Der Fang von Felchen ist im vergangenen Jahr um mehr als 50 Prozent eingebrochen. Schuld sei der niedrige Phosphatgehalt, sagen die Fischer – eine höhere Einleitung kommt nicht in Frage, sagt das Ministerium. Das Dilemma ist kaum lösbar.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Bregenz/Langenargen - Norbert Knöpfler muss viel Frust aushalten, und zwar seit vielen Jahren: Wenn er morgens in Langenargen sein Boot besteigt und auf den Bodensee hinausfährt, findet er meist nur noch eine Handvoll Felchen in den Netzen. „Das lohnt sich kaum noch“, sagt der Vorsitzende des Württembergischen Fischereivereins. Was ihn aber fast noch mehr deprimiert, ist dies: Bei den Politikern stießen die Bodenseefischer, die um ihre Existenz bangen, auf taube Ohren. „Ich grüble ununterbrochen, warum uns niemand helfen will“, sagt Norbert Knöpfler.

 

Die jüngst veröffentlichten Fangzahlen des vergangenen Jahres für die baden-württembergische Berufsfischerei sind in der Tat dramatisch. Allein gegenüber dem Jahr 2014 ist der Fang der wichtigen Felchen um 53 Prozent eingebrochen; sie machen zwei Drittel des Fangs aus. Bei Barsch und Seesaibling ist der Rückgang noch stärker, über alle 16 Speisefische hinweg sind es 46,5 Prozent. Bei Norbert Knöpfler waren die Zahlen sogar noch schlechter. Und im Vergleich zu früheren Jahren sieht die Bilanz geradezu katastrophal aus: Wurden 2011 knapp 300 Tonnen Felchen aus dem See geholt, waren es 2015 gerade 65 Tonnen. Lediglich bei Hecht, Zander, Karpfen, Brachsen und Aal stiegen die Fangzahlen – sie summieren sich aber auf gerade einmal 20 Prozent aller Fänge. Norbert Knöpfler hat nur noch ein Auskommen, weil er Fische von Kollegen aufkauft und mit vertreibt.

Als Ursache haben die Fischer die Kormorane im Verdacht, die zumindest in Ufernähe viele Fische wegfressen. Daneben haben sich zuletzt die Stichlinge stark vermehrt, die die Felcheneier als Nahrungsquelle nutzen. Das Hauptproblem aber ist aus Sicht der Berufsfischer etwas ganz anderes: der zu niedrige Phosphatgehalt im Wasser des Bodensees.

Roland Stohr vom Bayerischen Verband der Bodenseeberufsfischer erklärt, dass durch die zahlreichen Kläranlagen nur noch etwa sechs Mikrogramm Phosphat pro Liter im Wasser seien, notwendig wären aber etwa zehn bis zwölf Mikrogramm. So könne kein Plankton wachsen und damit letztlich auch kein Futter für die Fische: „In 30 bis 40 Metern Tiefe, wo das Phytoplankton entsteht, gibt es im Sommer gar kein Phosphat mehr“, meint Stohr. Norbert Knöpfler formuliert es in drastischen Worten: „Unsere Fische verhungern.“

Die Fischer haben deshalb eine Petition gestartet, damit die EU-Gewässerschutzrichtlinie gelockert und dem Bodenseewasser etwas mehr Phosphat erlaubt wird – das Wasser bliebe aus ihrer Sicht dennoch sauber. Rund 25 000 Menschen haben an Infoständen unterschrieben, weitere 4000 im Internet. Demnächst will man das Paket übergeben. Allerdings erwarten sich die Fischer nicht allzu viel davon.

Denn die Stimmung sei „sehr ungut“, meint Roland Stohr; mit der Internationalen Gewässerschutzkommission (IGKB) in Bregenz gebe es keinerlei Gespräche mehr. Und in Baden-Württemberg sei die Haltung der grünen Politiker noch extremer als in anderen Anrainerstaaten, sekundiert Knöpfler. Wissenschaftler hätten nachgewiesen, dass der zu niedrige Phosphatwert die Ursache für den Rückgang der Fische sei. Aber das wolle niemand hören.

