Spielberg sticht jenen den Star, die sich eine gute alte Zeit idealistischer Politik erfabeln. Das Ringen um die Sklaverei entspricht den schlimmsten Willensbildungsprozessen unserer Zeit. Die Charaktere der Arena, gespielt unter anderem von Tommy Lee Jones, Hal Holbrook, James Spader und Bruce McGill, zeichnet Spielberg mit dem Strich des Karikaturisten. Er entlehnt sie eben nicht der patriotischen Geschichtsfibel, sondern eher den Historienromanen Gore Vidals.

 

In manchen Kritiken wird „Lincoln“ vorgeworfen, er werde über seine 150 Minuten doch sehr langatmig. Das Gegenteil ist richtig: „Lincoln“ ist äußerst kurzweilig, in der Spiegelung des heutigen politischen Betriebs, aber auch, weil er in die politische Debatte um die wahre Haltung des gern „Honest Abe“ genannten Lincoln zur Sklaverei und ihren Opfern eingreift. Spielberg zeigt einen Politbetrieb, in dem Taktieren, Lavieren und Kaschieren so essenziell für die Durchsetzung von Interessen sind, dass die Frage nach „wahren“ innersten Absichten irgendwann absurd wird. Man kann nur messen, was am Ende herauskommt.

Bibelzitat und Dorfladenwitz

Der kurzweiligste Teil des Films jedoch ist Lincolns Instrumentarium: das von Anekdote und Gleichnis, von Bibelzitat und Dorfladenwitz, von Kalenderweisheit und klassischer Bildung, von juristischem Sachverstand und Menschenkenntnis, von Rhetorik in all ihren Schattierungen. Dieser Lincoln kann Leute von ihren Überzeugungen weg und notfalls zu Tode reden. Spielberg findet sich in diesem Geschichtenspinner wieder. Sein Lincoln ist die leibhaftig gewordene Bedeutung des Erzählens in der Weltgeschichte. Das Verständnis der Welt und ihre Veränderung beruhen hier, obwohl wir uns mitten im Kriege befinden, nicht nur auf der Macht der Armeen. Sie fußen darauf, dass einer zur richtigen Zeit die passende Geschichte so wirkungsvoll wie möglich erzählt.