Der Widerstand gegen das TTIP-Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU wächst. Welche Gefahren bestehen etwa für die Kultur? Wir haben Fakten und Meinungen aus Sicht der EU-Kommission und der TTIP-Kritiker gegenübergestellt.

Brüssel - Krise – Gefahr – Bedrohung: in der Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP (ausgesprochen: Ti-Tip) schlagen die Wellen hoch. Gerade hat ein Bündnis einiger Hundert Verbände und Bürgerinitiativen in ganz Europa zur Unterschriftenaktion „Stop TTIP“ aufgerufen. Die Berliner Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte warnte jüngst, durch ein Freihandelsabkommen werde bald schon das deutsche „über 300 Jahre gewachsene Kulturmodell in Trümmern liegen“. Veranstaltungen zum Thema gleichen eher Kampfaufrufen als Diskussionen und stehen, wie vor kurzem in der Berliner Akademie der Künste, unter dem Motto „Verteidigt die Kultur!“

 

Wo so viel Rauch ist, muss Feuer sein. Oder nicht? Wir haben Fakten, Meinungen und Beurteilungen aus Sicht der EU-Kommission und der TTIP-Kritiker (wie dem Deutschen Kulturrat) gegenübergestellt. Ein dritter Beteiligter, nämlich die amerikanische Verhandlungsseite, schweigt dazu. Die US-Botschaft in Berlin reagierte auf eine Anfrage der StZ nicht.

Was ist TTIP?

TTIP steht für „Transantlantic Trade and Investment Partnership“, bezeichnet also ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union. Es wird im Augenblick zwischen der Europäischen Kommission und der amerikanischen Regierung verhandelt. Die Kommission hat dazu ein Verhandlungsmandat des Europäischen Rats erhalten, also von den Staats- und Regierungschefs.

Das TTIP nimmt die Form eines völkerrechtlichen Vertrages an und muss, um überhaupt in Kraft zu treten, ratifiziert werden. Noch ist unklar, ob eine Ratifikation durch das Europäische Parlament ausreicht oder ob zusätzlich auch die Parlamente aller Mitgliedstaaten zustimmen müssen. Dies hängt davon ab, wie weit das Abkommen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten eingreift. Die Bundesregierung geht davon aus, dass zum Schluss sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat (wegen der Kulturhoheit der Länder) zustimmen müssen. Von diesem Punkt ist man aber derzeit noch weit entfernt.

Ziel jedes Freihandelsabkommens ist es, die Zölle im gegenseitigen Handel abzuschaffen. Außerdem sollen sogenannte „nichttarifäre Handelshemmnisse“ beseitigt werden. Darunter versteht man zum Beispiel Einfuhrbeschränkungen oder unterschiedliche Vorschriften für heimische und fremde Anbieter von Gütern und Dienstleistungen.

Was hat TTIP mit der Kultur zu tun?

Zwischen der EU und den USA werden auch kulturelle Güter (zum Beispiel Bücher und Filme) oder Dienstleistungen (zum Beispiel Konzerttourneen) gehandelt. In der kulturpolitischen Diskussion um TTIP treffen nun zwei Welten aufeinander. Die meisten Europäer halten Kultur für eine Sphäre, die von Traditionen, Vielfalt und künstlerischer Freiheit bestimmt ist und im Kern losgelöst von der Ökonomie betrachtet werden sollte. „Kultur darf nicht zur Handelsware werden“, sagt zum Beispiel Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). In einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärte sie: „Kultur muss kritisch, sperrig, heterogen sein. Das kann sie nur, wenn der Staat sie dazu ermutigt, und das geht nur durch Finanzierung.“ Amerikaner verstehen hingegen Kultur als eine Dienstleistung wie jede andere. Finanziert werden Kulturinstitutionen hier zumeist durch Spenden von Privatleuten und Unternehmen. Sie müssen sich auf dem Markt bewähren. Kritiker befürchten durch TTIP nun eine Amerikanisierung des europäischen Kulturverständnisses.

Das Kulturverständnis ist völlig unterschiedlich

Doch das Kulturverständnis ist auch in Europa keineswegs überall gleich. In Deutschland und in Frankreich finanzieren die Regierungen Kulturinstitutionen viel umfänglicher als in Großbritannien. Eine Buchpreisbindung gibt es nur in elf der 26 EU-Mitgliedstaaten. Auch behaupten sich bestimmte Bereiche der Kultur, zum Beispiel die bildende Kunst, der Kunsthandel und die Computerspiel-Kultur, schon längst auf dem Weltmarkt.

Im Wesentlichen sehen die Kritiker Gefahren durch TTIP für die Kultur in den folgenden vier Bereichen: in der Filmförderung, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der staatlichen Kulturfinanzierung und bei der Buchpreisbindung.

