Im kleinen Revier Laupheim hoffen Polizisten auf die Reform. Allerdings ist diese Neuerung auch in den eigenen Reihen umstritten.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Leipheim - Der Frühling lässt sein blaues Band flattern, erste Blumen strecken sich der Sonne entgegen, aber für Polizisten, die sich öffentlich über ihre Arbeit äußern, ist die Glatteisgefahr geradezu halsbrecherisch. Es ist wieder Zeit für eine große Reform, die größte aller Zeiten für die Landespolizei. Mehr als jemals zuvor debattieren im Land sogar Politiker, die noch nie näher als einen Kilometer in die Nähe eines Polizeireviers gekommen sind, über Fragen der Sicherheitsarchitektur und wie es ihnen selber dabei so geht. „Die politische Einstellung deckt sich nicht immer mit der Einstellung der Polizei“, sagt Gerhard Schilling dazu. Vor dem Ausrutschen hat der Mann keine Angst.

 

Schilling, 53, war früher beim Wirtschaftskontrolldienst in Ehingen, bis ihn 2005 die große Verwaltungsreform erfasste, danach avancierte er, mit Zwischenstationen, zum Leiter eines der kleinsten Reviere des Landes in Laupheim. Er weiß, wo die Streifenpolizisten in der 20 000-Einwohner-Gemeinde der Schuh drückt, und er sagt es auch. Damit riskiert er Ärger, aber nicht beim obersten Dienstherren, Minister Reinhold Gall, der mit seiner Reform die Reviere stärken will. Schilling könnte bei den Kollegen in den Direktionen anecken. Dort sitzen viele Gegner der Reform. Polizeidirektoren und andere Beamte in der Führungsebene werden am ehesten wegrationalisiert werden. Mit ihnen wollen es sich die wenigsten verderben.

Die Politik kann der Polizeichef nicht ändern

Die Vehemenz, in der auf der politischen Bühne seit einigen Wochen die Schilde aufeinanderkrachen, wirkt schon ziemlich verrückt, aber auch nicht verrückter als der Einsatz auf dem Schlachtfest in Achstetten im September, als Schillings Kollegen ein 14-jähriges Mädchen mit 2,7 Promille Alkohol im Blut auffanden. Politiker kann Schilling nicht ändern. Jugendliche vom Komasaufen abhalten, das vielleicht.

Was in der baden-württembergischen Polizei zusammenpasst und was nicht, das ist die Frage. Oft trügt der Schein, sogar hier in Laupheim, wo der Polizeichef Besucher empfängt wie ein Schlossherr. Der Weg in Gerhard Schillings Büro führt über eine breite Treppe mit geschnitztem Geländer, durch ein neues „Servicecenter“ mit hoher Decke, das einmal Gerichtssaal war und in dem das Fischgrätparkett ehrwürdig knarrt. Das Barockschloss Kleinlaupheim aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhundertes beherbergt seit 1958 auch die Polizei Baden-Württemberg. Für die 22 Beamten des Laupheimer Wechselschichtdienstes aber bedeutet dieses wunderbare Ambiente immer häufiger nur eins: schöner leiden.

Die heile Welt gibt es nur mehr in Stein. Wenn Gerhard Schilling über seinen Arbeitsalltag erzählt, dann geht es um mehr als um die Verfolgung von Leergutdieben. Es gibt fast jedes Jahr einen Mord, gefährliche Einsätze in einem bekannten Vereinslokal der Rockergruppe Outlaws, tödliche Unfälle auf der Bundesstraße 30, Einsätze zur Auflösung sicherheitsgefährdender Facebook-Partys.

„Problematisch sind die Ad-hoc-Vorkommnisse“, sagt Schilling. Vergangene Woche zum Beispiel: da wurde eine alte Frau tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Tür war von innen zugesperrt, schweres Gerät und Atemschutzausrüstung musste vor dem Eindringen beschafft werden. Von 9 bis 14 Uhr habe der Einsatz gedauert, erzählt der Revierleiter. „Wenn dann noch ein Unfall dazukommt, wird es schon kritisch. Dann ist das Haus hier leer.“ Wie vor einigen Wochen, als es auf der Bundesstraße 30 schon wieder krachte.

Die Außenstelle ist geschlossen, Anzeigen gehen deshalb zurück

Früher war nicht alles besser, aber vieles. Die Laupheimer Polizei pendelte innerhalb ihres 250 Quadratkilometer großen Revierbereichs zwar nicht wie heute in geleasten E-Klasse-Limousinen von Achstetten nach Burgrieden oder von Mietingen nach Schemmerhofen, aber dafür winkten bis vor fünf Jahren die Besucher des Laupheimer Heimatfestes den 25 Beamten zu, die für die Verkehrslenkung abgestellt waren. Und in der Gemeinde Schwendi hielten in einer eigenen Wache drei Kollegen die Stellung, verkürzten Einsatzwege, prägten sich Gesichter ein, waren ein helfender Teil des Alltagslebens.

