuhn zwar erst seit vier Wochen zusammen. „Aber es geht ihm wie mir darum, mit der Angelegenheit nüchtern und sachlich umzugehen und im übrigen die Interessen der Stadt Stuttgart zu wahren.“