Gefährdet TTIP den europäischen Film?

Der europäische Film hat es gegen die Übermacht der amerikanischen Produkte, die auf Englisch von vornherein für einen Weltmarkt produziert werden können, schwer. Schon ohne Freihandelsabkommen dominieren US-amerikanische Filme mit einem Anteil von mehr als zwei Dritteln den europäischen Markt. Viele europäische Staaten subventionieren daher ihre Filmwirtschaft. Könnte TTIP die Filmförderung gefährden? Dafür spricht im Augenblick nichts, denn das Verhandlungsmandat des Rates für die Europäische Kommission schließt auf Druck Frankreichs ausdrücklich „audiovisuelle Dienstleistungen“ aus. Es steht den Mitgliedstaaten also auch künftig erst einmal frei, amerikanische Filmstudios oder Musikproduzenten zu benachteiligen, etwa durch eine Quote für einheimische Produktionen oder durch Subventionen, die ausschließlich einheimischen Produktionen zugute kommen. In Deutschland kassieren Hollywood-Produzenten übrigens längst öffentliche Zuschüsse, wenn sie ihre Filme etwa in den Filmstudios von Babelsberg drehen lassen.

Gefährdet TTIP den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland sieht sich langfristig nicht nur durch TTIP gefährdet. Die in Deutschland seit mehr als einem Jahr heftig geführte Diskussion um die Haushaltsabgabe (anstelle der alten Rundfunkgebühr) weist derweil auf weitaus ernsthaftere und hausgemachte Legitimationsprobleme hin.

Die EU-Kommission betont, dass Fernsehen und Hörfunk eindeutig zu den audiovisuellen Dienstleistungen zu rechnen seien, sie also von der Marktöffnung ausgenommen sind. „Was genau sind ,audiovisuelle Dienstleistungen‘?“, fragt hingegen Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Er verweist darauf, dass seinen Informationen zufolge die amerikanische Seite Fernsehen und Hörfunk als Telekommunikationsleistung ansehe. Damit fiele der Rundfunk unter das Freihandelsabkommen. US-Fernsehgiganten könnten versuchen, einen Anteil an der Haushaltsabgabe einzuklagen. Wie erfolgreich eine solche Klage wäre, ist unklar. Als sehr wahrscheinlich kann ein solches Szenario ohnehin nicht angesehen werden, zumal sich der Fernsehmarkt durch das Internet in den nächsten zehn Jahren radikal verändern dürfte.

Gefährdet TTIP die Subventionen für Theater und Museen?

Deutschland ist 2005 dem Unesco-Übereinkommen zum Schutz der kulturellen Vielfalt beigetreten. Die USA haben sich diesem Abkommen nicht angeschlossen. Darin drückt sich eine unterschiedliche Grundhaltung zur Schutzbedürftigkeit von Kultur aus. Kritiker befürchten, dass durch ein Freihandelsabkommen die Subventionen für Theater- und Opernhäuser, Orchester, Museen und Bildungseinrichtungen gefährdet seien. Was, wenn ein amerikanisches Musicalunternehmen die Subventionen beispielsweise für die Stuttgarter Oper als Handelshemmnis ansieht und ebenso Geld vom Land Baden-Württemberg kassieren will? Oder ein US-Weiterbildungskonzern gegen Subventionen für städtische Volkshochschulen klagt? Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat hält das für eine reale Gefahr: „Der europäische Bildungsmarkt ist für amerikanische Unternehmen hochinteressant.“

Brüssel meint, alle Mitgliedsländer bleiben autonom

Die EU-Kommission ist allerdings in dieser Frage sehr eindeutig. In einer Stellungnahme erklärt sie: „Nach gängiger Praxis werden Subventionen von den EU-Handelsabkommen ausgeschlossen. TTIP wird deshalb das Recht der Mitgliedstaaten in keiner Weise beeinträchtigen, den Kultursektor zu unterstützen.“ Selbst TTIP-Kritiker wie der Regisseur Volker Schlöndorff machen sich um Subventionen für Opern und Theater wenig Sorgen: „Ich glaube nicht, dass den Stadttheatern oder Opernhäusern dadurch im Namen des Wettbewerbs mit einem amerikanischen Theater irgendwelche Subventionen gestrichen werden. So weit geht es nicht.“

Gefährdet TTIP die Buchpreisbindung?