Alles Folklore von gestern. Die Wache ist wegrationalisiert, die Zahl der Anzeigen ging seither zurück und damit – ein Irrwitz der Statistik – das Kriminalitätsaufkommen. Die Polizisten beim Heimatfest sind durch Halteverbotsschilder ersetzt worden. „Das ist auch ein kultureller Bruch“, bedauert Guntram Rößler, 40-jähriger Stellvertreter Schillings.

Mehr Polizisten dürfen nicht mehr Geld kosten

Es ist weit mehr als das: Die Sicherheitslage auf dem Land wird schlechter, und die Polizeibeamten werden schleichend entmutigt. Das ist der sich zuziehende Knoten, den ernsthaft niemand ableugnen kann und den diese Landesregierung mit ihrer Polizeireform lösen will. Dumm dabei: das Land braucht mehr Polizisten, ohne das Geld dafür zu haben.

2004 arbeiteten beim Revier Laupheim noch 44 Beamte und Angestellte. Heute sind es 35, 13 davon im Tagdienst. Der Altersdurchschnitt ist auf 46,5 Jahre gestiegen. Kleine Reviere wie Laupheim sind eine klassische Enddienststelle, das heißt, die Alterung wird weitergehen. Kollegen, die in größeren Dienststellen zum Ende der Laufbahn ins ruhigere Fahrwasser der Verwaltung wechseln, müssen auf dem Land noch in der Nachtschicht ran, müssen sich, oft zu zweit, auf Parkplätzen randalierenden und betrunkenen Discobesuchern stellen oder prügelnden Ehemännern in engen Hausfluren.

Wie soll eine Polizei, die Anzeigesteller vertröstet, wenn gerade ein Verkehrsunfall passiert ist, die alle Präventionsarbeit fahren lässt und Verkehrskontrollen kaum noch organisiert bekommt, gegen die Herausforderungen der Zukunft bestehen? Gegen die Cyberkriminellen im Internet? Die organisierte Bandenkriminalität? Wie sollen sich überlastete Beamte gewaltbereiten Fußballfans, politisch motivierten Kriminellen oder rückfallgefährdeten Sexualstraftätern in den Weg stellen?

Ab und zu ziehen Gerhard Schilling, der passionierte Marathonläufer, und sein Kollege Rößler in der Mittagspause die Laufschuhe an. Sie finden, körperliche Fitness gehöre zwingend zum Polizeiberuf. So im Schwitzen haben sie das Eckpunktepapier zur Polizeireform, das 650 zusätzliche Stellen im Polizeivollzugsdienst verspricht, debattiert. Es müsse sich einfach etwas ändern, sagt Schilling. „Es kämpft doch jeder im 24-Stunden-Dienst ums Überleben.“

Irgendwann kommt die Eigeninitiative zum Erliegen

Erfahrene Marathonläufer haben ihre Zähigkeit trainiert, sie wissen, dass Zwischenspurts wenig bringen und kennen sich aus mit dem Gefühl, das sich ankündigt, kurz bevor alle Kräfte überreizt sind. Diesen Moment vor dem Zusammenbruch fühlt Schilling kommen. Im Durchschnitt ist jeder seiner Kollegen drei Wochen pro Jahr krank. „Vor wenigen Jahren waren es laut unserer Statistik noch fünf Krankheitstage.“ Zwei Kollegen sind langzeiterkrankt. Die Revierleitung selber muss immer wieder zur Aushilfe in den Streifenwagen steigen. Rößler sagt: „Man will immer. Und wenn man nicht kann, dann belastet einen das. Das ist Stress.“ Irgendwann bewege sich „die Eigeninitiative gegen null.“

Damit sich das ändert, sehnen die beiden Laupheimer Polizeihauptkommissare diese Polizeireform herbei, die rechnerisch jedem Revier zwei zusätzliche Streifenkräfte verspricht. Welche Partei die Hilfe bringt, ist ihnen egal, sagt Gerhard Schilling. Seine Einschätzung ist unverrückbar: „Wenn man die Reform nicht machen würde, wären wir in fünf Jahren an der Wand.“

Schon komisch, wie frohgemut das aus dem Mund des durchtrainierten Revierleiters klingt. So manches ist eben nicht, wie es scheint in der baden-württembergischen Polizei. Auf der Bundesstraße 30 bleibt heute alles ruhig.