Wer die bisherigen Streiks bei der Deutschen Bahn schon für heftig hielt, wird eines Besseren belehrt: Die Lokführergewerkschaft will bis Sonntag streiken. Wir geben einen Überblick: Wie Sie trotzdem ans Ziel kommen. Und warum eigentlich gestreikt wird.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Wie lange dauern die Streiks und stehen alle Züge still?

 

Die Lokführergewerkschaft GDL bestreikt seit Montagnachmittag, 15 Uhr, den Güterverkehr der Deutschen Bahn (DB) und seit Dienstagmorgen, 2 Uhr, auch den Personenverkehr. Das Zugpersonal will die Arbeit erst am kommenden Sonntag ab 9 Uhr wieder aufnehmen.

Je nach Region werden Reisende und Pendler unterschiedlich betroffen sein. In Westdeutschland sind noch viele Lokführer verbeamtet und dürfen deshalb nicht streiken. Mit der Bahnreform 1994 hat die damalige Regierung Kohl die Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und damit auch die Verbeamtung für neue Mitarbeiter abgeschafft. In Ostdeutschland haben seither alle Beschäftigte ein Streikrecht. Hier hat die GDL besonders viele Mitglieder – und kann deshalb die meisten Züge lahm legen.

Welche Züge fahren noch? Welche Alternativen gibt es?

Die Bahn will zumindest jeden dritten Fernzug weiter rollen lassen. Der Ersatzfahrplan ist im Internet (www.bahn.de), mobil oder telefonisch (08000-996633) abrufbar. Im Nahverkehr sollen zwischen 15 und 60 Prozent der DB-Züge weiter fahren, besonders die S-Bahnen sind hier betroffen. Die Bahnen von DB-Konkurrenten sind nicht betroffen. Reisende müssen aber auch hier zumindest mit Verspätungen rechnen.

Als Alternative im Fernverkehr bieten sich die Fernbusse an, im Internet gibt es zahlreiche Auskunfts- und Vergleichsportale (www.busliniensuche.de, www.busticket.de). Auch die Busse der Bahn fahren weiterhin. Im Nah- und Regionalverkehr kann man eventuell auf Bahnen anderer Anbieter, Busse und U-Bahnen umsteigen. Wer von streikbedingten Zugausfällen betroffen ist, kann sich die Fahrkarte ohne Abzug erstatten lassen.

Warum streiken die Lokführer schon wieder?

Die GDL und die DB werfen sich gegenseitig vor, keine Einigung erzielen zu wollen. Bisher gab es 17 Verhandlungsrunden und sieben Streiks. Beim jüngsten Treffen habe es „nicht die geringste Annäherung“ gegeben, erklärte GDL-Chef Claus Weselsky und bezeichnete die DB-Vorschläge als „Dreistigkeiten“. DB-Vorstand Ulrich Weber sprach dagegen von einem verbesserten Angebot. Demnach sollen die Löhne der Lokführer vom 1. Juli an in zwei Stufen um insgesamt 4,7 Prozent steigen. Zudem soll die bereits überwiesene Einmalzahlung von 750 Euro um 250 Euro ergänzt werden.

Nach GDL-Rechnung würde das für die angebotene Laufzeit von 30 Monaten eine Erhöhung von 3,5 Prozent bedeuten. Die GDL fordert aber fünf Prozent mehr Lohn und eine Stunde weniger Arbeit pro Woche. Zudem will die Gewerkschaft auch für Mitglieder anderer Berufsgruppen wie Zugbegleiter nun Tarifverträge schließen und damit ihren Einfluss vergrößern. Das gilt als wichtigster Knackpunkt .

Warum will die DB gleichlautende Tarifverträge?

Der Staatskonzern will vermeiden, dass es künftig für gleiche Berufsgruppen im Unternehmen unterschiedliche Regelungen je nach Gewerkschaftszugehörigkeit gibt. Ein Streitpunkt sind rund 2500 Lokrangierführer, die bisher weniger verdienen und vor allem von der Konkurrenzgewerkschaft EVG vertreten werden. Die GDL fordert die Gleichstellung, die DB aber verwies laut Weselsky auf die Tarifregelungen mit der größeren EVG, mit der parallel ein neuer Tarifvertrag verhandelt wird. Deren „arbeitgeberfreundlichere“ Bedingungen will sich die GDL aber nicht diktieren lassen. Die DB wirft der GDL überflüssige „Muskelspiele“ vor, der Gewerkschaft gehe es vor allem darum, ihre Macht zu vergrößern. Der Konzern hatte den Anspruch der GDL, auch für andere Berufsgruppen unter ihren Mitgliedern Tarifverträge zu verhandeln, lange abgelehnt, nach mehreren Streiks aber zu Jahresbeginn eingelenkt. Im Grundsatz wurde der GDL ein Flächentarifvertrag für alle Mitarbeiter zugesagt, die von ihr vertreten werden, also für Zugbegleiter, Servicekräfte, Disponenten und Lokrangierführer.

Drohen auch im Tarifstreit mit der EVG bald Streiks?

EVG-Chef Alexander Kirchner, der auch Vizechef des DB-Aufsichtsrats ist, beäugt Zugeständnisse der DB an die GDL genau. Nach zehn Verhandlungsrunden droht auch die EVG mit ersten Streiks. Die DB hat auch der EVG 4,7 Prozent Lohnerhöhung in zwei Schritten und für eine Laufzeit von 29 Monaten angeboten. Die Gewerkschaft fordert sechs Prozent mehr, mindestens 150 Euro. Die Tarifkommission tagt am 11. Mai, am Tag darauf beginnt die nächste Verhandlungsrunde.

Die EVG kann aber gelassen bleiben. Im Sommer will die Bundesregierung das umstrittene Gesetz zur Tarifeinheit (siehe Text unten) beschließen, das Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) auf den Weg gebracht hat. Das Gesetz würde den Vertretungsanspruch kleinerer Spartengewerkschaften wie der GDL in Betrieben beschneiden, mehrere Verfassungsklagen sind angekündigt. Die GDL hat den Verdacht, dass die bundeseigene DB den Tarifstreit gezielt in die Länge zieht und eskalieren lässt, um die politische Debatte zu befeuern. Die Bahn weist diesen Vorwurf zurück.

Welche Lösung könnte es geben?

Die Bahn will eine Schlichtung, die GDL lehnt sie ab. Über Grundrechte könne man nicht schlichten, sagt Weselsky. Die Streiks seien rechtmäßig, nichts Unanständiges und das Zugpersonal stehe hinter den Forderungen der Gewerkschaft. Tarifverträge für diese Berufsgruppe seien nicht allein der EVG vorbehalten.

Die GDL kann zu einer Schlichtung nicht verpflichtet werden und im Extremfall auch zu unbefristeten Streiks aufrufen. Deren Finanzierung könnte aber schwierig werden. Bisher erhalten die Mitglieder 75 Euro Streikgeld pro Tag, der Deutsche Beamtenbund (DBB) unterstützt bisher als Dachverband das Vorgehen der GDL. Auch DBB-Chef Klaus Dauderstädt hat inzwischen öffentlich angeregt, auf einen „unabhängigen Dritten“ zurückzugreifen, falls auch dieser Streik kein Ergebnis bringt.