Zum Stiftungstag der Stiftung Geißstraße hat Joachim Rücker, ehemaliger Sindelfinger Oberbürgermeister und heute Botschafter bei den Vereinten Nationen, über die immer mehr bedrohten Menschenrechte referiert.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttgart - „Wir leben in einer sehr schwierigen Zeit.“ Dieser Analyse der Weltlage des deutschen Botschafters beim Büro der Vereinten Nationen (UN) in Genf, Joachim Rücker, wird niemand widersprechen. Der frühere Oberbürgermeister von Sindelfingen, dessen berufliche Stationen ihn um den halben Erdball führten, war der Gastredner beim Stiftungsabend der Stiftung Geißstraße.

 

Sein Vortrag über die Zukunft der Menschenrechte hätte angesichts des jüngsten Anschlags der Terrormiliz Islamischer Staat in der Türkei aktueller nicht sein können, wie der Vorsitzende des Stiftungsrates, Staatssekretär Klaus-Peter Murawski, zur Begrüßung der Gäste sagte. Seit diesem Januar fungiert Rücker als Chef des 2006 gegründeten UN-Menschenrechtsrats als höchste Instanz der vor 70 Jahren verabschiedeten Charta.

Wann immer die Menschenrechte verletzt würden, sei dies ein erstes Anzeichen für eine Krise, sagte Rücker zum Einstieg seiner Rede. In einer Umfrage von 2014 setzten 66 Prozent der Befragten den Schutz der Menschenrechte auf Platz eins der außenpolitischen Ziele, berichtete er dann anerkennend. Aber nicht nur moralisch, sondern auch interessenpolitisch sei es wichtig, sie zu wahren, denn „ohne Frieden keine wirtschaftliche Entwicklung, ohne wirtschaftliche Entwicklung kein Frieden“, zitierte er den früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan.

Die wenigsten Flüchtlinge kommen nach Europa

230 Millionen Menschen seien momentan im Migrationsprozess. Davon seien 60 Millionen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. Von ihnen seien 40 Millionen im eigenen Land vertrieben worden, 20 Millionen ins Ausland geflohen, sagte Rücker. 86 Prozent der Flüchtline suchten in ihren Nachbarländern Schutz, lediglich 14 Prozent kämen in unsere Regionen, so der UN-Experte. „Was die Nachbarländer Syriens – der Libanon und die Türkei – leisten, ist nicht hoch genug zu bewerten“, sagte er.

Angesichts der Tatenlosigkeit der Weltgemeinschaft im Syrienkrieg stellte er die rhetorische Frage: „Brauchen wir die UN überhaupt noch?“, um dann deren Verdienste aufzuzählen. Unter anderem seien auf ihre Initiative hin weltweit seit der Jahrtausendwende 500 Millionen Kinder geimpft worden, und: „Wie sähe ohne die UN die Versorgung der Flüchtlinge aus?“

Aktuell sei der gerade begonnene Prozess gegen den ehemaligen Diktator des Tschad, Hissène Habré, wegen Menschenrechtsverbrechen in seiner Amtszeit ein großer Fortschritt, zumal ihn der Senegal zur Rechenschaft ziehe und ihm keinen Schutz gewähre, wie dies früher in Afrika üblich war. Auch die Dokumentation der erschütternden Zustände in Nordkorea gehöre zu den UN-Erfolgen. „Immerhin werden die Dinge so öffentlich gemacht“, kommentierte Rücker, der Hoffnungen in eine positive Breitenwirkung des Anti-Atom-Abkommens mit dem Iran im vorderen und mittleren Osten setzt.

Die neuen Bedrohung der Menschenrechte durch Umweltzerstörung und die Neuen Medien kamen in der Diskussion mit den Zuhörern zur Sprache. Es sind das Recht auf die gerechte Verteilung von Wasser und der Klimawandel, die die Inselstaaten in ihrer Existenz bedrohen. Auch der Umgang mit Informationen beschäftigt die UN. Auf Initiative Deutschlands und Brasiliens wurde für dieses Thema ein Sonderberichterstatter eingesetzt.