Dass Jochanaan sie zurückweist, weckt Salomes pubertären Trotz bis zur Besessenheit. Was in ihr vorgeht – besitzergreifendes Begehren, das sich in Gewalt entlädt –, drückt die Musik wortlos im „Tanz der sieben Schleier“ aus. Aber Salome tanzt in dieser Inszenierung nicht, sie sieht nur zu. Was sich abspielt, ist ein innerer Tanz, der die sadistisch-perversen Fantasien des Neurotikers Herodes, die in der Erdrosselung seiner Frau gipfeln, in gleichsam filmischen Bildern szenisch nachstellt.

 

Ohne selbst aktiv zu sein, hat Salome ihren lüsternen Stiefvater in der Hand. Sie setzt ihre Macht ein, um ihr Ziel – den Tod Jochanaans – zu erreichen. Simone Schneider spielt auch diese orgiastische Lustklimax, im Angesicht des virtuellen Toten auf dem Bildschirm (dessen realen Kopf sie nach dem Kuss in einer Geschenkschachtel entsorgt), mit schneidender Kälte. Zugleich singt sie sich in dieser Szene – wie zuvor schon in der Konfrontation mit Jochanaan – mit atemberaubenden Bögen und Spitzentönen frei, ohne die Grenzen ihrer lyrischen Stimme zu überfordern. Eine grandiose Leistung, mit der sie alle Skeptiker überzeugt hat, die ihr diese Rolle nicht zutrauen wollten.

Neben ihr brillieren Claudia Mahnke und Matthias Klink mit glänzenden Charakterstudien. Mahnke, die nach neun Jahren erstmals wieder an einer Stuttgarter Premiere beteiligt ist, demonstriert als auftrumpfend selbstbewusste Herodias, wie Stimme und darstellerische Statur in der Zwischenzeit gewachsen sind. Klink unterstreicht eindrucksvoll, dass er mit seinem Fachwechsel auf dem richtigen Weg ist und man die heikle, extrem hoch liegende Partie klangschön und doch deklamatorisch ohne karikaturistische Überzeichnung singen kann.

Auch das Orchester überzeugt

Dass es nicht nur szenisch, sondern auch musikalisch ein überwältigender Abend wird, ist Roland Kluttig am Dirigentenpult zu verdanken. Kluttig, aus der Zehelein-Ära noch in bester Erinnerung, löste den ursprünglich vorgesehenen Emilio Pomàrico ab, der mit der Aufgabe offensichtlich überfordert war. Er ließ das gut disponierte, in den Streichern freilich immer noch zu klein besetzte Staatsorchester im Tanz wie im Schlussgesang sinfonisch aufspielen, modellierte aber auch die vielen sprechenden Details der Holz- und Blechbläser heraus. Am Ende viel Beifall und ein paar Buhs für eine verstörend gelungene „Salome“, die man sich mehr als einmal anschauen muss.