Tatsächlich ist der Standpunkt der Fischer umstritten. So verhalten sich die Anglervereine neutral. Der Phosphatwert war vor 1950 gleich niedrig wie heute, dennoch waren damals die Fangerträge höher, wenn auch bei Weitem nicht so hoch wie zu Zeiten starker Phosphatwerte in den 1970er und 1980er Jahre. Und Thomas Blank, der Geschäftsführer der IGKB, betont: „Wir sind weit weg von einer künstlichen Nährstoffverknappung.“ Noch immer würden jährlich 100 Tonnen Phosphat über die Kläranlagen in den See gelangen.

Auch das baden-württembergische Umweltministerium ist dieser Ansicht. Aufgrund der Wasserrahmenrichtlinie sei es gar nicht zulässig, die Wasserqualität zu verschlechtern, sagt Sprecher Frank Lorho. Vor allem sei das Ökosystem im See zu komplex, um es auf einen Nährstoff zu reduzieren. Man könne die Auswirkungen nicht vorhersehen und sollte deshalb tunlichst die Finger davon lassen: „Eine Erhöhung des Phosphatgehaltes kommt nicht infrage“, so Lorho kategorisch.

Aber wie kann man den Fischern dann helfen? Schon lange wird Fischbrut aktiv gezüchtet und eingesetzt. Eine weitere Möglichkeit ist die Verringerung der sogenannten Patente, also der Fischereilizenzen. 2015 wurde gegen den Willen der Fischer beschlossen, die Zahl aller Patente am Obersee um ein Drittel auf 80 zu reduzieren. Doch die Zahl der Fischer sinkt sowieso kontinuierlich. Vor 125 Jahren hatte allein der Württembergische Fischereiverein noch 79 Berufsfischer, heute sind es noch 15 aktive Fischer.

Zuletzt könnten Felchen in Aquakultur gezüchtet und so den Fischern ein neues Betätigungsfeld vermittelt werden. Die Fische würden also nicht mehr wild gefangen, sondern in Becken großgezogen. Die Fischereiforschungsstelle in Langenargen hat dafür im vergangenen Jahr ein Konzept ausgearbeitet. Es schlägt eine genossenschaftliche Struktur vor, so dass alle Fischer mit im Boot sein könnten. Aber die meisten Fischer sind skeptisch, ob Aquakulturen auf Dauer wirtschaftlich wären. Das Projekt kam zu einem anderen Schluss: „Das Fazit war, dass eine Aquakultur technisch möglich wäre und sich rechnen würde“, sagt Steffi Paprotka vom Ministerium für Ländlichen Raum. Bei Blindverköstigungen habe sich auch gezeigt, dass sich Wild- und Zuchtfelchen geschmacklich kaum unterschieden. Mittlerweile sei zumindest bei einigen Fischern ein ernsthaftes Interesse an der Aquakultur geweckt.

Daten und Fakten rund um die Felchen


Speisefisch



Die Bodenseefelchen gehören zur Familie der Lachse und gelten mit ihrem hellen, festen Fleisch als ausgezeichnete Speisefische. Es gibt verschiedene Unterarten, die wichtigste sind die Blaufelchen. Für die Gastronomie am Bodensee haben die Felchen eine große Bedeutung.

Lebensweise

Die Fische ernähren sich von Plankton und Insekten und werden bis zu 50 Zentimeter lang. Im Sommer leben Blaufelchen über tieferem Wasser in höchstens 40 Meter Tiefe. Dort laichen sie auch, so dass die Eier auf den Seegrund sinken. Die meisten Felchen werden aber in Brutanstalten gezüchtet und in den See eingesetzt. Sie werden meistens im Alter von drei bis vier Jahren gefangen.

Ertrag

Die Felchen sind der wichtigste Speisefisch am Bodensee – beim Fang der Berufsfischer macht er 65  bis 80 Prozent aus. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden am Obersee jährlich im Schnitt 289 Tonnen Felchen gefangen, von 1956 bis 2007 waren es durchschnittlich sogar 563 Tonnen – vermutlich wegen des hohen Nährstoffgehalts im See. Mittlerweile sinkt der Ertrag drastisch; der Phosphatgehalt liegt heute wieder auf dem gleichen Niveau wie vor 1945.

Import

Viele Felchen, die am Bodensee auf den Tisch kommen, stammen nicht mehr aus dem Bodensee. Schätzungen gehen davon aus, dass die Fischer höchstens noch 60 Prozent der Felchen fangen. Der Rest stammt heute aus Importen – aus anderen Seen und vor allem aus Osteuropa sowie aus Kanada.