Fast 30000 VW-Mitarbeiter müssen eine Zwangspause einlegen, weil zwei Zulieferer sich weigern, Teile zu liefern. Der Lieferstopp könnte nach Einschätzung von Experten eine Kettenreaktion auslösen und weitere Zulieferer treffen.

Stuttgart - Der Lieferstopp der beiden sächsischen Zulieferer Car Trim und ES Automobilguss trifft den VW-Konzern hart. „Die Versorgung der Produktion mit Bauteilen mehrerer Volkswagen-Werke ist unterbrochen“, teilte der Wolfsburger Autoriese am Montag mit. Der Ausfall der Lieferungen von Getriebeteilen und Sitzbezügen führt laut VW dazu, dass die Fertigung von Golf und Passat in Wolfsburg, Emden und Zwickau ruhen musste. Betroffen sind auch Teilbereiche der konzerneigenen Zulieferwerke in Kassel, Salzgitter und Braunschweig. Insgesamt könnten nach Angaben des Autobauers 27 700 teils noch bis Ende August nicht so arbeiten, wie dies eigentlich geplant sei.

 

Volkswagen versucht nach eigenen Angaben weiterhin, eine Einigung mit den Lieferanten herbeizuführen. Am Nachmittag wurden die Gespräche mit den zur bosnisch-slowenischen Prevent-Gruppe gehörenden Zulieferern wieder aufgenommen. Die Bundesregierung rief die Unternehmen zu einer raschen Einigung am Verhandlungstisch auf. Die Unternehmen hätten eine „hohe Verantwortung“, ihre Probleme „so konstruktiv wie möglich anzugehen“, sagte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums.

Auch Daimler ist in einen Rechtsstreit mit der Prevent-Gruppe verwickelt

Die Zulieferer begründen den Lieferstopp mit einer angeblichen Weigerung des Autokonzerns, Schadenersatz für einen kurzfristig gestrichen Auftrag zu leisten. Es soll dabei um eine von VW und Porsche gekündigte Entwicklungskooperation mit Car Trim mit einem Volumen von 500 Millionen Euro gehen. Die Prevent-Tochter macht nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ Ausfälle und Schäden in Höhe von 55 Millionen Euro geltend. Weder VW noch Porsche wollen sich dazu äußern. Dem Vernehmen nach haben Qualitätsprobleme zur Kündigung des Auftrags beigetragen. VW soll die Forderungen für unbegründet halten.

Das Braunschweiger Landgericht hat VW Rückendeckung gegeben und beide sächsischen Zulieferer mit einstweiligen Verfügungen dazu verpflichtet, ihre Lieferungen zumindest für einen befristeten Zeitraum wieder aufzunehmen. Car Trim soll die Sitzbezüge bis Mai 2017 liefern, ES Automobilguss die Ausgleichsgetriebeteile bis Februar 2018. Die beiden zur Prevent-Gruppe gehörenden Zulieferer weigern sich jedoch. Auch Daimler hat schon seit Jahren einen Rechtsstreit mit der in Wolfsburg angesiedelten Prevent DEV. Bereits vor zwei Jahren wollte der Zulieferer den Autobauer mit einer Klage vor dem Stuttgarter Landgericht und danach vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht zur Abnahme vereinbarter Leistungen zwingen. Prevent hatte damit jedoch keinen Erfolg. Der Zulieferer gab danach jedoch nicht klein bei, sondern strengt jetzt eine Hauptverhandlung in Braunschweig an und verlangt nach Angaben des Landgerichts Schadenersatz in Höhe von knapp 40 Millionen Euro. Vor einer Verhandlung muss jedoch zunächst einmal geklärt werden, welches Gericht überhaupt zuständig ist. Trotz dieses laufenden Rechtsstreits ist die Prevent DEV nach Angaben von Daimler weiterhin Lieferant – allerdings in geringem Umfang – der Stuttgarter, ebenso andere Unternehmen der Gruppe. Die beiden Zulieferer Car Trim und ES Automobilguss, die in den Streit mit VW verwickelt sind, zählen jedoch nicht zu den aktuellen Serienlieferanten.

Zulieferer klagen über einen immensen Preisdruck der Autohersteller

Der Bundesverband Materialwirtschaft befürchtet, dass unter dem Produktionsstopp von Golf und Passat nicht nur die konzerneigenen, sondern auch andere Zulieferer zu leiden haben. BME-Hauptgeschäftsführer Christoph Feldmann wies darauf hin, dass hinter der Produktion des VW Golf 500 Top-Lieferanten stehen. Der Produktionsstopp kann nach seiner Einschätzung nun eine Kettenreaktion durch die gesamte Lieferkette auslösen. Feldmann plädierte angesichts des aktuellen Streits für einen „fairen Umgang“ der Autobauer mit den Lieferanten. Alexander Gerstung, Geschäftsführer der ES Automobilguss, hat dem VW-Konzern vorgeworfen, seine Marktmacht zu missbrauchen.

Das Stuttgarter IMU-Institut hat gerade Zulieferer für eine noch unveröffentlichte Studie zur Lage der Branche befragt. „Alle Zulieferer haben gesagt, dass der Preisdruck in den vergangenen Jahren immens gestiegen ist“, berichtet IMU-Geschäftsführer Martin Schwarz-Kocher. Kritisiert werde vor allem, „wenn bestehende Verträge nicht eingehalten werden“. Dazu gehöre, wenn ein Zulieferer für einen laufenden Auftrag einen zusätzlichen Rabatt geben müsse, um überhaupt die Chance für einen Nachfolgeauftrag zu erhalten. „Das ist nach meiner Einschätzung Vertragsbruch und führt zu Planungsunsicherheit, die kleinere Unternehmen stärker trifft als die großen“, urteilt Schwarz-Kocher.