Es besteht wenig Zweifel daran, dass ein amerikanischer Mediengigant wie Amazon ein Interesse daran hat, in Ländern wie Deutschland und Frankreich die Buchpreisbindung zu kippen. Ebenso sind sich die meisten Experten einig: Das würde das Aus für viele kleine Buchhandlungen und vermutlich sogar große Buchhandelsketten bedeuten, die der Marktmacht von Amazon dann nichts mehr entgegenzusetzen hätten. In Ländern ohne Buchpreisbindung (zum Beispiel Großbritannien) sind die Preise für Bücher, mit Ausnahme der Bestseller, im Durchschnitt übrigens sogar höher als dort, wo die Preise festgesetzt sind. Die Buchpreisbindung schütze Buchhändler, Autoren und Verlage, sagen ihre Befürworter, sie garantiere kulturelle Vielfalt. Sie hat jedoch auch Gegner – und zwar nicht nur amerikanische Medienhandelskonzerne. Vor zwei Jahren sprachen sich 56 Prozent der Schweizer in einem Referendum gegen eine Wiedereinführung der Buchpreisbindung aus.

Die entscheidende Frage lautet: Hätte Amazon mit einem Freihandelsabkommen ein Instrument, die Buchpreisbindung zu kippen? Ja, sagen die TTIP-Kritiker, denn sie könne als nichttarifäres Handelshemmnis verstanden werden. Nein, meint die EU-Kommission: „Soweit die Buchpreisbindung im Ausland hergestellte Bücher nicht diskriminiert, berührt sie nicht die im Rahmen eines Handelsabkommens üblicherweise eingegangenen Verpflichtungen.“ Da der Text des Abkommens noch nicht vorliegt, lässt sich die Frage juristisch noch nicht beantworten.

Wie soll es weitergehen?

Amerikaner und EU-Kommission verhandeln nichtöffentlich, was vielen Kritikern ein Dorn im Auge ist. Warum nicht alles offenlegen, fragen sie? Was gibt es da zu mauscheln? Allerdings werden Verhandlungen fast immer vertraulich geführt – das gilt für Tarifgespräche wie für Friedensabkommen. Alles andere wäre wenig erfolgversprechend, weil sich keine Seite aus Angst vor Gesichtsverlust zu Zugeständnissen bewegen ließe. Wichtig ist vielmehr, dass es vor der Ratifizierung durch die Parlamente eine öffentliche Debatte über den ausgehandelten Text gibt. Das stellt niemand in Abrede.

Kulturstaatsministerin Grütters würde die Kultur am liebsten schon jetzt in einer Negativliste ausdrücklich ganz aus den Verhandlungen herausnehmen. Kritiker wie der Deutsche Kulturrat gehen einen Schritt weiter. Sie fordern einen Neustart mit einer Positivliste. Das heißt: es würde aufgelistet, welche Wirtschaftsbereiche für eine Liberalisierung in Frage kommen – wobei die Kultur nicht dazu gehört.

Was begründet die Aufregung?

Eine genauere Betrachtung der Fakten mag nicht alle Bedenken der Kulturszene gegen das Freihandelsabkommen mit den USA aus dem Wege räumen. Die aufgeregte und emotionalisierte Debatte, wie sie gegenwärtig geführt wird, rechtfertigt sie dennoch nicht. Hinter ihr steckt wohl eher eine allgemeine Angst vor der Amerikanisierung europäischer Kultur. Dabei ist die Neigung groß, mit Stereotypen zu arbeiten: hier die feinsinnige und vielfältige europäische Kulturlandschaft – dort die profitorientierten, gleichmacherischen US-Kulturkonzerne. In Wirklichkeit spielen im Kampf um Subventionen und Marktbeschränkungen auch die wirtschaftlichen Interessen europäischer Anbieter eine wichtige Rolle. Das wird von vielen Amerikagegnern gern übersehen.

Handelsabkommen Die Kultur ist bei TTIP natürlich nur ein Randbereich. Im Zentrum stehen gewichtigere Märkte und Wirtschaftsbereiche. Ziel ist laut Bundesregierung eine „stärkere Öffnung der Märkte auf beiden Seiten des Atlantiks. Zudem sollen mit der TTIP Einschränkungen für kommerzielle Dienstleistungen verringert, Investitionssicherheit und Wettbewerbsgleichheit verbessert und der Zugang zu öffentlichen Aufträgen auf allen staatlichen Ebenen vereinfacht werden.“ Die Befürworter erhoffen sich von TTIP einen Handels- und Export-Aufschwung dies- und jenseits des Atlantiks.

CETA Im Schatten von TTIP verhandelte die EU-Kommission auch mit Kanada. Dieses Abkommen wird CETA genannt. Die Verhandlungen sind am 1. August abgeschlossen worden; CETA wird Ende September in Ottawa parafiert. Es muss danach durch die Parlamente ratifiziert werden. Da Kanadas Kulturindustrie klein ist, hat CETA in der deutschen Kulturszene wenig Aufregung verursacht.

Kritiker 168 Organisationen aus ganz Europa unterstützen die Unterschriftenaktion „Stop TTIP“ (www.stop-ttip.org). Auf deutscher Seite zählen unter anderem der BUND und der Deutsche Kulturrat zu den Förderern.