In Stuttgart gibt es mehr Street Art und Graffiti als in ein Buch passt. Doch es gibt nur wenige Bücher über Stuttgarter Street Art. Warum? Weil man damit auch auf die Nase fallen kann, wie Stefan Pfletschinger erfahren musste. Aber heute macht er es besser.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Wie soll man Street Art dokumentieren? Stephan Plfetschinger kann es nicht sagen. Er weiß aber, dass er für das Buch "Street Art Stuttgart", bei dem er als Grafikdesigner mitgewirkt hat, ordentlich einstecken musste. Kein Geld, sondern Kritik - und zwar von Seiten der Stuttgarter Szene. Wie das so ist, wenn man einfach mal ein Buch über Stuttgarter Street Art macht, "ohne dass jemand aus der Szene dabeigewesen wäre", sagt Pfletschinger.

 

Pfletschinger ist Ende vierzig, Grafikdesigner, Wohnung und Büro mit Blick auf den Kessel. Zur Street Art ist er gekommen, weil sie ihm gefällt - nicht etwa, weil er selbst sprühen würde. Bei Spaziergängen durch Stuttgart seien ihm immer die kleinen Graffiti, Sticker, Schablonenmalereien aufgefallen, erzählt Pfletschinger. Da habe er eben die Idee gehabt, das in Buchform zu packen. Gemeinsam mit  Ferry Hamm und Patrick Michel brachte er es 2009 heraus: 80 Seiten mit lauter Bildern aus den Stuttgarter Straßen, jeweils gerahmt und kommentiert.

Wie "Street" kann ein Buch sein?

Wer das Buch durchblättert, kommt sich vor wie bei einem auf Papier gebannten Galerierundgang. Das ist erklärte Absicht: "Wir haben einige Kunstwerke beziehungsweise Schmierereien von der Straße geholt, mit augenzwinkernden Fantasienamen versehen und in das geordnete Umfeld einer fiktiven Galerie verfrachtet", schreiben die Autoren in ihrem Vorwort.

Und genau damit hatten einige aus der Stuttgarter Szene ein Problem. Ein monochromes Schablonen-Graffito von einer Filmszene (gut gekleideter Gangster mit riesigem Colt) mit dem Fantasietitel "Mach dir deine Kehrwoche selber (Episode II)" zu versehen, samt gedrucktem Holzrahmen drumherum und an eine Wand mit Raufasertapete zu hängen, wie es Pfletschinger und seine Co-Autoren in ihrem Buch beispielsweise tun - das hat mit Straße wenig zu tun, "und das ist auf ein geteiltes Echo gestoßen", merkt Stephan Pfletschinger im Rückblick selbstkritisch an. Seine Maßstäbe als Grafiker seien vielleicht andere als die von Sprayern. Aber: "Heute wird genau dieses Prinzip etwa von der Urban Art Gallery umgesetzt."

Sprüher im Rudel ist Geschichte

Die (inzwischen längst geführten) Diskussionen darüber, wie ein Street-Art-Buch aufzumachen ist, sind auch heute noch relevant. Zum Vergleich kann man das Buch "Sprüher im Rudel" zur Hand nehmen, laut Untertitel "eine Dokumentation der Stuttgarter Graffitiszene". Das ist nicht exakt dasselbe wie die gerahmten Mini-Werke, die Pfletschinger und Co. in ihr Buch gepackt haben. Aber Dingo Babuschs Band gilt seit seinem Erscheinen 2005 als Standardwerk über die Stuttgarter Szene, auch wenn kein Nachfolger in Sicht ist.

Was also macht "Sprüher im Rudel" besser als "Street Art Stuttgart"? "Damals war bei unserem Buch niemand aus der Szene mit im Boot", sagt Stephan Pfletschinger. Das immerhin hat sich geändert; Pfletschinger betreibt seinen gleichnamigen Blog streetart-stuttgart mittlerweile in Zusammenarbeit mit dem Sprayer Blaze One.

Alles wird gelesen

Der kann noch mehr Gründe nennen, warum "Sprüher im Rudel" aus Sicht der Szene besser gelungen ist: "Da werden eben Wände gezeigt und Züge, also viel kompliziertere Arbeiten", sagt Blaze One. Das Street-Art-Buch hingegen zeige "mehr so Kleinzeugs, für das man viel weniger riskieren muss als für eine ganze Wand. Nur simple Stencils oder Sticker zu verbreiten ist nicht wirklich große Kunst."

Natürlich muss ein Buch über die Street-Art-Szene der Szene selbst nicht gefallen. Aber weil die Street-Art-, genauer: die Graffiti-Szene der Stadt so selten in den Medien auftaucht, wird natürlich alles genauestens studiert. Es gibt auch Hefte wie das eigentlich auf Hip Hop spezialisierte Street Love Magazine "und es gibt Bücher aus der Stuttgarter Szene", erzählt Blaze One. Er meint etwa das Graffiti-Lehrbuch "Graffiti School" von Christoph Ganter alias Jeroo. "Aber es gibt nur wenig über die Stuttgarter Szene", fährt Blaze One fort. Warum? "Vielleicht weil es zu wenig gibt?", fragt er zurück.

Neuer Anlauf im Netz

Das ist natürlich Einstellungssache. Jedenfalls: "Wenn man sie zu sehr in eine 'offizielle' Form packt, nimmt das Street Art den Reiz. Das ist dann nicht mehr so sehr 'Street'", erklärt der Sprayer. Was aber auch stimmt: Längst holen sich Galerien die Straßenkunst von der Straße in ihre Räume.

Im Netz können Pfletschinger und Blaze One ihre Street Credibility unter Beweis stellen. Auf streetart-stuttgart.de versammeln sie seit etwas mehr als einem Jahr Neuigkeiten rund ums Thema Graffiti und Street Art allgemein, sie zeigen Kunstwerke und stellen Künstler vor - auch von der persönlichen Seite. Ist das nicht auch zu wenig "Street", will man da fragen? "Jeder Künstler möchte gern gesehen werden", sagt Blaze One. Außerdem sind Berichte über Neues aus der und rund um die Szene etwas anderes als ein Buch mit gerahmten Stencils.