Die Opposition im Landtag greift den Pädophilievorwurf gegen Daniel Cohn-Bendit auf – und warnt Regierungschef Kretschmann, an der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises teilzunehmen. Grüne und SPD sprechen von Schmutz-Kampagne.

Stuttgart - Die Verleihung des Theodor-Heuss-Preises der gleichnamigen, überparteilichen Stiftung zählt gemeinhin zu den eher besinnlichen Ereignissen im Jahreskalender. Diesmal aber hat sich die für den 20. April vorgesehene Ehrung zu einem Politikum ausgewachsen. Daniel Cohn-Bendit heißt der Auserwählte. Ministerpräsident Winfried Kretschmann will bei der Preisverleihung an seinen grünen Parteifreund im Stuttgarter Neuen Schloss ein Grußwort sprechen.

 

Just davon aber versuchte ihn die Opposition im Landtag am Mittwoch abzubringen. Den Anlass hatte der als Festredner vorgesehene Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle gegeben, der vor wenigen Wochen einen Rückzieher machte, als ihm Buchauszüge zur Kenntnis gelangten, die Cohn-Bendit in einem trüben Licht erscheinen lassen. Voßkuhle monierte, der Preisträger habe sich in dessen autobiografischer Schrift „Der große Basar“ aus dem Jahr 1975 zu „nicht unproblematischen Äußerungen“ über die Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen hinreißen lassen.

Unappetitliche Buchergüsse

In dem Buch reflektiert Cohn-Bendit sein Dasein als linker Studentenführer, einige Passagen widmet er seinem zweijähriges Wirken als Erzieher im antiautoritären Kinderladen der Frankfurter Universität. Er berichtet, sein ständiger Flirt mit den Kindern habe bald erotische Züge angenommen, und er beschreibt Handlungen, die durchaus als sexuell motiviert interpretiert werden können. Seinerzeit erregte dies kein Aufsehen. Erst 2001 und danach immer wieder kam es in mehreren Ländern zu öffentlichen Debatten. Cohn-Bendit bezeichnete seine Buchergüsse aus dem Jahr 1975 später als Fehler. Was er geschrieben habe, sei als zeitgebundene Provokation zu verstehen gewesen, keineswegs als Beschreibung realer Handlungen.

Die Opposition im Stuttgarter Landtag nahm die Absage des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gleichwohl zum Anlass, auch den Ministerpräsidenten Kretschmann zum Wegbleiben von der Preisverleihung zu bewegen. Ein entsprechender Antrag scheiterte jedoch nach einer teils tumultösen Debatte in namentlicher Abstimmung. Der CDU-Abgeordnete Reinhard Löffler brachte vor, wenn Voßkuhle nicht komme, dann sei es auch Kretschmann der Würde seines Amts schuldig, der Veranstaltung fernzubleiben. „Diese Preisverleihung schadet dem Amt des Ministerpräsidenten und dem Amt des Bundesratspräsidenten.“ Cohn-Bendits Verhalten sei inakzeptabel und menschenverachtend, und es verhöhne die Opfer sexueller Gewalt. Vom Regierungschef verlangte er ein „klärendes Wort“. Ein „stilles Dulden“ würde ihn, Löffler, menschlich doch sehr enttäuschen. Er schätze – wie auch viele Bürger – den Ministerpräsidenten. „Aber vom vielen Weihrauch wird auch der goldenste Engel verrußt.“

Grüne und SPD beklagen Schmutz-Kampagne

Auch der frühere Justizminister Ulrich Goll (FDP) befand, dass der Ministerpräsident nicht zu der Preisverleihung gehen solle. „Nach meiner Auffassung würde sich Theodor Heuss im Grabe herumdrehen, wenn die Regierung teilnimmt.“

Die Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann wies dieses Ansinnen zurück. Es sei völlig klar, dass der Missbrauch von Kindern die schlimmste aller Straftaten sei. Doch darum gehe es der Opposition im Kern gar nicht. Vielmehr versuche sie, die Grünen, die Landesregierung und den Ministerpräsidenten mit dem Thema Kindesmissbrauch in Verbindung zu bringen. Das sei üble Nachrede. An den FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke gewandt, sagte Sitzmann: „Sie tun das, was Sie sehr oft tun, Sie schmeißen mit Dreck um sich – in der Hoffnung, irgendwann wird irgendwas an irgendwem hängen bleiben.“ Rülke hatte die Ehrung für Cohn-Bendit nach Bekanntwerden der Absage des Verfassungsgerichtspräsidenten harsch kritisiert.

SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel bezeichnete die Bekenntnisse Cohn-Bendits als inakzeptabel, verwies aber auf dessen Beteuerungen, es handle sich um Fantasieprodukte. Außerdem gebe es einen Brief von Eltern und Kindern, in dem Cohn-Bendit entlastet werde. Darin heißt es: „Wir weisen den Versuch zurück, Daniel Cohn-Bendit in die Nähe von Tätern zu rücken, die Kinder sexuell missbrauchen.“ Regierungschef Kretschmann lauschte der Debatte, ergriff aber nicht das Wort.