Der Kölner Aktionskünstler Gunter Demnig verlegt am heutigen Dienstag an verschiedenen Orten der Murrstadt Stolpersteine – zum Gedenken an sechs Opfer der Nationalsozialisten. Sie wurden von den Nazis getötet, die Morde wurden vertuscht.

Backnang - Emilie Wagner, Jahrgang 1870, geborene Keck, ermordet am 24. Juni 1940 in Grafeneck bei Gomadingen (Kreis Reutlingen). Luise Friederike Grün, Jahrgang 1873, geborene Bareither, ermordet am 24. Juni 1940 in Grafeneck. Pauline Kleemann, Jahrgang 1908, ermordet am 18. September 1940 in Grafeneck. Franziska Ade, Jahrgang 1880, gerufen Funny, ermordet am 3. Oktober 1940 in Grafeneck. Anna Maria Pfleiderer, Jahrgang 1880, ermordet am 4. Mai 1941 in Hadamar, Hessen. Paul Wilhelm Krauter, Jahrgang 1896, ermordet am 12. November 1940 in Grafeneck. Sechs Namen von Frauen und Männern, die einst in Backnang gelebt haben. Sie wurden während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft kaltblütig umgebracht, weil sie behindert waren, weil ihnen eine Behinderung zugeschrieben wurde oder weil sie nicht so waren, wie die Machthaber die Deutschen gerne haben wollten. Sie wurden abgeholt, in ein Vernichtungslager deportiert und dort kaltblütig und mit Kalkül ermordet.

 

Kein Volksvermögen für nutzlose Esser

Das Ziel Nazideutschlands war, Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen zu töten. Denn, so hieß es, sie seien „nutzlose Esser“, für sie dürfe kein „Volksvermögen“ vergeudet werden. Auch unliebsame Bürger wurden auf diese perfide Weise aus dem Weg geräumt.

Zum Gedenken an diese sechs ehemaligen Bürger der Stadt Backnang werden heute sogenannte Stolpersteine verlegt. Nach dem Willen des Kölner Aktionskünstlers Gunter Demnig und vieler Stolperstein-Initiativen in Deutschland soll möglichst jedes einzelnen Ermordeten mit so einem Stein gedacht werden. Die Stolpersteine tragen jeweils eine Messingplatte und werden vor den letzten Wohnhäusern der Getöteten im Boden eingebracht. Auf den Steinen sind die Namen, die Geburtstage und die Daten der Ermordung zu lesen.

In Backnang sind bis dato zehn Stolpersteine verlegt worden. Nach Auskunft von Bernd Hecktor von der örtlichen Stolperstein-Initiative wurden im Rahmen des sogenannten T-4-Programms 27 Backnanger von den Nazis getötet, von den meisten dieser Opfer konnte das letzte Wohnhaus in der Stadt ermittelt werden.

Die Verlegung der sechs Stolpersteine beginnt heute um 14.30 Uhr vor dem Haus Am Ölberg 9a, wo Emilie Wagner einst gewohnt hat. Als sie ermordet wurde, war Emilie Wagner 70 Jahre alt, sie lebte seit 1920 wegen „zirkulärer Geistesstörung“ in der Heilanstalt Winnental, das hat Bernd Hecktor recherchiert. Er und der Stadtarchivar Bernhard Trefz haben auch das Leben und das Schicksal der anderen Backnanger Euthanasieopfer erforscht.

Der Stolperstein für Luise Friederike Grün wird vor dem Haus Am Ölberg 11 verlegt. Dort wurde einst ein Haus für alleinstehende, arme Frauen betrieben.

Arztdiagnose als Todesurteil

Pauline Kleemann hat im Gebäude Postgasse 4 gewohnt. Die Jahre vor ihrem Tod lebte sie in der Anstalt Stetten (heute Diakonie Stetten). Hecktor hat in alten Protokollen gefunden, dass Kleemann als „erbkrank“ eingestuft wurde. Ferner hieß es: „arbeitet nicht“. Diese beiden Aussagen brachten der Frau, die als Kind noch mit den Worten „gutartig, tut niemanden etwas zuleide“ charakterisiert worden war, den Tod. Hecktor sagt, an dem Tag des Transports von Pauline Kleemann und anderen Stettener Pfleglingen habe die Anstalt „keinerlei Rettungsversuche“ unternommen. Heute indes stelle sich die Diakonie Stetten der eigenen Geschichte und setze sich mit dieser düsteren Vergangenheit „in beispielhafter Weise“ auseinander.

Franziska Ade hat im Gebäude Schillerstraße 6 gewohnt. Sie hatte Kinderlähmung, sei „zu schwach begabt, könne dem Schulunterricht nicht folgen“, so die Diagnose eines Arztes. Später hieß es in einem Bericht, sie könne nur mangelhaft stricken, sei folgsam, verträglich und gutmütig.

Anna Maria Pfleiderer hat in der Schillerstraße 21 gewohnt. Sie sei „eine kleine, aber sicher resolute Person“ gewesen, mit diesen Worten hat Hecktor seine Recherchen zusammengefasst. Sie habe lange im elterlichen Ladengeschäft mitgearbeitet. Ärzte diagnostizierten später eine „Rückbildungspsychose“.

Paul Wilhelm Krauter hat im Gebäude Grabenstraße 1 gewohnt. Er verbrachte bereits im Schulalter einige Jahre in der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg bei Gammertingen. Später wurde er in die Anstalt Stetten aufgenommen. In den Akten heißt es, er habe chronisches Bronchialasthma, eine Herzschwäche und „angeborenen Schwachsinn“ – das Todesurteil.

Ein Standesamt für fingierte Todesmeldungen

T-4-Programm
Im Rahmen des sogenannten T-4-Programms sind Anfang der 1940er Jahre in Deutschland und in Österreich mehr als 70 000 Kinder, Frauen und Männer ermordet worden. Es handelte sich um behinderte Menschen oder Personen, denen eine Behinderung zugeschrieben wurde. Später wurden weitere kranke und behinderte Menschen ermordet, nicht mehr zentral in den Tötungsanstalten, sondern dezentral. Allein in Grafeneck auf der Schwäbischen Alb wurden in den Gaskammern mehr als 10 500 Menschen vergast. Die Bezeichnung T 4 steht für das Gebäude, in dem der Beschluss für die perfide Aktion gefasst wurde: Tiergartenstraße 4 in Berlin.

Täuschung
Den Angehörigen der Ermordeten wurde mitgeteilt, dass die Opfer eines natürlichen Todes gestorben seien. Auch in Grafeneck gab es ein Standesamt für fingierte Todesmeldungen.

// Weitere Infos unter
www.stolpersteine-backnang.de und www.stolpersteine.com