Eine Expertenkommission hat 1300 Straßennamen in Freiburg untersucht. Sie empfiehlt, zwölf Straßen umzubenennen, die den Namen von Personen mit NS-Vergangenheit tragen. Auch eine nach dem Chemiker und Judenhasser Hermann Staudinger benannte Schule ist betroffen.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Ehre, wem Ehre gebührt – nach dieser Devise wurden früher Straßen oder Schulen nach prominenten Personen benannt. Doch wenn sich die Zeiten ändern, werden die Namensgeber neu bewertet und können zur Last werden. Zum Beispiel Straßen, die nach dem Generalfeldmarschall und Hitler-Wegbereiter Paul von Hindenburg benannt sind. Oder nach dem Philosophen Martin Heidegger. Oder nach dem Chemiker und Nobelpreisträger Hermann Staudinger. Freiburg muss sich derzeit mit allen drei Personen beschäftigen, zumal Heidegger und Staudinger lange an der Freiburger Universität gewirkt haben. Heidegger war NSDAP-Mitglied bis zum Ende des Regimes und Rektor der Uni Freiburg in den Jahren 1933 und 1934. Er initiierte als Rektor ein Ausschlussverfahren gegen den früheren Pazifisten Staudinger, das aber ohne Erfolg blieb, weil einflussreiche Kreise der chemischen Industrie intervenierten.

 

Die Rede ist vom „opportunen Antisemititismus“

Denn Staudinger war keinesfalls Widerstandskämpfer, sondern wie Heidegger auch ein eifriger Judenhasser, der sich für „die Brechung des jüdischen Einflusses in der Chemie“ aussprach. Diese und weitere judenfeindliche Äußerungen sind in Publikationen des Schriftstellers Ernst Klee dokumentiert und längst bekannt. Die Kölner Wissenschaftshistorikerin und Biologin Ute Deichmann, Autorin einer Arbeit über Chemiker und Biochemiker in der NS-Zeit („Flüchten, Mitmachen, Vergessen“), hat Staudinger „opportunen Antisemitismus“ bescheinigt. Der Freiburger Historiker Bernd Martin hat bereits 1995 in einem Aufsatz geschrieben: „Staudinger hat sich schon 1936 darum gesorgt, dass zu viele Nichtarier an seinem Institut studieren.“ Nach seiner Rehabilitierung leitete Staudinger von 1940 an von der Industrie großzügig geförderte Institut für Makromolekulare Chemie in Freiburg bis 1956.

An Staudingers Institut wurde, sagt Martin, „wehr-chemische Forschung, beispielsweise über Giftgas“ betrieben. Das Institut galt als „kriegswichtigstes“ an der Universität. Seit den 20er Jahren soll der 1881 in Worms geborene Chemiker auf der Gehaltsliste des IG-Farben-Konzerns gestanden haben. Im Ersten Weltkrieg hatte es Staudinger noch abgelehnt, an der Entwicklung chemischer Waffen mitzuarbeiten. Für seine Entdeckungen auf dem Gebiet der makromolekularen Chemie bekam Staudinger 1953 den Nobelpreis, 1954 wurde er Ehrenbürger der Stadt Freiburg. Nach dem 1965 verstorbenen Wissenschaftler wurde die Freiburger Gesamtschule benannt, eine von zweien in Baden-Württemberg, und eine Straße in einem Stadtteil.

Die Auswirkungen auf die Staudinger-Schule sind unklar

Im Zuge der Untersuchung sämtlicher 1300 Straßennamen in Freiburg durch eine Expertenkommission ist jetzt auch die Staudinger-Gesamtschule ein Thema geworden. Die Kommission unter dem Vorsitz von Professor Bernd Martin hat zwar die Hindenburg-Straße und den Heidegger-Weg auf den Index von zwölf Straßen der „Kategorie A“ gesetzt, die man besser umbenennen sollte, die Staudinger-Schule war aber nicht Gegenstand der Untersuchung. Die Staudinger-Straße wurde in die „Kategorie B“ aufgenommen. Diese Straßennamen sollen künftig mit neuen Hinweisschildern über die dunklen Flecken in der Biografie der Namensgeber ergänzt werden. Staudingers „Sich-Anbiedern“ an den Nationalsozialismus und die mutmaßlich kriegswichtigen Forschungsarbeiten „wiegen schwer“, betont die Kommission. In seinem „Rechenschaftsbericht“ im Jahre 1945 hatte Staudinger seine Verstrickungen mit dem Naziregime und seinen Antisemitismus verschwiegen.

Welche Auswirkungen der Bericht der Namenskommission auf die nach Staudinger benannte Gesamtschule in Freiburg haben wird, ist noch unklar. Für die Namensvergabe ist die Stadt als Träger zuständig, die Schulkonferenz könnte einen Antrag auf Umbenennung stellen. Der Schulleiter Martin Baumgarten sagt: „Wir nehmen das sehr ernst und werden die Quellen genau studieren und im zweiten Schritt mit Schülern und Eltern über mögliche Konsequenzen diskutieren.“

Die Empfehlungen der Kommission sollen bereits am 18. Oktober dem Gemeinderat zur Entscheidung vorgelegt werden. Als erste deutsche Stadt hat Freiburg sämtliche 1300 Straßennamen von Historikern, Politologen, Soziologen und Archivaren überprüfen lassen. Nach vierjähriger Arbeit empfiehlt das achtköpfige Gremium der Stadt und dem Gemeinderat, zwölf Straßennamen zu ändern. Neben der Hindenburgstraße und dem Heidegger-Weg sind es unter anderem nach Medizinern benannte Straßen. Sie betrieben „rassehygienische“ Forschungen oder haben, wie Leni Riefenstahls Kameramann Sepp Allgeier, die NS-Propaganda befördert. Auch nach dem ultrakonservativen und antisemitischen Pfarrer Alban Stolz (1808-1883) soll keine Straße mehr benannt sein. Bei weiteren 15 umstrittenen Namen wie beispielsweise dem des Erzbischofs Conrad Gröber, einem Fördermitglied der SS, oder des Dichters Heinrich Hansjakob soll es dagegen ergänzende Hinweisschilder geben.