Diethard Erbslöh hat an seinem Haus eine Gedenktafel angebracht, um die Stadt Stuttgart zum Entfernen zweier Stolpersteine zu zwingen.

Stuttgart - Schon Mitte März hatte Diethard Erbslöh es angekündigt - jetzt hat es der Besitzer des Wohnhauses Hohentwielstraße 146 B im Stuttgarter Süden wahr gemacht: Wo auf dem Gehweg zwei Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig an das Schicksal der einstigen jüdischen Mieter Mathilde und Max Henle erinnern, hat der Grundeigentümer nun eigenhändig eine Tafel angebracht, auf welcher steht: "Hier wohnten unbehelligt Max und Mathilde Henle 1.4.1932 - 30.3.1939". Der Hausbesitzer nennt das "eine Gedenktafel für zwei jüdische Hausbewohner" - sein Versuch, die Stadt Stuttgart zum Entfernen der beiden Stolpersteine zu zwingen, war, wie wiederholt berichtet, im Frühjahr vor dem Amtsgericht, Ende August auch vor der 4. Zivilkammer des Stuttgarter Landgerichts gescheitert.

 

In einer schriftlichen Stellungnahme geht das Ehepaar Helga und Diethard Erbslöh, beide 71, nicht nur mit den Urteilen hart ins Gericht: "Wir haben den Glauben an demokratische Verhältnisse in diesem Land verloren." Bisher sei man, "weder von der Stadt noch vor dem Amtsgericht oder dem Landgericht persönlich angehört worden". Auch die Stadt und ihre "Aktivisten" - so nennen die Hausbesitzer die Stolperstein-Initiativen - hätten Gespräche "rigoros abgewiesen". Deshalb greife man jetzt zur Selbsthilfe: Am 10. Oktober, dem "Jahrestag der Verlegung der ,Steine des Anstoßes"', habe man die "Gedenktafel" angebracht, damit "der erstaunte Passant lesen kann, dass in diesem Haus - entgegen der Darstellung auf den Steinen - keine Naziverbrechen geschehen sind". Die von ihnen kritisierten Vorgänge seien "peinlich für eine Stadt, die sich unfähig zeigt, ihren geschichtsverfälschenden Irrtum einzugestehen und zu beheben".

Gunter Demnig, zu der Aktion des Hausbesitzerehepaares befragt, erklärte am Donnerstag spontan: "Ich habe rund 27.000 Stolpersteine im In- und Ausland verlegt - aber das ist der erste Fall dieser Art. Dazu fällt mir nichts ein." Dann aber sagt er: "Wahrscheinlich glaubt das Ehepaar wirklich, was es da behauptet - aber ich weiß aus meiner Erfahrung, dass solche Behauptungen häufig gelogen sind." Die von den Nationalsozialisten verfolgten jüdischen Mitbürger seien "eben nicht freiwillig in die sogenannten Judenhäuser umgezogen - in aller Regel ist ihre zwangsweise Umsiedlung hintenherum betrieben worden". Selbstverständlich könne der Hausbesitzer "auf seine Tafel schreiben, was er will".

"Makel, unter dem wir leiden"

Harald Stingele, der Sprecher der Stolperstein-Initiativen, erklärte: "Ich bin nicht überrascht, denn der Hausbesitzer hatte ja angekündigt, dass er eine Tafel anbringen werde." Allerdings, so Stingele, frage man sich bei den Initiativen, "wo dafür die Motive liegen, denn wir haben nie behauptet, dass das Ehepaar Henle von seinen damaligen Vermietern, also den Vorfahren von Frau Erbslöh, drangsaliert oder denunziert worden sind". Das Haus Hohentwielstraße 146 B sei nun einmal "der letzte freigewählte Wohnsitz der Henles gewesen, und darauf kommt es bei den Stolpersteinen an".

Zur Erinnerung: im März 1939 waren Mathilde und Max Henle aus der Hohentwielstraße in die Koppentalstraße 3 umgezogen. Dieses Gebäude gehörte Mathildes jüdischer Schwägerin Erna Bickart - sie wurde von den Behörden gezwungen, weitere jüdische Bürger aufzunehmen, alle wohnten, so die Recherchen der Stolperstein-Initiativen, "dicht gedrängt auf einer Etage dieses Judenhauses". 1942 wurden die Juden aus der Koppentalstraße ins Judenviertel Haag nach Haigerloch "evakuiert", wie es offiziell hieß. Max Henle starb am 19. August 1942, kurz vor seiner Deportation, im Sammellager auf dem Killesberg, seine Frau wurde zwei Tage später vom Nordbahnhof aus in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo sie am 24. Dezember 1942 starb. Ihre Schwägerin Erna Bickert war bereits ein Jahr zuvor in Riga ermordet worden.

Helga und Diethard Erbslöh haben das Schicksal der ehemaligen jüdischen Mieter stets bedauert. Sie betrachten die Stolpersteine vor ihrem Haus jedoch als "Makel, unter dem wir leiden". Die Henles hätten mit ihren Vermietern "in Frieden und Eintracht gelebt" - durch die Stolpersteine bringe man ihre Vorfahren "in Verbindung mit Verbrechen des Naziregimes".

Gunter Demnig kommt

Geschichte: Vor sieben Jahren hat der Kölner Künstler Gunter Demnig die ersten Stolpersteine im Stuttgarter Osten verlegt - mittlerweile sind es rund 600 im gesamten Stadtgebiet. Die historischen Recherchen dazu stammen von den 14 Stolperstein-Initiativen, die sich hier inzwischen gebildet haben.

Aktion: Am 22. und 23. November kommt Gunter Demnig wieder nach Stuttgart, um insgesamt 32 weitere Kleindenkmale anzubringen. Sie erinnern an jüdische Opfer des NS-Regimes, aber auch an politisch Verfolgte sowie an Behinderte, die im Rahmen der sogenannten Euthanasie ermordet worden sind. Unter anderem sind Verlegungen in Bad Cannstatt, Weilimdorf, Vaihingen sowie in den fünf Innenstadtbezirken geplant.

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