Daimler will in Klimaanlagen statt einer brandgefährlichen Chemikalie Kohlendioxid verwenden – und findet Verbündete auch bei den Linken im Bundestag. Der StZ-Redakteur Harry Pretzlaff hat die Geschichte eines heißen Kampfs um kühle Luft aufgeschrieben.

Stuttgart - Der vergangene Mittwoch schien für die Journalisten auf dem Genfer Autosalon ein ganz gewöhnlicher hektischer Tag zu sein: Interviews in stickigen Konferenzräumen, lächelnde Models, die sich an Kotflügel schmiegen, Autofreaks mit aufgebrezelten Frauen im Schlepptau, die kreuz und quer flanieren und den Weg versperren. Doch hinter den Kulissen der Glitzerschau wurde in Genf hektisch konferiert. Der Streit über Kältemittel für Klimaanlagen erhitzte die Gemüter. Daimler bat bei Wettbewerbern um Unterstützung im Abwehrkampf gegen das umstrittene Kältemittel R1234yf.

 

Am Mittwochnachmittag, als der Stuttgarter Zeitung zugetragen wurde, dass Daimler einen Pakt mit anderen Autobauern geschlossen habe, teilte die Pressestelle auf Anfrage noch mit, es gebe nichts Neues. Am Abend schließlich, als Journalisten und Automanager auf dem Genfer Flughafen ermattet auf den Rückflug warteten, ließ Daimler-Vorstand Thomas Weber überraschend eine Erklärung verbreiten. Daimler habe seinen Ingenieuren einen klaren Entwicklungsauftrag für die CO2-Klimaanlage erteilt. „Es freut uns sehr“, so Weber, „dass wir uns in Genf darauf verständigen konnten, diese nachhaltige und sichere Lösung gemeinsam mit Audi, BMW, Porsche und Volkswagen mit Einbindung des VDA voranzutreiben.“

Die Partner wurden von dieser Mitteilung kalt überrascht. Sie waren zunächst einmal sprachlos nach diesem unabgestimmten Vorpreschen des Daimler-Vorstands, das ahnen lässt, wie schwer der Druck ist, der auf Webers Schultern lastet. Die positive Nachricht musste einfach raus – und zwar so schnell wie möglich.

Das Kühlmittel entzündete sich

Das Bündnis ist für Daimler ein wichtiger Meilenstein. Es steht damit indes längst noch nicht fest, ob der Autobauer aus der Zwickmühle kommen kann, in die er im vergangenen Jahr nach einem Test geraten ist. Der simulierte Crashtest ging ganz anders aus als erwartet. Bei dem Versuch, der skeptische Umweltschützer endgültig von der Sicherheit des Kühlmittels R1234yf überzeugen sollte, geriet die Chemikalie aus defekten Kühlschläuchen in den heißen Motorraum und entzündete sich. Der Wagen ging in Flammen auf, hochgiftige und stark ätzende Flusssäure entstand.

Daimler zog daraufhin die Notbremse, verweigerte fortan die Verwendung des neuen Kühlmittels, obwohl der Autohersteller damit seit Jahresbeginn gegen EU-Recht verstößt. Sowohl die neue Generation des Sportwagens SL als auch die B- und die A-Klasse haben ihre Typzulassung vom Kraftfahrtbundesamt nach dem 1. Januar 2011 erhalten. Gleiches gilt für das neue kompakte Coupé CLA sowie die in diesem Jahr auf den Markt kommende neue Generation der S-Klasse. Alle neuen Modelle, die ihre Zulassung nach diesem Stichtag erhalten haben, müssen seit Anfang 2013 das neue Kühlmittel R1234yf verwenden, das weniger klimaschädlich ist als das alte R134a. Daimler füllt nun jedoch wieder die alte Chemikalie ein und verteidigt dies mit einer Notlage. „Wir setzen Sicherheit an die oberste Stelle. Diese Position ist unangreifbar“, bekräftigte Daimler-Chef Dieter Zetsche auf dem Genfer Autosalon.

