Der südafrikanische Künstler William Kentridge hat Roms Tibermauern mit einem monumentalen Werk der „Street Art“ geziert. Auf Zeit wenigstens.

Rom - „Ist das Kunst, oder kann das weg?“ Auf diese berühmt-berüchtigte Frage einer Putzfrau in einem Kunstmuseum hat William Kentridge, südafrikanischer Multi-Künstler, Documenta- und Biennale-Teilnehmer, in Rom jetzt eine geniale Antwort gegeben: „Kann weg und ist Kunst.“

 

Kentridge hat die Hochwassermauern des Tibers auf 550 Metern Länge mit einem derart phänomenalen Werk der „Street Art“ verschönert, dass eine Lokalzeitung bereits von einer neuen „Sixtinischen Kapelle“ spricht. Achtzig groteske Figuren oder Figurengruppen, bis zu zehn Metern hoch, hat der 60-Jährige zu einer Prozession gereiht wie in der Antike der Kaiser Augustus die Mitglieder seiner Familie und die Mächtigen des Reiches. Doch anders als der Kaiser zu eigenem Ruhme erzählt der unparteiische Kentridge nicht nur die Triumphe der Ewigen Stadt, sondern auch deren „epische“ Niederlagen. „Triumphs and Laments“ („Triumph und Klage“) heißt das Projekt, das jetzt zu Roms angeblichem 2769. Gründungstag eingeweiht wurde.

Mit Bürsten und Wasserdampf den Dreck entfernt

Entstanden ist das Kunstwerk tatsächlich auf Putzfrauenart: Dreck weg! Statt Farbe aufzutragen, hat Kentridge mit Bürsten und Wasserdampf nur gezielt die „Bio-Patina“, jenen schwarzgrauen Schmutz entfernen lassen, der sich auf den Tibermauern halt so angesammelt hat über anderthalb Jahrhunderte, und ihn nur dort stehen lassen, wo er seine Gestalten herausarbeiten wollte. Kentridges Figuren bestehen also aus dem Dreck der Geschichte. Roms Vergangenheit erzählt sich selbst, mit ihrem sehr eigenem Zungenschlag.

Da ist natürlich die Wölfin, vorher und nachher: Roms Lebensspenderin und Nährmutter, von ihren unersättlichen Kindern ausgelutscht bis zum Skelett. Da sind Gaius Julius Caesar, der kopfunter gekreuzigte Petrus, ein Faschisten-Führer und ein Reiter; da werden Michelangelo und Bernini zitiert. Da steht auch der Filmstar Anita Ekberg mit Marcello Mastroianni in der Badewanne des Trevibrunnens. Unter einem Duschkopf!

Ist es Aeneas, der aus Troja flüchtet, oder sind es die Syrer von heute?

Man erkennt die Pest, der Engel mit dem Schwert, der im Mord zerfleischte Pier Paolo Pasolini und da kommt ein Boot mit Flüchtlingen übers Meer: Ist’s Aeneas mit den Seinen, Trojas geschlagener Held und Stammvater aller ruhmreichen römischen Geschlechter? Oder sind’s die Syrer von heute, die etwa von da nach Europa übersetzen, wo einst Troja lag? Oder sind’s die armen Teufel aus Libyen auf dem Weg über Lampedusa? Besonders Notleidende – wir sind ja „Heiligen Jahr“, wo Papst Franziskus zu „leiblichen und geistigen Werken der Barmherzigkeit“ aufgerufen hat – werden bei Kentridge von einer bocksbeinigen Figur geradezu diabolisch bewirtet – aus der Moka, der typisch italienischen Espresso-Kanne.

Kann das weg? Ja, es kann. Maximal sieben Jahre, schätzt Kentridge, wird dieser Freuden- und Totentanz zu sehen sein. Dann schlägt der Dreck zurück. Die Tibermauern der „Ewigen Stadt“ werden wieder so einheitschwarzgrau wie bisher auch. So leicht schmierig, wenn man mit der Hand darüberstreicht.