Er hat keine Nachfahren, besitzt aber ein Haus und mehrere Kunst-Sammlungen: Der Maler Michael Lesehr hat eine besondere Stiftung gegründet.

Architektur/Bauen/Wohnen: Andrea Jenewein (anj)

Stuttgart - Michael Lesehr hält die kleine Schildkröte sanft in seiner großen Hand und krault sie am Kinn. „Kröttle, du bist mein Lebendinventar“, sagt der Stuttgarter Maler. Kröttle strampelt mit ihren vier Beinen in der Luft. „Mein Strampelino“, sagt er, „die hat keine Nummer drauf“. Er zeigt den gepanzerten Bauch der Schildkröte.

 

Indes haftet an all den Kunstwerken in Lesehrs Haus am Bopser ein weißer Aufkleber mit einer Nummer, meist gut versteckt auf der Rückseite. Und Kunstwerke, davon hängen und stehen in diesem Haus – das eher den Namen Museum verdient – viele. Sehr viele: Seine eigenen Gemälde und Grafiken, Werke seiner Mutter, der Malerin Lotte Lesehr-Schneider, sowie seines Vaters, des Bildhauers, Malers und Grafikers Georg Lesehr, eine Sammlung von Kunstwerken des Malers Gabriel von Max, eine Sammlung von Kunstwerken russischer Maler, eine Sammlung von russischen Lack-, Email- und Holzarbeiten sowie eine Sammlung von Ikonen.

„Ich habe meistens das genommen, was niemand wollte“

Dieser gesamte Kunstschatz ist seit dem Jahr 2014 Teil der Michael-Lesehr-Stiftung, einer Stiftung bürgerlichen Rechts. Wie viel alles zusammen wert ist? „Keine Ahnung, es geht mir um den geistigen Wert“, sagt Lesehr und streicht mit der Hand über ein Gemälde von Gabriel von Max. Er hat es im Kunsthandel entdeckt, es war total verschmutzt. Lesehr reinigte es. Auch vom Flohmarkt und sogar vom Sperrmüll stammen einige Werke seiner Sammlung. „Ich habe meistens das genommen, was niemand wollte, das ist das Beste“, sagt er. Zudem hat der Maler nebenbei im Kunsthandel gearbeitet und „vieles im Tausch“ erworben. Anderes kaufte er vom Geld, das er durch den Verkauf eigener Bilder eingenommen hatte.

Auch das Haus, eine alte Villa mit Blick über Stuttgart, gehört der Stiftung. Lesehr, der 1941 in Stuttgart geboren wurde und in Biberach aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, wohnt seit den 60er Jahren in dem Haus, das einst seinem Großvater mütterlicherseits gehört hatte, und das er geerbt hat. „Nach meinem Tod dürfen meine Bilder zeitweise abgehängt werden und andere Künstler können ihre Werke hier ausstellen – zudem wird es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein oder zwei Künstler dürfen sogar im Haus wohnen“, sagt Lesehr. „Ja, die freuen sich, wenn ich tot bin.“

Er war nie verheiratet und hat keine Nachfahren

Er seufzt. Dann lächelt er wieder. „Die Freude flieht auf allen Wegen; der Ärger kommt uns gern entgegen“, zitiert er Wilhelm Busch. Lesehr ist ein Unikum: Ein wandelndes Lexikon. Ein Spiritueller. Ein Geschichtenerzähler. Ein Freigeist. Ein Menschenfreund. Ein Russlandliebhaber. Ein Künstler. Eigenschaften und Werte, die leider nicht in die Stiftung mit einfließen können, sondern mit Lesehrs Tod verloren gehen werden.

Dafür können sich an seinem Nachlass einmal viele Menschen erfreuen. „Ich war nie verheiratet und habe keine Nachfahren“, sagt Lesehr. Deshalb sei er auf die Idee mit der Stiftung gekommen. Überwindung habe ihn dies schon gekostet. Er habe lange überlegt, wem er alles übergeben könnte, habe aber niemanden gefunden, der künstlerisch auf seiner Wellenlänge liege.

Ob diese Entscheidung im Sinne seiner Eltern ist? „Das ist eine gute Frage. Meine Mutter wollte immer, dass ich heirate und sie Enkel bekommt. Ich weiß tatsächlich nicht, ob es in ihrem Sinne gewesen wäre“, sagt er. Er legt die Stirn in Falten. Dann streicht die große Hand sie mit einem Zug wieder glatt: „Aber es ist in meinem Sinne.“

Für Kröttle ist auch gesorgt. Die Schildkröte kommt einmal zu einer Frau im Badischen. „Da hast du es gut“, sagt Lesehr. Er, davon ist er überzeugt, wird dann von oben zusehen.