Eine Galgenfrist für Daimler

Die EU-Kommission in Brüssel pocht jedoch darauf, dass Daimler das Gesetz einhalten müsse. Die Brüsseler ließen jedoch ein Hintertürchen offen. Sie forderten die Bundesregierung dazu auf, die Sicherheitsbedenken zu beweisen. Dazu soll das Kraftfahrtbundesamt (KBA) in einer Risikoanalyse untersuchen, ob ähnliche Gefahren auch bei Modellen anderer Hersteller drohen. Diese Untersuchung ist bis heute nicht abgeschlossen. Die Risikoanalyse hat bis heute kein klares Bild ergeben. „Aktuell bejahen einige Automobilhersteller die erhöhte Gefahr oder schließen sie nicht aus, andere widersprechen dem hingegen“, zieht ein Sprecher der Behörde eine Zwischenbilanz.

Es sei deshalb geplant, „dass das KBA eine weitere, unabhängige Risikobewertung vornimmt“. Die Untersuchungen würden jedoch noch einige Zeit dauern. Wann Ergebnisse vorliegen, sei derzeit schwer abzuschätzen.

Bis diese Ergebnisse vorliegen, bleibt Daimler zunächst einmal eine Galgenfrist. Allerdings wird dies nicht ausreichen, um rechtzeitig auf das Kältemittel CO2 umzuschwenken. Denn für die Entwicklung einer Klimaanlage mit dem Kältemittel Kohlendioxid dürften drei bis vier Jahre vergehen.

So lange dürfte die EU-Kommission kaum einen Gesetzesbruch tolerieren. In der Branche spekuliert man darauf, dass die Bundesregierung Rückendeckung gibt und Brüssel davon überzeugen kann, dass es das kleinere Übel ist, bis zum Wechsel auf CO2 zunächst einmal weiter das alte Kältemittel R134a zu verwenden.

Für die anderen Autobauer ist die Lage weniger brisant

Denn andernfalls nimmt Brüssel, so heißt es, schreckliche Unfälle in Kauf, bei denen Autos in Flammen aufgehen und die Fahrzeuginsassen, Polizisten, Rettungssanitäter und Feuerwehrleute in Kontakt mit Flusssäure geraten können, die sich durch die Kleidung bis auf die Knochen durchfrisst, die Atemwege zerstört und einen qualvollen Tod zur Folge haben kann. Von außen ist einem Unfallwagen nämlich nicht anzusehen, welches Kältemittel er in der Klimaanlage hat.

Für die anderen deutschen Autobauer ist die rechtliche Lage weniger brisant als für Daimler. Sie haben, vielleicht in cleverer Voraussicht möglicher Probleme, ihre aktuellen Neuheiten vor dem kritischen Stichtag Januar 2011 zertifizieren lassen. Dabei sei auch ab und an etwas getrickst worden, meint ein Manager hinter vorgehaltener Hand. Sie können nun eine Übergangsregelung nutzen und für diese Fahrzeuge noch bis Ende 2016 das alte Kältemittel einfüllen. Sie wollen sich heute nicht festlegen, wie sie sich in den kommenden Jahren verhalten, falls Brüssel hart bleibt. Ferdinand Piëch, dessen Wort bei VW Gesetz ist, hat im vergangenen November in einem Interview klare Kante gezeigt und gesagt, bis die CO2-Klimaanlage komme, „verwenden wir das bewährte Mittel R134a weiter“. Doch ein VW-Sprecher will sich heute nicht darauf festlegen.

Der Münchner Autobauer BMW hat schon angekündigt, dass er bei seinem Elektroauto i3, das im Herbst dieses Jahres vorgestellt wird, das umstrittene neue Kühlmittel verwendet. Das Elektroauto hat allerdings keinen heißen Motor. Deshalb entfällt die Brandgefahr. BMW will indes nicht ausschließen, das umstrittene Kältemittel auch für Modelle mit Verbrennungsmotor zu verwenden, die in den kommenden Jahren starten.

