Junge Muslima, die Tradition und Schick unter einen Hut bringen wollen, müssen kreativ sein. Ein Outfit, das hip und muslimisch zugleich ist, gibt es auch in „Klein-Istanbul“ Feuerbach nicht von der Stange.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Man muss einfach hinschauen: wie sie da locker am Verkaufstresen lehnt, herausfordernd lässig, die Hände tief in den Taschen ihres Abayas versenkt. Eckige College-Schuhe glänzen unter Nursha Yüreklis Gehrock hervor. Cooler Ende-80er-Jahre-Look – da war sie nicht mal geboren. Yürekli hat sich mit stilsicherem Händchen bei den Requisiten unterschiedlicher Modeepochen und kultureller Sphären bedient. Modische Details sind souverän mit einem Kopftuch kombiniert, das zu ihrer Grundausstattung als gläubige Muslima gehört. „Ich mag’s gern etwas elegant“, sagt sie. Komplimente quittiert sie routiniert mit einem phlegmatischen Wimpernschlag.

 

Ein Outfit, das hip und muslimisch zugleich ist, gibt es nicht von der Stange – auch hier nicht, bei Elit Damenmode in „Klein-Istanbul“ Feuerbach, findet Yürekli. In der geräumigen Halle hängen in langen Reihen die Tuniken, Mäntel und Röcke. In den Regalen stapeln sich Hunderte von Kartons mit Hidschabs – Kopfschals und Tüchern. „Die Richtung hier ist mir etwas zu festlich“, konstatiert die 21-Jährige. Ihre Modemekkas heißen H & M und Zarah. Sie ist hauptsächlich gekommen, um ihre Freundinnen Hidayet Sar und Emine Kaplan zu besuchen, die hinterm Verkauftresen stehen. Auch sie tragen Kopftuch – die eine zur sportlichen Steppweste, die andere zum bequemen Boyfriend-Pullover. Ein stilistisch recht ungleiches Trio.

Die Kleidung ist auch ein Statement

Aber was sie eint, ist der Wunsch, Tradition und Moderne in Einklang zu bringen. Sie wollen sich nach muslimischen Regeln und zugleich modebewusst kleiden. Dabei geht es um mehr als das Aussehen. Die Kleidung ist auch Statement: Wie viele junge Muslime begreifen sie ihr Bekenntnis zum Islam und ihre Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft nicht als Widerspruch. Die junge Muslima tragen ihr Kopftuch selbstbewusst – als sichtbarstes Zeichen ihrer Religiosität.

Bei Elit Damenmode hängen weite Röcke und Mäntel von knöchel- bis knielang. Viele Frauen halten auch eine Tunika, die lediglich den Po bedeckt, für hinreichend sittlich. Manche tragen dazu enge Jeans, für andere ist das nicht vertretbar. Verbindliche Kleidervorgaben gibt es nicht. Die muslimische Mode ist so unterschiedlich wie die gläubigen Frauen, die sie tragen. Einziger gemeinsamer Nenner ist die Kopfbedeckung. Etwa 60 Tücher habe eine gläubige Frau im Schrank, schätzt Yürekli, weil die Kopfbedeckung ja auf das jeweilige Outfit abgestimmt sein müsse. „So ein Kopftuch kostet auch nicht viel. Man nimmt das so schnell nebenbei mit bei einem Stadtbummel.“

Die häufige Unterstellung, muslimische Frauen würden von der Familie unter das Tuch gezwungen, empört die Drei in der Elit-Boutique. „Ich trage eins, meine Schwester aber nicht“, sagt Emine Kaplan. „Meine auch nicht!“, sagt Hidayet Sar. „Vor 20 Jahren war das vielleicht noch anders“, räumt Kaplan ein. Nursha Yürekli war bis vor wenigen Jahren auch unbedeckt. „Aber ich habe angefangen, über den Islam zu lesen und zu recherchieren und fand es dann richtig, eines zu tragen.“ Heutzutage sei die Kopfbedeckung ein freiwilliges Bekenntnis, das nichts mit einer rückständigen Lebenseinstellung zu tun habe. „Wir gehen zur Arbeit und stehen im Leben, wie unbedeckte Frauen auch“, sagt Kaplan.

Kopftuch als Form der kulturellen Selbstbehauptung

Aber das sehen nicht alle so. Jede der drei Frauen kennt die abschätzig musternden Blicke, wenn sie im Supermarkt in der Schlange stehen. Unter den Nicht-Muslimen sind es vor allem die Älteren, die religiöse Kleidung kritisch sehen, haben Forscher der Humboldt-Universität herausgefunden. Für Jugendliche und junge Erwachsene indessen gehörten Muslima mit Kopftuch inzwischen zum Alltag, viele unter ihnen hätten persönlichen Umgang mit Muslimen.

Das deckt sich mit der Erfahrung der drei Frauen, von denen jede bereits rassistische Anfeindungen erleben musste. „Mich hat im Rewe einer angeschrien, als ich die Inhaltsstoffe auf einer Saucen-Packung durchgelesen habe“, erzählt Yürekli: „‚Scheiß Kopftuch, hau’ aus meinem Land ab!’“ Sar wurde permanent von einer Lehrerin bedrängt, sie solle das Kopftuch abnehmen, und Kaplan ist auf der Straße von einer Horde betrunkener Männer sogar zusammengeschlagen worden. Das Kopftuch ist mehr als ein modisches Accessoire, für Yürekli, Kaplan und Sar ist es eine Form der kulturellen Selbstbehauptung.

In Stuttgart leben rund 60 000 Muslime. Statistisch betrachtet ist jeder dritte Muslim in Deutschland stark gläubig. Zieht man die Männer ab, bleibt in Stuttgart immer noch eine beträchtliche Anzahl Kundinnen, die nach glaubenskonformer Kleidung verlangt – zumal auch das Umland zum Einkaufen kommt. In Feuerbach haben sich inzwischen entlang der Mauserstraße zahlreiche muslimische Geschäfte angesiedelt. Mit Möbelläden, Kleidergeschäften, Imbissen, Lebensmittelmärkten und einer Großbäckerei ist hier rund um die Ditib-Moschee eine Art türkische Einkaufsmeile entstanden, die gern „Klein-Istanbul“ genannt wird. Sie lockt Kundschaft von weither an. Nursha Yürekli kann noch drei weitere islamische Modeboutiquen in der Stadt benennen, aber richtig üppig ist das Angebot trotzdem nicht.

Die drei Frauen stöbern daher eher bei den großen Modeketten in der Königsstraße oder bringen sich Kleider aus dem Türkeiurlaub mit. Die zahllosen Online-Shops für Muslimmode sind nicht ihr Ding – auch nicht die angesagtesten. „Ich muss die Sachen anfassen können“, sagt Yürekli. Mit einem Hip-Hop-Label wie Styleislam, das via Internet verkauft, können sie schon stilistisch nichts anfangen. Die Modemacher aus dem Ruhrpott bedrucken T-Shirts und Hoodys mit frommen Sprüchen. Solch punkige Attitüde ist den drei Frauen zu offensiv. Sie wollen nicht als islamische Ausrufezeichen herumlaufen. „Es geht doch nur darum, dass Verschiedenheit akzeptiert wird“, sagt Hidayet Sar, „nur um etwas Respekt.“