Wegen Überlastung der Staatsanwaltschaften nimmt in Baden-Württemberg die Zahl der vor Gericht verhandelten Fälle ab.

Stuttgart - Wegen Überlastung der Staatsanwaltschaften nimmt in Baden-Württemberg die Zahl der vor Gericht verhandelten Fälle ab. Das Land sei bei der Strafverfolgung jahrelang bundesweit Spitzenreiter gewesen mit der höchsten Zahl an Anträgen vor Gericht, sagte Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger am Donnerstag in Stuttgart. Nun nähere sich das Land immer mehr dem Bundesschnitt an. Dies sei "alarmierend". Grund sei die Belastung der Staatsanwälte.

Während die Verfahrenszahlen seit 1996 teilweise um über 18 Prozent gestiegen seien, habe die Zahl der ermittelnden Staats- und Amtsanwälte abgenommen. Dem Personalbedarfsberechnungssystem zufolge hatten die baden-württembergischen Staatsanwaltschaften zwischen Juni 2007 und Juni 2008 16,6 Prozent zu wenig Personal, erläuterte der Generalstaatsanwalt. "Vor vier Jahren hatten wir noch sieben Prozent zu wenig. Das war noch akzeptabel", fügte Pflieger hinzu. Die Staatsanwaltschaft hoffe insbesondere auf eine Verstärkung bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität.

35 Staatsanwälte fehlen


Nach der Einstellung von fünf Staatsanwälten 2009 - erstmals überhaupt seit 1995 - liegt den Angaben zufolge die Personalbedarfsdeckung bei den Staatsanwaltschaften inzwischen bei 87 Prozent. Etwa weitere 35 Staatsanwälte würden gebraucht, um zu einer hundertprozentigen Deckung des Personalbedarfs zu kommen. Derzeit müsse ein Staatsanwalt im Schnitt etwa zehn Vorgänge pro Tag erledigen.

2009 gab es laut Generalstaatsanwaltschaft erstmals einen Rückgang der Verfahrensfälle im Land. "Es zeichnet sich ein Silberstreif am Horizont ab. Ich tue mich aber mit der Bewertung schwer, ob das eine Trendwende oder ein Zufall ist", sagte Pflieger. Die Polizeibehörden etwa führten dies auf die Belastung durch den NATO-Gipfel im April 2009 zurück. Diese habe dazu geführt, dass manche Ermittlungsarbeit zurückgestellt werden musste. Für diese Darstellung spreche, dass im zweiten Halbjahr die Zahl der Verfahren wieder deutlich gestiegen sei.

2008 mehr als 357.000 Verfahren


2008 hatte die Zahl der Verfahren mit über 357.000 ihren Höchststand erreicht. Dies sei insbesondere auf zwei "Massenverfahren" zurückzuführen, darunter das sogenannte "ratiopharm-Verfahren" der Staatsanwaltschaft Ulm gegen mehrere Mediziner.

Eine "schlimme Entwicklung" zeichnet sich laut Pflieger bei der Erledigung rückständiger Verfahren ab, die älter als ein Jahr alt sind. "Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht in den Altverfahren ersaufen", sagte er. 2008 hatte die Zahl der Altverfahren mit 3000 Fällen gegenüber 1996 um 34,7 Prozent zugenommen. Dieser Berg habe sich 2009 lediglich um etwa zwei Prozent reduziert.

Nach wie vor sei jedoch Württemberg auch 2008 die sicherste Gegend im gesamten Bundesgebiet gewesen: Während bundesweit im Schnitt 707 Beschuldigten auf 10 000 Einwohner kamen, waren es in Württemberg nur 493. Berlin belegte mit 1068 Beschuldigten den Spitzenplatz.