Bei der Tagung des Deutschen Verkehrssicherheitsrats ging es um die Hauptunfallursache zu schnelles Fahren: Das Ziel des Bunds, die Zahl der Verkehrstoten deutlich zu reduzieren, wird trotz drastischer Zahlen nicht erreicht.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Berlin - „Da draußen sterben Leute, sehr schnell und unsinnig.“ Es sind deutliche Worte, die Stefan Pfeiffer wählt, um den Handlungsdruck beim Thema Sicherheit auf den Straßen deutlich zu machen. Der Leiter der Polizeiinspektion Nürnberg Land weiß, wovon er spricht. 400 Kilometer Autobahn betreut seine Einheit – samt Raststätten und Parkplätzen. „Da ist alles dabei vom Suizid bis zur vergessenen Ehefrau“, berichtet der 51-Jährige auf einer Tagung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates. Die schlimmsten Erlebnisse in seinem Alltag seien aber die 50 Verkehrstoten, die er selbst gesehen und „bearbeitet“ habe. „So wurde ich zum Sicherheitsjunkie“, sagt der Polizist in Kassel. Bei seinem Referat wird klar, dass Deutschland wohl seine selbst gesteckten Ziele verfehlt: Der Bund will von 2010 bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent senken. Doch zur Halbzeit fällt die Bilanz ernüchternd aus. Bis 2015 gab es nur eine Abnahme von knapp 6 Prozent. „Das ist verdammt wenig. Wir müssen uns mehr anstrengen“, betont Pfeiffer zu Recht.

 

Die Geschwindigkeiten auf den Straßen sind zu hoch

Hauptunfallursache ist insgesamt zu schnelles Fahren. 35 Prozent der rund 3500 Toten in Deutschland sind darauf zurückzuführen. Daneben nennt Pfeiffer drei weitere „Killer“: Alkohol sowie Drogen, den Verzicht auf das Anschnallen und die Ablenkung etwa durch Smartphones. Für den Polizisten liegt auf der Hand, dass in Deutschland die Strafen für Sünder zu niedrig und die Geschwindigkeiten auf den Straßen zu hoch sind. Mit 43 Verkehrstoten pro eine Million Einwohner liegt Deutschland in der EU nur noch auf Platz acht, früher war es Platz vier. „Das ist auch eine Frage des politischen Willens“, sagt der Jurist Dieter Müller. „Malta, Spanien, Dänemark, Großbritannien, Niederlande oder Schweden liegen vor uns“, berichtet Pfeiffer. „Und überall sind die Sanktionen härter.“ In Spanien werde schon kräftig zur Kasse gebeten, wer ein Stundenkilometer zu schnell sei. In der Schweiz drohe bei einer Überschreitung von 50 km/h gar ein Jahr Gefängnis, erzählt ein weiterer Experte.

Halterhaftung wäre notwendig

Pfeiffer sieht darüber hinaus Defizite und er berichtet von Erfahrungen, die die Ermittler frustrieren müssen. So würden Ausländer, weil das Eintreiben der Geldbußen bei ihnen zu aufwendig sei, teilweise gar nicht verfolgt. „Gerade Ausländer verursachen aber zunehmend schwere Unfälle“, sagt Pfeiffer. Er möchte auch, dass die Bundesrepublik dafür sorgt, dass der Autobesitzer belangt werden kann, wenn der Fahrer bei einem Verstoß nicht zu ermitteln ist und der Halter diesen nicht nennt. Noch ist dies aus verfassungsrechtlichen Gründen in der Regel nicht möglich. Täglich müssten Hunderte von Polizisten so von Tür zu Tür gehen, um nach Fahrern zu recherchieren. Diese Beamten könne man besser anders einsetzen: „Zehn Länder in Europa haben bereits eine solche Halterhaftung. Die halten uns für eine Bananenrepublik“, meint Pfeifer. Die Disziplin auf den Straßen lasse sich auch fördern, sagt Peter Schlanstein von der Verkehrsunfall-Opferhilfe, wenn die Behörden bei einem Unfall auf die Daten zugreifen dürften, die moderne Autos ohnehin schon sammeln und die eine sogenannte Blackbox quasi ersetzen.

Niedrigeres Tempo ist ein Gewinn

Für härtere Bußen und stärkere Kontrollen plädieren auf der Tagung aber nicht nur die Polizisten, sondern auch die Verkehrspsychologen. Sie beklagen, dass Geschwindigkeitsverstöße gesellschaftlich hierzulande akzeptiert seien und vielfach nur als Kavaliersdelikt gelten. „Ein niedriges Tempo wird oft als Verzicht verstanden. Wir müssen viel stärker seinen Gewinn ins Bewusstsein rücken, den alle haben“, sagt der Dresdner Hochschullehrer Bernhard Schlag. Wer wisse denn schon, dass schon eine Reduzierung der Durchschnittsgeschwindigkeit um lediglich fünf Prozent zu 20 Prozent weniger Toten führe. Der Professor fordert aber auch, die Straßen entsprechend zu gestalten: „Sie können nicht Tempo 80 auf einer Landstraße anordnen, die wie eine Autobahn aussieht.“ Eine Straße dürfe den Fahrer weder unter- noch überfordern. Denkbar seien etwa optische Verengungen, Aufmalungen, die Schlaglöcher vorgaukelten oder Schweller. Wirkungsvoll könnten auch Eingriffe in die Fahrzeugelektronik sein, wenn Assistenzsysteme Geschwindigkeitsbegrenzungen wahrnehmen und dann das Auto automatisch bremsen.

Auch die Politik solle das Umdenken fördern, sagt der Verkehrspsychologe Ralf Risser. Wenn Angela Merkel aber verkünde, dass es mit ihr kein Tempolimit auf Autobahnen geben werde, sende sie falsche Signale, die die Fakten ignorierten. Psychologisch gesehen, dynamisiere die Autobahn das Verkehrsgeschehen. „Es wird der Eindruck erweckt, Geschwindigkeit sei kein Problem“, meint Risser. Er macht sich auch wie weitere Fachleute in Kassel für Tempo 80 auf Landstraßen stark „Österreich und Deutschland sind die einzigen Länder in Europa, die da noch 100 zulassen.“

Landstraßen sind eine Herausforderung

Einzig Christian Lippold von der TU Dresden stellt sich etwas abseits, indem er für eine stärkere Differenzierung plädiert. Angesichts der vielen Staus auf den Autobahnen habe sich die Forderung nach einem Tempolimit dort überlebt, sagt der Ingenieur. In der Stadt lasse sich zudem die Geschwindigkeit relativ leicht etwa durch Verkehrsberuhigungen senken. Eine größere Herausforderung stellten die Landstraßen dar, wo 58 Prozent aller Verkehrstoten zu beklagen seien. Lippold macht deutlich, dass hier Um- und Ausbau helfen könnten. So lasse sich die Sicherheit stark erhöhen, wenn man auf lediglich zweispurigen Abschnitten das Überholen verbiete und zum Ausgleich immer wieder Überholstreifen einrichte. Studien, so Lippold, hätten gezeigt dass dann die Effekte genauso positiv seien wie beim Aufstellen von zahlreichen Blitzern.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.verkehrssicherheit-in-stuttgart-kaemmerer- hat-kein-geld-fuer-kontrolleure.62505791-4c13-42aa-9f85-5b133ce42f03.