Opel und Ford, die deutschen Autobauer mit US-Mutter, schließen sich der Allianz von Daimler, VW und BMW dem Vernehmen nach nicht an. „Wir sind überzeugt, dass das Kältemittel R1234yf ein wirksames und umweltbewusstes Kältemittel darstellt, das sicher in Automobil-Klimaanlagen genutzt werden kann“, teilt Opel mit. Ford will sich nicht zu seinen Plänen äußern.

Toyota hat das neue Kühlmittel nach dem Brand des Testfahrzeugs von Mercedes-Benz geprüft „Bei Autos von Toyota ist das neue Kühlmittel sicher“, berichtet Europa-Vertriebschef Karl Schlicht nach diesen Versuchen. Dennoch würden die Japaner die umstrittene Chemikalie gerne vermeiden. Sie befürchten, dass die Berichterstattung über die Brandgefahr zu einem Kaufboykott wie beim umstrittenen Biosprit E10 führen könnte. Viele Autofahrer tanken diesen Kraftstoff nicht, obwohl Fahrzeugbauer und Mineralölkonzerne nachdrücklich versichern, dass E10 keine Motorschäden verursache.

Von Beifall bis tiefem Misstrauen reichen die Reaktionen

Die deutschen Bedenken stoßen bei Honeywell, neben DuPont einziger Herstellern des umstrittenen neuen Kältemittels, auf Kritik. Die beiden US-Konzerne haben die Chemikalie entwickelt, Fabriken dafür gebaut und würden bei einem Schwenk zu Kohlendioxid auf ihrem Stoff sitzen bleiben. Daimlers Vorstoß sei „ein weiterer verzweifelter Versuch“, die Anwendung der EU-Richtlinie für mobile Klimaanlagen hinauszuzögern, kritisiert Honeywell. Kein anderer Autohersteller habe Sicherheitsprobleme gemeldet. Das neue Kältemittel R1234yf sei von Autoherstellern und renommierten Instituten umfassend getestet worden: „Das Kältemittel ist sowohl sicher als auch effektiv“, betonen die Amerikaner.

Mit tiefem Misstrauen reagiert Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, auf den Vorstoß von Daimler. Resch erinnert daran, dass die extreme Brandgefahr des neuen Kältemittels bei einem Unfall schon 2008 in drei von der Umwelthilfe in Auftrag gegebenen Versuchen belegt worden sei. Warum dauerte es dann so lange, bis Daimler reagiert habe, fragt Resch und gibt auch gleich die Antwort: Der Autobauer wolle einfach so lange wie möglich das alte Kältemittel einsetzen „und so einen zusätzlichen Profit einfahren“. Das alte Kältemittel sei viel billiger als das umstrittene neue R1234yf. Der Umweltaktivist fordert die EU-Kommission dazu auf, für jede rechtswidrig befüllte Klimaanlage eine Strafzahlung von 665 Euro zu verhängen. „Nur so ist sichergestellt, dass die Automobilindustrie schnell die CO2-Kältetechnik auf die Straße bringt.“ Parallel dazu fordert er die Bundesregierung auf, den „chemischen Brandbeschleuniger“ R1234yf für Anwendungen in der Kältetechnik zu verbieten.

Beifall erhält Daimler vom ADAC und – ganz ungewohnt – von der Linkspartei. Deren Bundestagsabgeordneter Ralph Lenkert aus Jena begrüßt die neue CO2-Allianz. Lenkert, ehemals Qualitätschef bei einem Autozulieferer, warnt schon seit Längerem vor dem neuen Kältemittel. Die EU müsste jetzt den Einsatz verbieten und die Übergangsfrist zur Umstellung auf Kohlendioxid verlängern, fordert er. Der Obmann der Linken im Umweltausschuss des Bundestags wertet es als politischen Erfolg seiner Partei, dass die deutschen Autobauer die Brisanz des Kältemittels erkannt haben. „Ich freue mich“, sagt Lenkert, „dass auch die Arbeit der Linksfraktion dieser Erkenntnis zum Durchbruch verhalf.“